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Historischer Grenzpakt

Indiens Parlament ratifiziert nach 41 Jahren Abkommen mit Bangladesch

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Das indische Parlament hat ein Grenzabkommen mit dem Nachbarn Bangladesch ratifiziert. Es sieht einen Gebietsaustausch vor. Beide Seiten bezeichnen den Pakt als historisch, weil er endlich das Problem der rund 160 En- und Exklaven regelt. Für Zehntausende Menschen, die praktisch einen Status als Staatenlose haben, eröffnet sich damit eine Lebensperspektive. Auch Tapan Burman kann aufatmen. Für den Tagelöhner aus einer indischen Exklave auf dem Gebiet Bangladeschs besteht jetzt die Chance, reguläre Beschäftigung in Indien zu bekommen. Er war aus dem Bundesstaat Kerala ausgewiesen und zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er seine Nationalität nicht beweisen konnte. Als Einwohner der Exklave Dhabalsati-Mirgipur war er nicht berechtigt, eine indische Identitätskarte zu erwerben. Das wird sich nun ändern.

Das vorige Woche von beiden Häusern des indischen Parlaments ratifizierte Abkommen über einen Gebietsaustausch mit Bangladesch regelt das seit fast 70 Jahren ungelöste Problem der En- und Exklaven. Die mindestens 50.000 Bewohner dieser Gebiete waren bisher praktisch Staatenlose. Sie erhielten weder Rationskarten oder Personaldokumente, noch fühlte sich eine der Regierungen der beiden Nachbarländer verantwortlich für deren Grundversorgung mit Wasser und Strom, für deren Gesundheitsbetreuung und die Schulbildung der Kinder. Das Problem stammt aus der Kolonialzei. Indira Gandhi und Bangladeschs »Vater der Nation«, Sheikh Mujibur Rahman, wollten es 1974 mit einem Grenzabkommen aus der Welt schaffen. Noch im selben Jahr wurde es von Dhaka ratifiziert. Doch wegen Neu-Delhis Zurückhaltung, die teils in der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung begründet lag, blieb es nur ein Stück Papier. Immerhin aktualisierten und modifizierten es beide Regierungen im September 2011.

Erst jetzt, nach 41 Jahren, entschloss sich das indische Parlament zu dem entscheidenden Schritt. Premier Narendra Modi bewertete die Ratifizierung als einen »historischen Meilenstein«. Seine Amtskollegin aus Bangladesch, Hasina Wajed, sprach von einem »gewaltigen diplomatischen Erfolg« und dankte den Indern dafür. Der Grenzpakt verleiht nicht nur den bilateralen Beziehungen einen enormen Impuls. Er wird auch als Startschuss für die Verbesserung des Verhältnisses zu allen indischen Nachbarn angesehen. Er beweise, so Modi, den kollektiven Willen der Nation, konstruktive Beziehungen mit den Nachbarn aufzubauen. Bemerkenswert ist, dass auch die oppositionellen Parteien im Parlament und in den vom Gebietsaustausch betroffenen Bundesstaaten Assam, Meghalaya, Tripura und Westbengalen zustimmten.

Das Abkommen beseitigt den Status der Staatenlosigkeit. Die En- bzw. Exklaven werden eingemeindet, und deren Bewohner können entscheiden, welche Nationalität sie annehmen und in welchem Land sie leben wollen. Bangladeschs Botschafter in Neu-Delhi, der bei der Abstimmung im Parlament anwesend war, äußerte sich anschließend begeistert: Nun sei der Boden für verbesserte Beziehungen bereitet, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet. Auch bestehe die Aussicht, dass Premier Modi Anfang nächsten Monats zu einem offiziellen Besuch nach Dhaka kommt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 16. Mai 2015


Auf ins Jahrhundert Asiens

Indischer Premier Modi zu Besuch in China

Von Hilmar König, Neu-Delhi **


Mit 24 Abkommen, die ein Wertvolumen von rund zehn Milliarden Dollar haben, vertiefen Indien und China ihre Zusammenarbeit – trotz des Fortbestehens eines ernsten Grenzproblems. Am zweiten Tag seines Staatsbesuchs im Reich der Mitte schätzte der indische Premier Narendra Modi am Freitag die Gespräche mit Chinas Präsidenten und Regierungschef als »freimütig, konstruktiv und freundschaftlich« ein.

Chinas Präsident Xi Jinping sorgte von der ersten Minute an für eine angenehme Atmosphäre. Er empfing seinen Gast in seiner Heimatstadt Xian, die durch die Tonsoldatenarmee weltberühmt geworden ist. Schon in den ersten Stunden der Visite wurde die Absicht beider Seiten offenkundig, gemeinsam dafür zu arbeiten, dass die Vision vom »asiatischen Jahrhundert« Wirklichkeit wird. Als bevölkerungsreichste Länder mit beeindruckenden Wirtschaftswachstumsraten und einem Handelsvolumen von rund 70 Milliarden Dollar sehen sie sich dazu geradezu verpflichtet.

Peking und Neu-Delhi müssen in dieser Absicht nicht bei null anfangen. Sie arbeiten bereits mit Brasilien, Russland und Südafrika in der BRICS-Gruppe zusammen. Indiens Aufnahme als Vollmitglied in die Shanghai Cooperation Organization, der außer China und Russland etliche mittelasiatische Staaten angehören, steht unmittelbar bevor. Die Schaffung eines ökonomischen Korridors, der sich von China über Myanmar und Bangladesch bis in den Nordosten Indiens erstreckt, sowie die Wiederbelebung der alten Seidenstraße könnten gleichfalls gemeinsame Betätigungsfelder werden. Mit 24 Abkommen über Handel, Bergbau, Eisenbahn, Kosmosforschung, Erdbebenmanagement, Kultur, Tourismus und Städtepartnerschaften soll das Fundament der Kooperation verstärkt werden.

Das alles will man erreichen, ohne das leidige Hauptproblem in absehbarer Zeit aus der Welt schaffen zu können: den seit etwas mehr als 50 Jahren bestehenden, aus der britischen Kolonialzeit stammenden und durch den Krieg im Jahre 1962 verschärften Grenzdisput. Beträchtliche Gebiete sind umstritten. China beansprucht 90.000 Quadratkilometer, Indien 38.000. Wo verläuft die Grenze exakt, die im offiziellen Sprachgebauch »Linie der aktuellen Kontrolle« heißt? Darauf vermochte sich eine gemeinsame Kommission in zig Sitzungen seit 1990 bis heute nicht zu einigen. Nun hat man sich laut Modi darauf verständigt, »eine faire, vernünftige und gegenseitig akzeptabe Lösung des Grenzproblems zu erkunden«.

Ein ganz anderes Problem ist das indische Handelsbilanzdefizit von rund 45 Milliarden Dollar. Ob Modi für dessen Abbau etwas bewirken konnte, muss sich erst noch zeigen. Voraussichtlich wird er dazu am heutigen Sonnabend, dem letzten Besuchstag, bei einem Treffen mit Wirtschaftsbossen und Geschäftsleuten in Schanghai sprechen. Die nächsten Etappen seiner Ostasientour sind die Mongolei und Südkorea.

** Aus: junge Welt, Samstag, 16. Mai 2015


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