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Bitterer Tee auf Nowera Nuddy

Das weltweite Unternehmen Tata Tea prosperiert – auf Kosten der Plantagenpflücker

Von Jürgen Weber *

Indien und Tee – das scheint untrennbar zusammenzugehören. Doch die Geschichte der Pflanze, aus der das aromatische Getränk auf dem Subkontinent gewonnen wird, ist noch keine 180 Jahre alt.

Bei einer Fahrt durch die nordwestlichen Regionen des indischen Bundesstaates West-Bengalen gehört die beeindruckende Schönheit des Panoramas der sich sanft an verschlungene Hügellandschaften anschmiegenden Teesträucher mit zu den eindrucksvollsten Landschaftsbildern. Der verklärte Blick des Betrachters maskiert jedoch die harten Arbeitsbedingungen der PlantagenarbeiterInnen und TeepflückerInnen. Wer dagegen protestiert und auf die Einhaltung von Arbeitsrechten besteht, ist nicht selten der Willkür seitens der Plantagenbesitzer ausgesetzt.

Zusammen mit neun weiteren PlantagenarbeiterInnen betrat die 23-jährige Teepflückerin Arti Oraon am 7. Mai zum ersten Mal in ihrem Leben die Schwelle des Gerichts in Jalpaiguri, der Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks in West-Bengalen, um mit einem Antrag auf Zulassung einer Kautionszahlung die drohende Verhaftung zu verhindern.

Wenige Tage zuvor waren sie von der lokalen Firmenleitung der zum indischen Konzern Tata Tea gehörenden Teeplantage »Nowera Nuddy« im Jalpaiguri-Bezirk des Diebstahls, der schweren Körperverletzung und wegen nicht genehmigter Versammlungen angezeigt worden. Kommt es zu einem Verfahren, kann dies für die Beschuldigten eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich ziehen.

Zur gleichen Zeit, als die ArbeiterInnen vor das Bezirksgericht traten, feierte Tata Tea, ein Unternehmen aus der Tata-Industriegruppe, mit großem medialem Aufwand seine Umbenennung in Tata Global Beverage als ein Symbol für den Aufbruch zu einer »neuen und starken globalen Marke«. Von den bedrückenden Lebensbedingungen in den von Tata Tea kontrollierten Teeanbaugebieten erfuhr die Öffentlichkeit nichts.

Im August waren der Teepflückerin Oraon, im achten Monat schwanger, der gesetzlich garantierte Mutterschaftsurlaub sowie eine medizinische Versorgung in der Krankenstation der Plantage verweigert worden, nachdem sie während der Arbeit auf den Teefeldern zusammengebrochen war. Das indische Mutterschutzgesetz von 1961 regelt das Beschäftigungsverhältnis von Frauen für bestimmte Zeiten vor und nach der Geburt. Spontan protestierte etwa die Hälfte der insgesamt 1000 Beschäftigten auf der Plantage und forderte von der Unternehmensleitung umgehende Sanktionen gegen den verantwortlichen Arzt sowie den Leiter der lokalen Verwaltung der Plantage.

Tata Tea reagierte darauf mit der zweiwöchigen Schließung der Plantage und der Kündigung von acht Arbeitern, denen vorgeworfen wurde, zu den Protesten gegen die lokale Verwaltung aufgerufen zu haben. Seitdem war das Unternehmen an über 100 Tagen geschlossen. Das hieß: Kein Einkommen für die Beschäftigten. Für viele von ihnen war das bereits existenzbedrohend. Die lokalen Behörden begannen deshalb im November mit der Ausgabe von Essenrationen an die Familien auf der »Nowera Nuddy«.

Zeiten großer wirtschaftlicher Not sind nicht selten auf Indiens Teeplantagen. Lange Zeit konnte das Land seine Teeproduktion kontinuierlich steigern, doch infolge des Preisverfalls für Rohtee liegen die Produktionskosten für Tee heute über dem Preis, der sich mit seinem Verkauf erzielen lässt. »Arbeitsplatzverluste auf breiter Front, Mangelernährung und Hungersnöte«, so erklärt Jasper Goss von der International Union of Food, Agricultural, Hotel and Allied Workers' Associations (IUF), einer internationalen Vereinigung von Einzelgewerkschaften, »sind das Resultat zahlreicher Stilllegungen von Teeplantagen im letzten Jahrzehnt«.

Zur Unterstützung der Planta- genarbeiterInnen auf »Nowera Nuddy« startete die IUF im November eine E-Mail-Kampagne. In Protestschreiben wird der weltweit zweitgrößte Teeproduzent Tetley Tea aufgefordert, sich entsprechend den freiwilligen Sozialstandards der Ethischen Teepartnerschaft (ETC) für soziale Gerechtigkeit und menschliche Lebensbedingungen auf der Teeplantage einzusetzen. Tetley Tea, einer der Initiatoren der ETC, ist ein Tochterunternehmen der Tata-Gruppe und verarbeitet den auf der »Nowera Nuddy« angebauten hochwertigen Tee zu den berühmten Tetley-Teepäckchen.

In einem Schreiben an die IUF vom 12. Dezember, der bisher einzigen öffentlichen Reaktion auf die Kampagne, bestreitet Tetley Tea ein Fehlverhalten im Fall Oraon. Man wisse, fügte Peter Unsworth, Geschäftsführer von Tata Tea hinzu, dass »die schwangere Frau einen gesunden Jungen geboren hat und es beiden gut geht.«

Unerfüllt sind weiter die Forderungen nach Zahlung des ausstehenden Lohns für die junge Mutter für die Zeit der Betriebsschließung sowie nach Rücknahme der Kündigungen. Mit den Beschuldigungen gegen Oraon und andere kündigt sich sogar eine neue Stufe der Eskalation des Konflikts auf der »Nowera Nuddy«-Teeplantage an. Die IUF (www.iuf.org) ruft zur Solidarität mit den PlantagenarbeiterInnen auf.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2010


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