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Fest im Sattel

Indien: Linksfront bildet Regierung im Bundesstaat Tripura

Von Hilmar König *

Im nordostindischen Bundesstaat Tripura wird am Mittwoch eine neue Koalitionsregierung vereidigt. Wie seit 1993 hier üblich wird es wieder ein linkes Kabinett sein. Die aus der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch), der KP Indiens, der Revolutionären Sozialistischen Partei und dem Vorwärtsblock bestehende Linksfront errang Ende Februar einen überwältigenden Sieg bei den Wahlen zur Volksvertretung des Bundesstaates. Prakash Karat, der Generalsekretär der KPI (M), kommentierte den Erfolg: »Es ist ein historischer Sieg, weil die Linksfront zum fünften Mal in Folge gewählt wurde. Das zeigt, daß die Politik und die Leistungen der Regierung unter Chefminister Manik Sarkar breite Akzeptanz unter den Massen gefunden hat.«

Für Indiens Linke war das Votum in Tripura auch entscheidend, weil der Bundesstaat die letzte »rote Festung« Indiens ist. 2011 hatte die Opposition bei Wahlen die bis dahin ebenfalls links regierten Staaten Kerala und Westbengalen erobern können. Nach dem Debakel dort wurde schon über ein endgültiges Verschwinden der Linksfront von der politischen Bühne Indiens orakelt. Doch Tripuras Wähler haben den Trend gestoppt. 94 Prozent der 2,3 Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung – ein Rekord im gesamtindischen Maßstab. Die Linksfront errang mit 50 der insgesamt 60 Parlamentssitze das zweitbeste Ergebnis aller Zeiten. Nur 1978 waren es noch sechs Mandate mehr gewesen. Allein 49 Sitze gewann die KPI (M), das andere Mandat gewann die KPI. Die oppositionelle Kongreßpartei zieht lediglich mit zehn Vertretern in das Abgeordnetenhaus ein. Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse kam es zu Zusammenstößen zwischen jubelnden Siegern und frustrierten Verlierern sowie zu Brandstiftungen. Die Polizei sprach von insgesamt etwa 100 Verletzten. Eine Person soll ums Leben gekommen sein.

Der bisherige Chefminister Tripuras, der 64 Jahre alte Manik Sarkar von der KPI (M), wird auch der neue Regierungschef sein. Nüchtern kommentierte er: »Ich habe nichts außergewöhnliches getan. Wir haben nur versucht, unser Bestes zu geben, um alle Versprechen aus dem Wahlmanifest von 2008 einzulösen.« Selbst seine Gegner räumen ein, daß er ein unbescholtener, bescheidener Politiker ist. Sein Gehalt als Regierungschef von 9200 Rupien (etwa 130 Euro) führt er an seine Partei ab, die ihm 5000 Rupien als monatliche Aufwandsentschädigung zahlt. Der Wert seines gesamten persönlichen Besitzes wird auf umgerechnet nicht mehr als 3500 Euro geschätzt. In Indien gilt er deshalb als der »sauberste und ärmste Chefminister«. Sein Berater Noni Paul äußerte dazu: »Er mag unter finanziellen Gesichtspunkten der ärmste Chefminister sein. Aber wenn es darum geht, die Herzen der Menschen zu erobern, ist er der reichste.«

Die größte Errungenschaft in diesem kleinen Bundesstaat im Nordosten, der von der Zentralregierung in Neu-Delhi trotz seiner strategischen Bedeutung noch immer vernachlässigt wird, ist die weit über dem nationalen Durchschnitt liegende Rate von 90 Prozent Lese- und Schreibkundigen. Tripura ist weitgehend von dem Territorium Bangladeschs umschlossen und hat deshalb nur schwache Verbindungen zum »Mutterland«: Der Highway Nr. 44 ist die einzige Straße. Hinzu kommen seit 2009 eine einspurige Eisenbahnlinie ins benachbarte Assam sowie der Flughafen in der Hauptstadt Agartala. Im Index menschlicher Entwicklung der insgesamt 35 Bundesstaaten und Bundesterritorien Indiens liegt das landwirtschaftlich geprägte Tripura auf Position 18. Nach offiziellen Angaben der Zentralstatistik leben 22 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, Tripuras Behörden schätzen den Anteil auf knapp über 50 Prozent.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 05. März 2013


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