Indiens atomare Schaukelpolitik zwischen den Großmächten
Singh in Moskau - Burns in Delhi: Indien will außenpolitische Unabhängigkeit demonstrieren
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel des Südasien-Korrespondenten Hilmar König. Der eine befasst sich mit dem Besuch des US-Unterstaatssekretär Nicholas Burns in Delhi, womit der Staatsbesuch des US-Präsidenten im kommenden Jahr vorbereitet werden soll. Der zweite Artikel handelt vom Besuch des indischen Außenministers Natwar Singh in Moskau, der ebenfalls in dieser Woche stattfand.
Umstrittener Nukleardeal der USA und Indiens
Washington will Delhi zu einem treuen Gefolgsmann seiner atomaren Politik machen
Von Hilmar König, Delhi
Die USA und Indien arbeiten eifrig daran, das im Juli geschlossene Abkommen über nukleare
Zusammenarbeit in die Praxis umzusetzen, bevor Präsident Bush im Februar 2006 zum offiziellen
Besuch nach Indien kommt. Unterstaatssekretär Nicholas Burns weilte deshalb in Delhi.
Was Burns am Wochenende vor der Presse begeistert als »sehr gutes, umsetzbares Abkommen«
pries, stößt in der indischen Öffentlichkeit auf anhaltende Kritik. Man fragt, welchen Nutzen Indien
aus dem Deal zieht.
Washington verspricht, Kernbrennstäbe für indische Reaktoren und modernes nukleares Knowhow
für den Zivilsektor zu liefern und auch seine Partner in der so genannten Gruppe der
Nuklearlieferanten (NSG) zu überzeugen, das diesbezügliche nach den ersten indischen Atomtests
1974 verhängte Embargo aufzuheben. Bei dem jüngsten NSG-Treffen in Wien gelang es den USA
allerdings nicht, ihre Verbündeten zu einem solchen Schritt zu bewegen. Im Gegenzug verpflichtet
sich Delhi in dem Abkommen, auf weitere Atomtests zu verzichten, seine zivilen von den
militärischen Atomanlagen zu trennen und die zivilen der Kontrolle der IAEA zu unterstellen. Damit
gibt es nach Ansicht etlicher Experten sein erklärtes Ziel auf, sich vor allem gegen China und
Pakistan mit einer »minimalen nuklearen Abschreckung« zu wappnen.
Sie sind zugleich davon überzeugt, dass die USA Indiens zivile Atomtechnologie entscheidend
beeinflussen, denn die mit angereichertem Uran betriebenen Leichtwasserreaktoren, für die die
Brennstäbe gedacht sind, würden die einheimische und damit unabhängige auf Plutonium-Thorium
basierende Technologie ablösen.
Die Einführung der neuen Verfahren, so lautet ein weiterer Einwand, mache eine Investition von bis
zu zehn Milliarden Dollar erforderlich und dauere mindestens zehn Jahre, um am Ende den Anteil
der Atomkraft von jetzt drei auf dann immer noch bescheidene sechs Prozent des gesamten
indischen Energieaufkommens zu erhöhen.
Der indische Staatssekretär im Außenministerium Shyam Saran legte nach den Gesprächen mit
Nicholas Burns dar, dass Delhi an einem Gesetz gegen Massenvernichtungswaffen arbeitet, seine
Exportkontrollliste der Gruppe der Nuklearlieferanten und dem Kontrollregime für
Raketentechnologie anglich und sich verpflichtete, keine Anreicherungstechnik an Drittländer zu
liefern. Das alles seien großzügige Vorleistungen, meinen Kritiker. Damit, so lobte hingegen Burns,
werde die »Großmacht Indien« ein Partner im globalen Bemühen um die Nichtweiterverbreitung von
Nuklearwaffen und -technologie und könne mit Washington dabei kooperieren, »Frieden und
Stabilität in der Welt zu fördern«.
Wie sich die USA diese Kooperation vorstellen, wurde beim IAEA-Treffen am 24. September in Wien
demonstriert. Indien stimmte dort auf Druck Washingtons und der EU-Troika gegen Iran – eine
Entscheidung, die von den linken Parteien scharf verurteilt wurde und die zu einer weiteren ernsten
Belastungsprobe bei deren Unterstützung für die Regierung der Vereinten Progressiven Allianz zu
werden droht. Die Linken fordern unmissverständlich, die Haltung zu Teheran zu revidieren, sollte es
bei der nächsten IAEA-Tagung im November zu einer Abstimmung kommen.
Unterstaatssekretär Burns verwies indes in der vergangenen Woche vor New Yorks Asien-
Gesellschaft darauf, dass Indiens Votum gegen Iran sich nur positiv auswirken kann, wenn es im
USA-Kongress zur Abstimmung über das Nuklearabkommen kommt. Vor diesem Hintergrund
werden die linken Parteien am 28. Oktober in Delhi ein Seminar und am nächsten Tag eine Tagung
über den Wandel in der indischen Außenpolitik veranstalten.
Aus: Neues Deutschland, 25. Oktober 2005
Delhis Befreiungsschlag
Indiens Außenminister will sich bei Besuch in Rußland um Ausgleich in Nuklearfragen bemühen. Visite soll auch Bild zu enger Partnerschaft mit USA kaschieren
Von Hilmar König
Wenn Außenminister Natwar Singh am heutigen Dienstag [15.10.2005] in Moskau zu einem viertägigen Besuch eintrifft, hat er nicht nur die für das Jahresende geplante Staatsvisite seines Premiers Manmohan Singh vorzubereiten. Im Gepäck trägt er einen dicken Katalog von Themen mit, die schon jetzt zu beraten sind. Gerade weilte US-Unterstaatssekretär Nicholas Burns in Neu-Delhi, um Nägel mit Köpfen für das im Juli in Washington unterzeichnete Nuklearabkommen zu machen. Es bindet Indien auf einem wesentlichen Sektor an die USA. Washington verspricht darin, atomare Brennstäbe sowie moderne Kerntechnologie für den indischen Zivilbereich zu liefern und auch die sogenannte Gruppe der Nuklearlieferanten (NSG) zu bewegen, das nach den ersten indischen Atomtests 1974 verhängte Embargo zu den Akten zu legen. Neu-Delhi hat dafür auf weitere Atomtests zu verzichten, einen klaren Trennstrich zwischen ziviler und militärischer Nutzung von Kernenergie zu ziehen sowie die zivilen Atomanlagen der Kontrolle der IAEA zu unterstellen.
Im ersten Anlauf scheiterte der Versuch der USA, beim kürzlichen NSG-Treffen in Wien die Zustimmung für ein Ende der nuklearen Restriktionen gegen Indien zu erwirken. Natwar Singh wird sich nun darum bemühen, daß Moskau seinen Einfluß auf die NSG im indischen Sinne geltend macht. Ob sich die Russen tatsächlich vor diesen Karren spannen lassen, bleibt abzuwarten. Denn zur Debatte steht ein weiteres brisantes »Nuklearthema«: das zivile Atomprogramm Irans. US-Außenministerin Condoleezza Rice mußte vor wenigen Tagen unverrichteter Dinge aus Moskau abziehen, wo sie versucht hatte, Rußland gegen Iran zu engagieren. Natwar Singh wird das erst gar nicht erst versuchen, denn beide Länder stehen sich in dieser Frage konträr gegenüber. Neu-Delhi votierte bei der IAEA-Tagung im September gegen Iran, während Moskau sich der Stimme enthielt. Der gemeinsame Nenner kann nur heißen, das heiße Eisen Iran nicht vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen, sondern im Rahmen der IAEA zu behandeln. Daran zumindest sind beide Seiten interessiert.
Der indische Minister wird außerdem eine Delegation zur Tagung der gemeinsamen zwischenstaatlichen Kommission für Handel, wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische und kulurelle Kooperation leiten. Dabei steht Indiens »Energiehunger« besonders im Fokus. Im Laufe eines Jahres war Ölminister Mani Shankar Aiyar dreimal in Moskau, um entsprechende Geschäfte anzuschieben. Rund drei Milliarden Dollar hat Indien schon in ein Öl- und Gasprojekt auf Sachalin investiert und hofft, einen noch größeren Anteil an den russischen Ressourcen zu ergattern.
Mit dem Moskau-Besuch will die indische Diplomatie zweifellos den nicht nur bei den heimischen linken Parteien bestehenden Eindruck verwischen, daß sich die Regierung der Vereinten Progressiven Allianz mehr und mehr von den USA habe eingarnen lassen. Natwar Singh hat eine Art »Befreiungsschlag« zu vollbringen, mit dem die Unabhängigkeit der indischen Außenpolitik demonstriert werden soll.
Aus: junge Welt, 25. Oktober 2005
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