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Sturm auf die rote Festung

Wahlen im indischen Bundesstaat Westbengalen. Linke unter Druck

Von Hilmar König *

Am heutigen Montag (18. April) beginnt im indischen Bundesstaat Westbengalen eine für das ganze Land bedeutsame Wahl. In der »roten Festung«, die seit 1977 ohne Unterbrechung von einer Linksfront aus Kommunistischer Partei Indiens (Marxistisch), KPI, Vorwärtsblock und Revolutionärer Sozialistischer Partei regiert wird, findet die erste von sechs Phasen zur Wahl der Assembly statt. Den letzten Durchgang des Votums gibt es erst am 10. Mai.

Die Linksfront sieht sich diesmal der »Jot« gegenüber, einer überaus starken Allianz aus dem regionalen Trinamool Congress (TMC) und der Kongreßpartei, die in den Meinungsumfragen vorne liegt. Eine Niederlage in Kolkata würde einen herben Rückschlag für die indischen Linken bedeuten.

Vor Ort im Distrikt Purulia berichtete gegenüber jW Nikhil Mukherjee, Mitglied des Distriktsekretariats der KPI (Marxistisch) und Führer der Gewerkschaft CITU, über die Lage. Er verwies zunächst auf Erfolge der Linksfront: 84 Prozent der Bauern hätten von der Landreform profitiert. Das in Westbengalen zuerst eingeführte System der Gemeinderäte (Panchayats) habe die ländliche Entwicklung gefördert. Die Kaufkraft sei gestiegen. 80 Prozent der Bevölkerung nutzten das staatliche Gesundheitssystem. Mit der Elektrifizierung und Industrialisierung sei man trotz einiger nicht verwirklichter Großprojekte vorangekommen. Deshalb sei ja die Linksfront 34 Jahre ununterbrochen an der Macht. Und deshalb sei die TMC als momentan stärkste Oppositionspartei in Westbengalen frustriert und wolle mit allen Mittel die Linksfront stürzen.

Der skrupellosen Propaganda der TMC seien viele Bürger aufgesessen, so Mukherjee. Es habe Rückschläge für die Linken gegeben. Doch von einem Desaster könne man nicht sprechen. Die Leute hätten inzwischen begriffen, daß sie mit unhaltbaren Versprechungen betrogen worden seien. Deshalb habe man in den vergangenen Monaten eine Rückkehrbewegung zur Linksfront verzeichnen können. Man habe zum Beispiel ein positives Echo auf ein Maßnahmenpaket bekommen, das unter anderem eine Sozialversicherung für Bau- und Transportarbeiter sowie Renten für ärmere Bürger enthält. Das gebe Anlaß zu Optimismus. »Wir rechnen mit einem Sieg, wenn auch knapper als in der Vergangenheit«, meinte Mukherjee. Damit liegt er auf der Linie von KPI (M)-Generalsekretär Prakash Karat: »Wir werden gewinnen.«

Selbstkritisch hatte Ardhendu Bhushan Bardhan, der Generalsekretär der KP Indiens, vor Beginn des Wahlkampfes eingeschätzt: »Nach 34 Jahren an der Macht ist die Linke in Westbengalen dickköpfig und arrogant geworden. Mir scheint, es gibt eine Entfremdung zwischen unseren Kadern und Aktivisten einerseits und der Bevölkerung andererseits.« Bei den »Entfremdeten« handelt es sich gerade um jene Wählerschichten, die einst von der umfassenden Bodenreform in Westbengalen profitierten. Heute bangen sie darum, daß sie ihr Stückchen Land Industrieprojekten opfern müssen.

Unübersehbar ist, daß die Linken diesmal mit dem Rücken zur Wand stehen. Im Wahlbündnis »Jot« gab Mamata Banerjee, die Chefin des TMC, aggressiv und demagogisch den Ton an: Westbengalen stehe vor der Entscheidung »Demokratie oder Totalitarismus«. Die Linksfront befinde sich im »permanenten Koma« und warte darauf, vom Wähler »begraben zu werden«.

Auch Sonia Gandhi, die Vorsitzende der Kongreßpartei, prangerte »34 Jahre kommunistische Mißwirtschaft« an. Die Linksfront habe bei den Entwicklungsaufgaben »total versagt« und überhaupt nichts für die Wohlfahrt der Menschen getan. Über ein Drittel aller Westbengalen hätten keine Trinkwasserversorgung. Es gebe keine Gesundheitsdienste. Das alles wäre der Linksfront schnuppe. Banerjee und Gandhi erwarten, daß die Wählerschaft mehrheitlich für eine Wachablösung stimmen wird. Am Freitag, dem 13. Mai, wird ausgezählt und verkündet, ob die Linksfront ihre Festung verteidigt oder ob die »Jot« sie gestürmt hat.

* Aus: junge Welt, 18. April 2011


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