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"Echter" Gandhi will punkten

Zur Parlamentswahl in Indien tritt ein Enkel des Mahatma an. Erbe des Landesvaters bringt Zuspruch

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Einer der Enkel des Mahatma Gandhi, des »Vaters« der Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialherrschaft, tritt als Kandidat der »Partei des kleinen Mannes« (Aam Aadmi Party, AAP) für einen Sitz im Unterhaus des indischen Parlaments an. Es ist der 79 Jahre alte Rajmohan Gandhi. 814 Millionen stimmberechtigte Inder haben zwischen dem 7. April und 12. Mai die Chance, in mehreren Phasen eine neue Volksvertretung zu wählen.

»Wir machen uns Sorgen über das, was in der Welt passiert. Doch mitunter kennen wir nicht einmal unseren Türnachbarn.« Mit solchen Bemerkungen verdeutlicht der Politikwissenschaftler, Akademiker, Historiker, Umweltaktivist, Journalist und Biograph seines Großvaters Mohandas Karamchand Gandhi im Wahlkampf sein Anliegen, sich zunächst um das eigene Haus zu kümmern. Er will für Ordnung sorgen, für Sauberkeit, Sicherheit und Entwicklung. Seit Februar ist er Mitglied der gegen die in Indien verbreitete Korruption kämpfenden AAP, die erstmals zu Parlamentswahlen antritt. Im November vorigen Jahres schnitt sie bei Wahlen im Hauptstadtterritorium Delhi bemerkenswert erfolgreich ab und stellte sogar 49 Tage lang die dortige Regierung, ehe diese durch ein gemeinsames Manöver der Indien regierenden Kongreßpartei und der oppositionellen, hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) zur Aufgabe gezwungen wurde.

Bereits bei den Wahlen 1989 war Rajmohan Gandhi für die Partei Janata Dal gegen Rajiv Gandhi von der damals starken Kongreßpartei angetreten. Er verlor. Doch ein Jahr später zog er als Abgeordneter ins Oberhaus. Beide Familien sind übrigens nicht verwandt. Beim diesjährigen Votum gehen nun zwei Gandhis ins Rennen: Rahul, der Sohn des 1991 ermordeten Rajiv Gandhi, für die Kongreßpartei und Rajmohan Gandhi, der Enkel des 1948 ermordeten Mahatama, für die AAP. Möglicherweise begegnen sich beide Ende Mai dann als Abgeordnete im Unterhaus des Parlaments. Jedenfalls stehen die Chancen der AAP als Hoffnungsträger der Armen Indiens nicht schlecht. Die Kongreßpartei hingegen ist in der Vorwahlperiode von der aggressiv auftretenden BJP an die Wand gespielt worden. Alle Meinungsumfragen sagen einen Regierungswechsel voraus.

Als auf einer Wahlveranstaltung am Wochenende in Neu-Delhi ein Sprecher Rajmohan Gandhi vorstellte und die Anwesenden dazu aufrief, für ihn zu stimmen, »um zurückzuzahlen, was wir dem Mahatma schulden«, sah sich der AAP-Kandidat sofort zu einer Erwiderung veranlaßt: »Ich möchte euch alle darum bitten, für mich zu votieren, nachdem ihr meine Arbeit und meine Qualifikation überprüft habt und nicht, weil ich Mahatma Gandhis Enkel bin.« Trotz dieses Appells wird gewiß mancher Wähler gerade wegen dieses familiären Hintergrunds seine Entscheidung treffen. Auf dem Treffen im Stadtteil Shahdara am Sonntag erklärte Mohib Khan, ein Altstoffhändler, gegenüber Journalisten: »Mit Sicherheit werde ich für ihn stimmen, weil er der echte Gandhi ist, der uns im Parlament repräsentieren sollte – und nicht die korrupte Gandhi-Familie.«

Auf das hehre Bild seines Großvaters als Zugpferd für seine Partei möchte Rajmohan in seiner Wahlkampagne freilich nicht ganz verzichten. So verglich er den rastlosen AAP-Chef Arvind Kejriwal mit dem »Vater der Nation« bezüglich der Energie und des Engagements der beiden als Hoffnungsträger für ihre gerechte Sache zu völlig verschiedenen Zeiten. Er setze kein Gleichheitszeichen zwischen beide, aber es gebe einige »gemeinsame Schattierungen«. Kejriwals Kam­pagnenstil erinnere ihn, so Rajmohan Gandhi, an die Art, wie sein Großvater beispielsweise den Salzmarsch während des Unabhängigkeitskampfes organisierte. Dem Ansehen der Partei des kleinen Mannes sind solche Vergleiche aus kompetentem Mund ganz gewiß nicht abträglich. Auch andere politische Parteien versuchen, sich als Verwalter des Erbes des Mahatma aufzuspielen und damit beim Wähler Eindruck zu machen und zu punkten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


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