Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gerechtigkeit für die Königin der Banditen

Indisches Gericht spricht den Mörder Phoolan Devis schuldig

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Ein Gericht in Delhi hat 13 Jahre nach dem Tod Phoolan Devis, der einstigen indischen »Banditenkönigin«, den Hauptverdächtigen und wegen Mordes Angeklagten schuldig gesprochen. Das Strafmaß soll am Dienstag verkündet werden. Zehn weitere Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die berühmt-berüchtigte Inderin, die sensationell von der Gesetzlosen zur Gesetzgeberin mutierte, war zweimal ins Parlament gewählt worden.

Der Prozeß gegen Sher Singh Rana und zehn seiner angeblichen Komplizen hatte lange gedauert: Zwölf Richter hatten sich im Verlaufe von 13 Jahren mit dem Fall beschäftigt. Die Anklage hatte 171 Zeugen vernommen. Am Freitag der vergangenen Woche befand das Gericht in Delhi schließlich den Hauptangeklagten wegen Mordes, versuchten Mordes und illegalen Waffenbesitzes für schuldig. Rana begehrte noch im Gerichtssaal auf: »Warum nur mich, wenn auch andere beteiligt waren?« Der Richter erwiderte, er folge nur der Beweislage. Rana könne ja Berufung einlegen.

Die 37 Jahre alte Phoolan Devi war am 27. Juli 2001, vom Parlament kommend und aus dem Auto steigend, vor ihrer Residenz im Zentrum Neu-Delhis von Rana und seinen Kumpanen mit fünf Schüssen niedergestreckt worden. Sie starb sofort. Den Tätern gelang zunächst die Flucht. Doch ihr Fahrzeug wurde identifiziert, und auf der Tatwaffe fanden sich Ranas Fingerabdrücke. Er wurde festgenommen und saß im Tihar-Gefängnis in Delhi ein. 2004 gelang ihm die Flucht, zwei Jahre später wurde er aber in Kolkata gefaßt.

Den Mord beging er nach Auffassung des Gerichts, um sich als Führer einer oberen Hindu-Kaste zu profilieren. Für eine »politische Verschwörung« fanden die Richter keine Beweise. In der Bevölkerung hält sich hingegen die Ansicht, das Verbrechen sei ein Racheakt gewesen für die Ermordung von 22 Angehörigen der Thakur-Kaste. Das Massaker war 1981 von einer Bande unter Phoolan Devis Kommando begangen worden.

Über Jahrzehnte machte Phoolan Devi Schlagzeilen, anfangs in der lokalen Presse des Bundesstaates Uttar Pradesh, als sie sich als Elfjährige gegen die Verheiratung mit einem 30 Jahre Älteren zwar auflehnte, aber nichts ausrichten konnte. Sie verließ ihn nach kurzer Zeit und kehrte ins Elternhaus zurück. Als Angehörige einer unteren hinduistischen Kaste wurde die Minderjährige bald danach Opfer einer Gruppenvergewaltigung. Dieses Verbrechen prägte ihr weiteres Leben. Als sie mit 15 von einer Bande entführt wurde, sah sie die Chance, sich für das erlittene Leid an den Besitzenden und Einflußreichen zu rächen. In der Gang machte sie als einziges weibliches Mitglied Karriere und stieg sogar zur Anführerin auf. Unter den Armen und Entrechteten in der Chambal-Region wurde sie von diesem Zeitpunkt an als Inkarnation der Göttin Durga verehrt.

Weit über die Region hinaus festigte sich ihr Ruf als »Banditenkönigin«, besonders nach dem Massaker 1981 in Behmai, wo sie auf der Suche nach ihren früheren Vergewaltigern 22 Thakur-Männer erschießen ließ. Zwei Jahre später legte sie in einer öffentlichen Zeremonie die Waffen nieder, kam ins Gefängnis und wurde 1994 begnadigt, ohne daß es einen Gerichtsprozeß gegeben hatte. 1996 stellte die Samajwadi Party Phoolan Devi als Kandidatin für die Parlamentswahlen auf. Sie gewann. 1999 zog sie ein zweites Mal in die höchste Volksvertretung ein. Dort setzte sie ihren Kampf, diesmal mit legalen Mitteln, für Gleichberechtigung der Frauen und anderer in der Gesellschaft diskriminierter Gruppen fort.

Indiens Frauenbewegung hat ein gespaltenes Verhältnis zu Phoolan Devi: Einerseits verurteilt sie die kriminellen Methoden, mit denen die »Bandit Queen« sich gegen schreiendes Unrecht wehrte. Andererseits versteht sie, daß vor allem die Frauen der unteren Kasten, die der Männergesellschaft bis heute besonders schutzlos ausgeliefert sind, die »Blumengöttin« – so ihr Name übersetzt – als eine unerschrockene Verfechterin für ein Leben in Würde bewundern. In Uttar Pradesh knüpft die Bewegung »Pink Saris« an dieses Erbe der »Banditenkönigin« an. Die Gruppe attackiert, wenn nötig auch handgreiflich, Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben.

* Aus: junge Welt, Montag 11. August 2014


Zurück zur Indien-Seite

Zur Indien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage