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Generalstreik für "Gorkhaland"

Separatisten in Westbengalen legen ganze Region lahm

Von Hilmar König, Delhi *

Während die Kampagne der Gujjar-Kaste im indischen Unionsstaat Rajasthan zur Änderung ihres sozialen Status anhält, plagen die Regierungen in Delhi und auch in Kolkata weitere Sorgen: Im Nordosten fordert die Gorkha Janamukti Morcha (GJM), eine Front Nepali sprechender Inder, einen Separatstaat, der aus einem Teil des Unionsstaates Westbengalen gebildet werden soll.

Seit Dienstag geht nichts mehr in der idyllischen Bergregion um Darjeeling, der einstigen Sommerresidenz der britischen Kolonialisten. Die GJM rief zu einem unbegrenzten Generalstreik auf, der weite Teile des nördlichen Westbengalens und Sikkim lahm legte. Teeplantagen, in denen gerade die Pflücksaison im Gange ist, wurden geschlossen, ebenso Geschäfte, Banken, Büros, Reiseagenturen, Schulen, Hotels. 40 000 Touristen in Sikkim und Darjeeling, Kurseong und Kalimpong versuchten, die Region zu verlassen. GJM-Aktivisten blockierten Straßen, darunter die Nationale Autobahn 31, die Sikkim mit dem Rest Indiens verbindet. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Bürgern, die sich dem Generalstreik widersetzten. Eine Polizeipatrouille und ein Touristenbus wurden angegriffen.

Westbengalens Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee lehnte am Dienstag Gespräche mit den Führern der GJM ab, wenn diese auf einem Separatstaat für Nepalischsprechende bestehen. Über größere Autonomie für den 1988 gegründeten Darjeeling Gorkha Hill Council – ein regionales Verwaltungsgremium – könne jedoch jederzeit verhandelt werden. Die Linksfrontregierung Westbengalens in Kolkata sei bereit zur Gewährung von mehr finanziellen Zuwendungen und mehr administrativen Vollmachten für den Hill Council, sagte der Chefminister.

Doch die Abtrünnigen bleiben stur. »Unsere Forderung nach einem separaten Staat sollte das einzige Thema für künftige Diskussionen mit der Zentralregierung in Delhi und mit der Regierung in Kolkata sein«, erklärte GJM-Generalsekretär Roshan Giri am Dienstag. Und der Chef der Front, Bimal Gurung, rief am gleichen Tag auf einer Massenkundgebung in Kurseong die Befürworter eines Gorkhalands zur Geduld auf. Bis März 2010, versprach er, werde man einen eigenen Unionsstaat gebildet haben. Der Kampf dafür sei jetzt in die entscheidende Phase getreten. »Wir werden unser Ziel unter Einsatz aller Mittel erreichen«, versicherte er seinen Anhängern, die grün-weiß-gelbe Flaggen schwenkten.

Dem Darjeeling Gorkha Hill Council, der von der Nationalen Gorkha-Befreiungsfront geführt wird, hatte Kolkata im Jahre 2005 Verwaltungsvollmachten übertragen und so den in dieser Region siedelnden Indern nepalischer Abstammung Mitspracherecht eingeräumt. Doch Bimal Gurung und die GJM akzeptieren den Hill Council nicht und wollen für die Bergregion und angrenzende Gebiete im Flachland den Status eines Unionsstaates. Während die Regierung in Delhi das Geschehen mit sichtlicher Zurückhaltung verfolgt, schätzt die Linksfront in Westbengalen ein, Gurung habe den »Kontakt zur Realität verloren«. Vorerst ist nicht klar, wie und ob es überhaupt zu einem Kompromiss kommt. Sicherheitskräfte stehen bereit zum Einsatz, wenn sich die Lage zuspitzen sollte.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2008


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