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Linke verliert

Indien: Oppositioneller Trinamool Congress gewinnt Kommunalwahlen im Bundesstaat Westbengalen

Von Hilmar König *

Die seit 33 Jahren ununterbrochen regierende Linksfront im indischen Bundesstaat Westbengalen mußte bei den Kommunalwahlen vom Sonntag (30. Mai) eine herbe Niederlage quittieren. Die Oppositionspartei Trinamool Congress (TC) landete einen Kantersieg und fordert, die für nächstes Jahr fälligen Wahlen zur Volksvertretung Westbengalens auf Oktober 2010 vorzuziehen. Ihre Spitzenpolitiker verlangten den Rücktritt der Linksfrontregierung, wenn diese noch »über ein Quentchen Selbstachtung« verfüge. Die Linken denken aber nicht daran, das Handtuch zu werfen. Sie geben zwar zu, nicht wie erwartet abgeschnitten zu haben. Doch glauben sie, den Abwärtstrend, wie er sich 2009 bei den Parlamentswahlen offenbarte, gestoppt zu haben und sich im »Prozeß der Erholung« zu befinden. Das erklärte am Mittwoch (2. Juni) Nilotpal Basu, Politbüromitglied der KPI (Marxistisch). Im Mai 2009 war der Sitzanteil der Linksfront im Zentralparlament in Neu-Delhi von 35 auf 15 geschrumpft, während die Allianz aus TC und Kongreßpartei 27 Sitze gewann.

Das am Mittwoch ((2. Juni) veröffentlichte Resultat aus Kolkata (früher Kalkutta) läßt freilich von »Erholung« wenig erkennen. In der westbengalischen Metropole zog der TC mit 97 von 141 Abgeordneten - ein Plus von 55 - in die Stadtverwaltung ein. Die Linksfront hingegen büßte 42 Sitze ein und ist nun mit 33 Abgeordneten vertreten. Auch in den meisten anderen der 81 Kommunalverwaltungen lag der Trinamool Congress vor den Linken. Die Kongreßpartei, die mit dem TC gemeinsam in der regierenden Vereinten Progressiven Allianz in Neu-Delhi sitzt, bei den Kommunalwahlen aber selbständig antrat, schnitt nach Aussage von Finanzminister Pranab Mukherjee schlecht ab und liegt weit hinter dem TC und der Linksfront. Mukherjee beglückwünschte TC-Chefin Mamata Banerjee zu ihrem »Riesenerfolg«. Die eingefleischt antikommunistische Politikerin ist Indiens Eisenbahnministerin und strebt mit allen Mitteln danach, die Linksfront in Westbengalen zu stürzen und Chefministerin dieses Bundesstaates zu werden.

Eigentlich haben Kommunalwahlen rein lokale Bedeutung. Doch unverkennbar war diesmal das Votum Bestandteil eines erbitterten politischen Machtkampfes. Deshalb standen die Wasserversorgung, Infrastruktur, Umweltverschmutzung, Sanitärverhältnisse und andere brennende kommunale Probleme nur im Hintergrund. Viel mehr verlief der Wahlkampf in einer ungewöhnlich politisierten Atmosphäre. Selbst das Eisenbahnunglück vom Freitag voriger Woche, bei dem mindestens 145 Menschen starben und über 180 Passagiere Verletzungen erlitten, wurde als Wahlkampfmunition verwendet. Es habe sich dabei um eine »politische Verschwörung« der Linken gehandelt, behauptete Frau Banerjee. Vertreter der Linksfront warfen ihr vor, mit ihrer »Lügenkampagne« religiöse Leidenschaften geschürt und die muslimische Minderheit verunsichert zu haben. Ihre Absicht sei gewesen, Panik, Angst und Schrecken zu verbreiten und Anarchie zu schaffen.

Westbengalens Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee von der KPI (M) erklärte, die Wahlauftritte seiner Kontrahentin gingen unter die Gürtellinie. Sie bediene sich der »Sprache der Unterwelt« und eines »Stils der Nazipropaganda«. Sie unterstütze separatistische Kräfte und kollaboriere mit den militanten, in Westbengalen sehr aktiven Maoisten.

Mamata Banerjee bezeichnete im Gegenzug die KPI (M) als die »reichste Partei in Indien«, deren Führer sich die »Taschen mit öffentlichen Geldern vollstopfen« würden. Es sei höchste Zeit für einen Wandel, für die »Wiedergeburt und Erneuerung Westbengalens«. Den Wandel könne nur ihre Partei als »einzige konstruktive Alternative« bringen. Alle anderen politischen Parteien, die Kongreßpartei eingeschlossen, lieferten lediglich »Sauerstoff für eine sterbende KPI (M)«. Welche Auswirkungen das Ergebnis von Kolkata auf das landesweite Wirken der indischen Linken haben wird, bleibt abzuwarten.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2010


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