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Angriff auf die Ärmsten

Indien: Kleinbauern protestieren gegen Kürzungen bei Förderprogramm für Landbevölkerung

Von Hilmar König *

Während Indiens Premier Narendra Modi auf dem Südasiengipfel in Kathmandu den Nachbarstaaten großzügige Entwicklungshilfe versprach, protestierten am Mittwoch in Neu-Delhi Hunderte Landarbeiter und Kleinbauern aus der Umgebung der Hauptstadt gegen die Absicht seiner Regierung, das 2006 eingeführte Beschäftigungsprojekt für die ländliche Bevölkerung zu beschneiden.

Das MNREGA-Programm (»Nationales Projekt im Namen Mahatma Gandhis zu garantierter Beschäftigung im ländlichen Gebiet«) zielt auf Verbesserung der Lebensverhältnisse bedürftiger ländlicher Familien, indem es jedem Haushalt die Möglichkeit zu 100 Tagen unqualifizierter, manueller Beschäftigung im Jahr zum Minimallohn zusichert. Diese besteht in Wege- und Straßenbau sowie dem Anlegen von Bewässerungskanälen, Fischteichen, Wasserreservoiren oder Brunnen sowie der Mitarbeit in anderen für die Dorfgemeinschaft nützlichen Bauten. Abgesehen von einigen Betrugs- und Missbrauchsfällen, darunter Korruption, wird MNREGA als bemerkenswerter Erfolg in der ländlichen Entwicklung sowie als eine bedeutende Maßnahme zur Armutsbekämpfung bewertet.

Am Mittwoch versammelten sich im Jantar-Mantar-Park Hunderte Farmer aus benachbarten Bundesstaaten sowie eine Gruppe vorwiegend linker Oppositionspolitiker und Sozialaktivisten, um mit einem »Dharma« - einem Sitzstreik - gegen die geplanten Kürzungen in dem MNREGA-Programm zu protestieren. Die Grünanlage im Herzen der indischen Hauptstadt ist die offiziell genehmigte Stätte, an der die Öffentlichkeit die Regierungspolitik kritisieren und gegen diese demonstrieren darf.

Manik Sarkar, der Ministerpräsident des nordöstlichen Bundesstaates Tripura, in dem das Programm am umfassendsten umgesetzt wird, sprach von einer »drakonischen Attacke gegen die Ärmsten der Armen«. Er kritisierte, dass mit den Änderungen an dem Projekt die Fonds aus dem Staatshaushalt drastisch gekürzt werden und das Programm auf 200 Distrikte begrenzt würde. Außerdem würde sich laut Sarkar das Verhältnis zwischen menschlicher Arbeitskraft und dem Einsatz von Maschinen und Geräten von gegenwärtig 60:40 auf 51:49 verschieben. Das liefe einem Grundprinzip des Programms entgegen, das vor allem unqualifizierten Arbeitern eine Beschäftigung garantieren soll.

Sarkar, der auch Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch) ist, verwies darauf, dass seit dem Beginn dieser Fördermaßnahmen im ländlichen Raum dominierende Kräfte - Großgrundbesitzer, Geldverleiher, Geschäftsleute und Agrarkonzerne - Sturm dagegen laufen, weil es in gewisser Weise ein Recht auf Arbeit und einen offiziell festgelegten Minimallohn garantiert. Diese Kreise übten bereits auf die Vorgängerregierung Druck aus, die darauf mit ersten »Modifikationen« zuungunsten der Beschäftigten reagierte. Jetzt unter der kapital- und marktfreundlichen Regierung Modis, der nach eigenem Bekunden »Geld und Business« im Blut hat, wird diese Revision konsequent fortgesetzt. In dieser Hinsicht gebe es keinen Unterschied zwischen der oppositionellen Kongresspartei und der regierenden Indischen Volkspartei (BJP), so Sarkar.

Während die Bauern und Landarbeiter ihren Sitzstreik durchführten, versuchte Minister Venkaiah Naidu protestierende Abgeordnete im Parlament mit der Behauptung zu beschwichtigen, die Absicht einer Verwässerung des ländlichen Beschäftigungsprogramms bestehe überhaupt nicht. Darauf verließen etliche Parlamentarier die Sitzung. Sie hatten erfahren, dass das Finanzministerium, das am Budget 2014/15 arbeitet und das Steuerdefizit möglichst gering halten will, eine Kürzung der Sozialausgaben plant und bei Geldern für ländliche Entwicklung 25 Prozent streichen will.

Die Sozialaktivistin Aruna Roy teilte den im Jantar-Mantar-Park Versammelten mit, dass am 2. Dezember Bauern und Landarbeiter aus Rajasthan sich wiederum in Neu-Delhi versammeln werden, um gegen die »Angriffe auf MNREGA und gegen die Verwässerung der Rechte auf Nahrung, Arbeit und Landbesitz« zu protestieren. Über 4.000 ländliche Haushalte hätten für die Organisierung der Kundgebung Geld gespendet.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. November 2014


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