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Indiens Regierung steht unter Druck der Hardliner

Politikwissenschaftler Prashad: Jetzt kühlen Kopf bewahren

Vijay Prashad ist Leiter der Abteilung für Geschichte Südasiens am Trinity College in Hartford (US-Bundesstaat Connecticut). Er leitet zudem den Bereich für internationale Politik an dieser Hochschule. Sein letztes Buch »The Darker Nations: A People's History of the Third World« (Die dunkleren Nationen: Eine Geschichte der Völker der Dritten Welt) wurde in den USA unlängst mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" Harald Neuber. Wir dokumentieren im Folgenden das Interview.



ND: Nach den Terrorangriffen in der indischen Metropole Mumbai (Bombay) haben der Innenminister und der Sicherheitsberater ihren Rücktritt eingereicht. Das werden vermutlich nicht die letzten Konsequenzen sein.

Prashad: Nein, es wird wohl noch weitere Rücktritte geben. Aber das ist nicht das Wichtigste. Meine Befürchtung ist, dass nun ein Anti-Terror-Gesetz durchgesetzt wird. Dieses Vorhaben war 2004 nach dem Vorbild des US-amerikanischen Anti-Terror-Gesetzes Patriot Act lanciert, dann aber abgelehnt worden. Es würde den Staatsorganen z. B. erlauben, Verdächtige ohne Wahrung der Grundrechte über längere Zeit zu inhaftieren. Eine Folge der Anschläge könnte zudem eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Hindus und Muslimen sein.

Welche Auswirkungen sehen Sie für das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan?

Ich hoffe, dass alle einen kühlen Kopf behalten. Die politische Rechte in Indien drängt auf einen Krieg mit Pakistan. Die radikale Hindu-Partei BJP hat schon offen solche Angriffe gefordert. Die BJP hat sich dabei an der Politik der Bush-Regierung in den USA nach den Terroranschlägen von 2001 orientiert. Das ist ungemein gefährlich, da es sich bei Indien und Pakistan um Atommächte handelt. Zudem gibt es keine Beweise, dass die pakistanische Regierung etwas mit den Anschlägen von Mumbai zu tun hat; höchstens Gruppen, die von Pakistan aus operierten.

Trotzdem könnte es erneut Ausschreitungen gegen Muslime in Indien geben.

Ich sehe dafür keine direkte Gefahr. Selbst wenn es sich bei den benannten Männern tatsächlich um die Täter handelt, so kommen sie nicht aus der muslimischen Gemeinschaft Indiens. Sie gehören demnach zu dem Teil der pakistanischen Gesellschaft, der tief frustriert über die Politik Islamabads in Kaschmir ist. Vielleicht wollten sie Pakistan in einen bewaffneten Konflikt mit Indien treiben. All das zeigt die Notwendigkeit, den Kaschmir-Konflikt zu lösen.

Sie haben die muslimischen Extremisten in der Region unlängst als »Überbleibsel des afghanischen Dschihad« der 80er Jahre bezeichnet. Welche Indizien gibt es dafür?

Eine der in Südasien führenden militanten muslimischen Gruppen, Lashkar-e-Toiba (Armee der Frommen), wurde 1991 - also unmittelbar nach Ende des afghanischen Dschihad - von Veteranen dieses Krieges gegen die UdSSR gegründet. Einst von Saudi-Arabien und den USA finanziert, setzte Lashkar-e-Toiba nun seinen Krieg in Kaschmir fort.

Sind wir also tatsächlich Zeugen eines »indischen 11. September« geworden?

Im übertragenen Sinne könnte man das sagen: Der Angriff richtete sich auch in Indien gegen das Finanzzentrum des Landes. Im engeren Sinne gibt es Unterschiede. Sonst müsste Indien jetzt ja einen Drittstaat angreifen und im Inneren Bürgerrechte aushebeln. Ich fürchte, dass der Vergleich zum 11. September in den USA von Medienkonzernen bewusst hergestellt wird, um nun auf rasche militärische »Lösungen« drängen zu können.

Wie beurteilen Sie die Politik von Premier Manmohan Singh?

Er steht unter einem enormen Druck der Rechten. Man kann nur hoffen, dass er den Hardlinern nicht nachgibt. Trotzdem hat es den Anschein, dass er den Druck auf Pakistan beibehalten wird. Das würde zu einer weiteren Verhärtung der Fronten führen. Noch einmal: Jetzt müssen alle Beteiligten einen kühlen Kopf bewahren.

Sie haben von den rechten Hardlinern der hinduistischen BJP gesprochen. Wie aber verhält sich die Linke?

Die Kommunistischen Parteien in Indien und Pakistan haben vor übereilten Reaktionen gewarnt und zur Einheit aufgerufen. Die KP Indiens (Marxisten) fürchtet, dass politische Außenseiter die Situation für die eigenen Ziele nutzen könnten. Die Kommunistische Arbeiter- und Bauernpartei in Pakistan hat nach den Anschlägen, die Menschen in beiden Ländern zum »gemeinsamen Einsatz für Frieden« und zum »Kampf gegen Extremismus und Terror in allen Formen« aufgerufen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


Delhi jagt den Terror-Don

Gesuchter Gangsterboss Dawood hat auch mit der CIA kooperiert

Von Jürgen Elsässer **

Indien fordert wegen des Mumbai-Terrors von Pakistan die Auslieferung von 20 Verdächtigen.

Der US-Geheimdienstkoordinator Michael McConnell sieht die pakistanische Rebellengruppe Lashkar-e-Toiba (LeT) hinter der Anschlagserie in der indischen Metropole Mumbai. »Die Gruppe, die unserer Ansicht nach (...) verantwortlich ist, verübte 2006 einen ähnlichen Angriff auf einen Zug«, sagte McConnell am Dienstag.

Kurz zuvor hatte das indische Außenministerium Pakistan eine Liste mit Auslieferungsgesuchen von 20 angeblichen LeT-Kadern und Unterstützern übergeben. Unter den Gesuchten ist auch ein gewisser Ibrahim Dawood, den der einzige gefasste Mumbai-Attentäter Ajmal Kasab als Drahtzieher angegeben haben soll. Seine Männer sollen die Überfahrt der Terroristen in einem Boot von Karatschi nach Mumbai organisiert haben.

Der »Don« - so der Gangstername Dawoods - wird von Buchautor Albert King als »gefährlichster Mann der Welt« bezeichnet, der Publizist Ghulam Hasnain sieht in ihm einen »Top-Spion« Pakistans. Bewiesen ist jedenfalls, dass er einer der Top-Kriminellen des Subkontinents ist. In den achtziger Jahren begann er in Mumbai mit Glücks-spiel, Drogen und Prostitution, ließ Rivalen aus dem Weg schießen und kaufte sich in die Bollywood-Filmindustrie ein. Der muslimische, aber mondäne Lebemann radikalisierte sich, als Ende 1992 ein fanatischer Hindu-Mob 2000 Muslime lynchte. Zur Vergeltung organisierte Dawood im März 1993 eine Anschlagserie in Mumbai, der 257 Menschen zum Opfer fielen, 1400 wurden verletzt. In der Folge soll er in Pakistan Unterschlupf gefunden haben.

Während die US-Geheimdienste Dawood mit LeT und Al Qaida in Verbindung bringen, verschweigen sie ihre eigenen Beziehungen zu dem Gangster aus der Zeit des afghanischen Dschihad gegen die Sowjettruppen vor 20 Jahren. »Dawood unterstützte persönlich streng geheime US-Geldtransaktionen an die afghanischen Rebellen über amerikanisch-geführte Kasinos in Kathmandu«, schreibt Yoichi Shimatsu, ehemaliger Redakteur der Tageszeitung »Japan Times«. Der Kaschmir-Experte geht davon aus, dass die Pakistanis den Gesuchten gar nicht ausliefern können, weil er mit US-Hilfe im Juni dieses Jahres nach Quetta im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gebracht worden sei. »US-Diplomaten können Dawoods Rückkehr niemals erlauben. Er weiß einfach zu viel über Amerikas dunklere Geheimnisse in Südasien und am Golf, was die Beziehungen zwischen Indien und den USA erschüttern könnte.«

Pakistan hat bereits angekündigt, keine Pakistanis an Indien auszuliefern, sondern ihnen höchstens im eigenen Land den Prozess zu machen. Dawood allerdings fiele nicht darunter, denn er ist indischer Staatsbürger.

** Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


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