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Recht auf Meinung

US-Vizepräsident Joe Biden besucht Indien. Hauptthema ist die wirtschaftliche und militärische Kooperation

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Durch die diplomatische Blume hat Indiens Vizepräsident Hamid Ansari US-Vizepräsident Joe Biden auf das Recht Neu-Delhis verwiesen, von Washington abweichende Meinungen zu vertreten. Biden weilt seit Montag in Indien. Bislang hatte er Gespräche in Neu-Delhi und Mumbai, am heutigen Donnerstag endet sein offizieller Besuch. Bidens Visite bildet einen weiteren Höhepunkt in dem unverkennbar immer enger werdenden Verhältnis zwischen den USA und der südasiatischen Regionalmacht.

Erst im Juni war US-Außenamtssekretär John Kerry in Neu-Delhi, um den strategischen Dialog zu fördern und auf die Schaffung noch günstigerer Bedingungen für US-Unternehmen auf dem Subkontinent zu zu drängen. Im Gegenzug weilte Neu-Delhis Regierungselite im Wirtschaftsbereich in den USA: Finanzminister Palaniappan Chidambaram, Handelsminister Anand Sharma und Montek Singh Ahluwalia, führender Kopf in der staatlichen Planungskommission und treibende Kraft des marktwirtschaftlichen Umgestaltungskurses. Bidens Gespräche mit Premier Manmohan Singh am Dienstag dienten zudem der Vorbereitung von dessen USA-Besuch im September. Der Gast lobte die Inder, in denen Washington ein wertvolles Gegengewicht zu China sieht, über den Klee. Mit kaum einem anderen Land in der Welt gebe es so viele Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten bei der Beurteilung der globalen Entwicklungen. Vizepräsident Ansari erlaubte sich, diese Behauptung zu korrigieren. Indien würde sich, wie es die USA tun, auch gern des Rechts auf Nichteinverständnis erfreuen, »ohne unser Bemühen um das gemeinsame Wohl aus dem Blick zu verlieren«. Freundschaft sei wie eine langsam reifende Frucht, die behutsames Behandeln erfordere.

Tatsächlich gibt es zu den Konflikten in Afghanistan, Irak, Iran und Syrien auseinandergehende Ansichten. Neu-Delhi hält beispielsweise wenig davon, mit den radikalen Taliban zu verhandeln und schaut mit ziemlicher Sorge auf das mögliche Szenario in Afghanistan nach dem Abzug der NATO-Truppen. Bei den intellektuellen Eigentumsrechten, einem Freihandelsabkommen und der Visavergabe für indische Softwareexperten hat man ebenfalls noch keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Es holpert auch beim Bemühen Washingtons, sich in Indien stärker bei der friedlichen Nutzung von Atomenergie – bislang eine Domäne der Russen – zu engagieren. Der US-Elektrotechnik-Konzern Westinghouse unterbreitete zum Beispiel Pläne, in Gujarat Kernreaktoren zu bauen. Doch auch hier liegt ein Stolperstein auf dem Weg: Die Verantwortlichkeit im Falle eines Atomunfalls liegt nach indischem Gesetz in hohem Maße beim Hersteller und Lieferanten der Anlagen. In einem Punkt haben sich die USA durchgesetzt: Indien hat den Anteil von Auslandsdirektinvestitionen in verschiedenen Bereichen deutlich erhöht.

Daß sich in Bidens Begleitung auch hohe Militärs befanden, darunter der Chef des Pazifikkommandos der US-Navy, liegt in der Natur der bilateralen Beziehungen, die einen starken militärischen Akzent haben. Seit Jahren gibt es gemeinsame Seemanöver. Im Verteidigungssektor steht eine noch intensivere Zusammenarbeit an. Die Rüstungsindustrie der USA ist scharf auf den Verkauf von Mehrzweckhelikoptern für die indische Marine, ein Geschäft im Volumen von sieben Milliarden Dollar. Die Lieferung von Transportmaschinen ist ebenfalls im Gespräch. Nach wie vor zeigt Indien starkes Interesse an gemeinsamer Forschung und Entwicklung von Kriegsgerät. Während Washington hier zögerlich agiert, zeigt sich Moskau kooperativer, bis hin zur Lizenzvergabe und kollektiver Produktion auf indischem Gebiet. Bis Premier Singh im September in die USA fliegt, sollen etliche Abkommen unterschriftsreif und einige Stolpersteine beseitigt sein. Neu-Delhi wird allerdings auch dann auf seinem Recht beharren, seine eigenen Interessen zu vertreten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Juli 2013


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