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Am Scheideweg

Letzte innerindische Verhandlungsrunde zum Nuklearpakt mit den USA beginnt. Hungerstreik in der Hauptstadt

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Seit einer Woche haben drei Studentinnen und drei Studenten aus dem südindischen Kerala auf dem Gelände Janatar Mantar im Zentrum Neu-Delhis, vergleichbar mit dem Londoner Hyde-Park, ihr Quartier unter freien Himmel aufgeschlagen. Mit einem Hungerstreik protestieren sie gegen das zwischen den USA und Indien ausgearbeitete Kooperationsabkommen für den zivilen nuklearen Bereich. Es liegt unterzeichnungsreif vor. Indien verpflichtet sich darin, seinen militärischen vom zivilen Atomsektor zu trennen und erhält dafür auf kommerzieller Basis moderne Nukleartechnologie, die angeblich unabdingbar für die Befriedigung seines ständig wachsenden Energiebedarfs ist. Für den »Nukleardeal« sind außer der Regierung, die Atomlobby – Wissenschaftler, Techniker und Geschäftsleute – sowie Militärstrategen. Denn der Pakt wird im größeren Zusammenhang der US-indischen strategischen Partnerschaft gesehen.

Gegen den Deal ist eine deutliche Mehrheit im Zentralparlament, allen voran die linken Parteien, die die Auswirkungen des Abkommens in einem speziellen Komitee mit der Regierungsseite von einer unmißverständlich ablehnenden Position aus beraten. Der Pakt, so der Haupteinwand, richtet sich gegen die nationalen Interessen Indiens, untergräbt dessen Souveränität und ist ein erster Schritt, das Land in die geostrategischen Pläne der USA zu integrieren, unter anderem als Gegengewicht gegen China. Vom rechten Flügel, der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP), kommt ebenfalls Widerstand, wenn auch mit anderen Argumenten. BJP-Veteran und Oppositionsführer Lal Krishna Advani erklärte am Wochenende, seine Partei sei nicht gegen eine »strategische Freundschaft« mit Washington, doch der Pakt sei zwischen zwei Ungleichen geschlossen worden – mit Indien als dem Benachteiligten. Ihm würden damit weitere Nukleartests verboten. Wenn das der Preis sei, den Neu-Delhi für Atomkraft zu zahlen habe, lehne die BJP den Deal ab.

Am heutigen Montag (17. März) beginnt das erwähnte Komitee eine neue Beratungsrunde, von deren Ausgang sogar der Bestand der gegenwärtigen Regierung abhängt. Bleiben die Linken bei ihrem Nein, dann muß Premier Manmohan Singh entscheiden, was wertvoller ist: das Abkommen mit den USA oder der Fortbestand seiner Koalition, die von den Linken »von außen unterstützt« wird. Entfällt diese Assistenz, dann verliert die Regierung ihre Mehrheit. Prakash Karat, Generalsekretär der KP Indiens (Marxistisch), versicherte im Magazin Outlook: »Unsere Grundposition hat sich nicht geändert. Die Regierung kann den Nukleardeal nicht durchboxen.«

Unterdessen bekamen die sechs tapferen Hungerstreikenden am Samstag prominenten Besuch. Die Autorin, Sozial- und Menschenrechtsaktivistin Arundhati Roy erklärte sich mit ihnen solidarisch. Sie lobte die Jugendlichen wegen derer »moralischen Stärke« und bewunderte das Engagement für ein Anliegen, das so ganz anders sei als der verbreitete Konsumwahn und die Einkaufskultur. Der Protest sei zudem ein Hinweis darauf, daß sich immer mehr junge Leute für eine Welt ohne Kernwaffen und gegen Atomkraft einsetzen – eine Forderung des jüngst in Delhi tagenden Weltkongresses der Ärzte gegen den Atomkrieg.

* Aus: junge Welt, 17. März 2008


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