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Indien: Tata stellt Arbeit am "Nano"-Werk ein

Autobauer will Standort wegen Protesten verlegen: Regionalregierung kämpft um den Investor

Von Hilmar König, Delhi *

Der indische Bundesstaat Westbengalen kämpft um das Werk des Autobauers Tata. Der hatte die Arbeiten daran in der vergangenen Woche eingestellt, nachdem die Proteste von Demonstranten gegen den Fabrikbau erneut eskaliert waren. Die Regierung Westbengalens hat am Wochenende Gespräche mit den Protestierenden aufgenommen.

In westbengalischen Regierungskreisen wie bei indischen Industriellen schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Der Tata-Konzern will die Arbeit am Autowerk in Singur einstellen und die Produktion des Billigautos »Nano« an einen anderen Standort verlegen. Grund sind die anhaltenden Proteste gegen den Fabrikbau. »Angesichts der fortgesetzten Konfrontation und Unruhen an der Baustelle«, hieß es in einer Tata-Mitteilung vom Mittwoch letzter Woche, würden die Arbeiten suspendiert. Die Firma prüfe alternative Optionen für die Herstellung des »Nano« in anderen Betriebsteilen. Die Feindschaft gegenüber dem Nano-Werk verhindere eine kontinuierliche und effiziente Produktion. Umgerechnet 240 Millionen Euro hat Tata in den Bau des Werks investiert, bereits im Oktober sollte der Miniwagen »Nano« dort vom Band laufen.

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Tata baut Billigauto doch in Singur

Der indische Autobauer Tata kann sein Billigauto Nano nun doch wie geplant im Bundesstaat Westbengalen bauen. Die Proteste gegen das Werk seien beendet, sagte die Vorsitzende der Oppositionspartei Trinamool, Mamata Banerjee, am Montag in Singur. Banerjee hatte am Wochenende mit der Linksregierung von Westbengalen verhandelt und erreicht, daß wegen der Fabrik vertriebene Bauern entschädigt werden oder ihr Land zurückerhalten. Zehntausende hatten in den vergangenen Wochen gegen das Autowerk protestiert (jW berichtete). Tata stellte die Arbeiten an der Fabrik deshalb ein und verkündete vergangene Woche die Verlegung.
(junge Welt, 9.09.2008)



Das indische Großunternehmen hat in den Bau umgerechnet rund 240 Millionen Euro investiert. Der Nano soll bereits im Oktober vom Band laufen. Tata will das Auto für 100000 Rupien (knapp 1600 Euro) verkaufen und damit den Massenmarkt erobern. ( Der westbengalische Industrieminister Nirupam Sen sprach angesichts der Entwicklung von »ganz schlechten Nachrichten« für den Unionsstaat, der sich seit Jahren tatkräftig um Investitionen und Industrialisierung bemüht. »Nano« hätte etwa 12 000 Menschen in der Region eine dauerhafte Beschäftigung gesichert. Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee konferierte mit Gouverneur Goplakrishna Gandhi und bat ihn, sich persönlich für einen Weg aus der Sackgasse einzusetzen. Indiens Industriekapitäne warnten unisono, ein Rückzug Tatas aus Singur würde dem Image der gesamten indischen Wirtschaft schaden und Investoren abschrecken.

Am Freitagabend nahm die Regierung Gespräche mit Vertretern der Demonstranten auf, die das Werk seit der letzten Woche umstellt halten. Zum Auftakt der Beratungen habe kein Durchbruch erzielt werden können, sagte ein führendes Mitglied der oppositionellen Partei Trinamool Congress (TC), »wir bewegen uns aber auf eine Lösung zu«.

Die TC hatte zu den Protesten aufgerufen. Bereits seit Baubeginn opponiert sie gegen das Werk, weil beim Landtransfer angeblich Gewalt angewendet wurde. Die Linksfrontregierung hatte dagegen immer wieder erklärt, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei und die betroffenen Bauern eine weit über den gängigen Bodenpreisen liegende Entschädigung erhalten hätten.

Seit Januar 2007 kam es in Singur und Umgebung wiederholt zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen linken Aktivisten und Anhängern der TC und den von ihr unterstützten Bauernverbänden. Ende August spitzte sich die Lage erneut zu. Während die Montage des Singur-Werkes sich planmäßig dem Ende näherte, unternahm die TC mit ihren Partnern einen letzten Versuch, das Projekt zu torpedieren. Sie riegelten das Gelände um das Werk so ab, dass der Transport von Baumaterial und Ausrüstungen nahezu unmöglich und der Zugang der Beschäftigten erschwert und teils verhindert wurde.

Die Protestierenden verlangten, einen etwa 160 Hektar großen Teil des Betriebsgeländes, auf dem Zulieferer ihre Werkstätten zu errichten begonnen hatten, an die »betrogenen« Bauern zurückzugeben. Die TC-Aktivisten blockierten die Zufahrten zum Singur-Werk sowie eine Nationalstraße in der Nähe, die Versorgungsader für die Metropole Kolkata ist. Hunderte Lastwagen mit verderblichen Waren blieben liegen, ein beträchtlicher Schaden entstand. Die LKW-Assoziation schaltete sich ein. In Kolkata stiegen die Preise für Gemüse, Milch und andere Waren.

Westbengalens Gouverneur Gopalkrishna Gandhi – ein Nachkomme des Mahatma – intervenierte und appellierte an TC-Chefin Mamata Banerjee, wenigstens Verhandlungen zuzustimmen. Zögerlich hatte diese zu Beginn der letzten Woche eingewilligt, jedoch nur unter der Bedingung, dass die TC die beabsichtigte Landrückgabe durchsetzen kann.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2008


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