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Vergewaltigungen verharmlost

Indien: Chef der Samajwadi-Partei nahm im Wahlkampf Vergewaltiger in Schutz. Landesweiter Protest

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Auf einer Wahlkundgebung am Donnerstag in der Stadt Moradabad hat Mulayam Singh Yadav, Chef der Samajwadi-Partei (SP), Vergewaltiger in Schutz genommen und damit landesweiten Protest provoziert. »Erst pflegen Mädchen eine Freundschaft mit Jungen. Wenn die nicht hält, erstatten die Mädchen Anzeige wegen Vergewaltigung. Jungs sind Jungs. Manchmal machen sie Fehler«, erklärte er bei der Veranstaltung im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Dafür sollten sie nicht mit dem Tode bestraft werden.

Mulayam Singh Yadav war bereits dreimal Ministerpräsident dieses bevölkerungsreichsten Bundesstaates und 1996 während der Regierungszeit der Vereinten Front Verteidigungsminister Indiens. Mit seinen Bemerkungen bezog er sich dabei auf drei kürzlich in Mumbai zum Tode verurteilte Personen, die bereits zum zweiten Mal an Gruppenvergewaltigungen beteiligt waren. Er führte weiter aus, nach dem »Nirbhaya-Vorfall« hätten »Leute angefangen, sich Sorgen zu machen«, nicht etwa über die Zunahme der Gewalt gegen Frauen, sondern darüber, daß die inzwischen verschärften Gesetze zum Schutz der Frauen gegen unschuldige Männer mißbraucht werden könnten. Im Dezember 2012 starb eine 23jährige an den Folgen einer Gruppenvergewaltigung in Neu-Delhi. In den Medien wurde sie unter dem Namen »Nirbhaya« bekannt, auf deutsch »Furchtlose«.

Möglicherweise nahm der Politiker die Vergewaltiger aus taktischen Erwägungen in Schutz. Die Samajwadi-Partei verspricht in ihrem Wahlmanifest, diese Gesetze abzumildern. Das liegt ganz auf ihrer politischen Grundlinie mit sexistisch-patriarchalen Akzenten. Die Partei gehört auch zu jenen Gruppen, die seit über zehn Jahren eine Reservierung von 33 Prozent der Parlamentssitze für Frauen verhindern. Abu Azmi, SP-Regionalchef für Maharashtra, übertrumpfte am Freitag noch seinen Parteivorsitzenden: »Im Islam wird Vergewaltigung mit dem Strang bestraft. Aber hier passiert den Frauen nichts, nur den Männern. Auch die Frau ist schuldig.«

Yadavs Äußerungen führten zu zahlreichen Protesten. Nirbhayas Eltern sagten, wenn so bedeutende Politiker wie Yadav solche Bemerkungen machten, werde es niemals Sicherheit für Frauen in Indien geben. Offensichtlich sollte für immer auf ihnen »herumgetrampelt« werden.

Vrinda Grover, eine prominente Rechtsanwältin, die vornehmlich Frauen verteidigt und die Todesstrafe ablehnt, erklärte: »Die Todesstrafe ist für Yadav ein Alibi, das Gesetz zu attackieren, das die Integrität des weiblichen Köpers anerkennt.« Seine Äußerungen unterstützten die Ansicht, daß Frauen keine Rechte über ihren Körper hätten und eine »Art Spielzeug« für Männer seien. Dieser Politiker hinke mit seinem Frauenbild weit hinter der heutigen Jugend her. Er ermuntere jene Gruppen in der Gesellschaft, die so denken wie er und Männer zu Opfern und Frauen zu böswilligen Verleumderinnen abstempeln wollen.

Sozialaktivistin und Feministin Ranjana Kumari verlangte ein energisches Eingreifen der Wahlkommission. Es müßte Anzeige gegen Yadav erstattet und ein Wahlboykott über seine Partei verhängt werden. Expolizeichefin Kiran Bedi äußerte, seine Erklärungen richteten sich gegen die Gesellschaft und verbreiteten Gesetzlosigkeit. Die engagierte Umweltschützerin Medha Patkar sagte: »Vergewaltigung ist kein kleiner Fehler; dafür kann es kein Pardon geben.« In den sozialen Medien wurde die »politische Todesstrafe« seitens der Wählerschaft für Yadav gefordert.

49 Prozent der Stimmberechtigten sind Frauen, sie könnten in der Tat die Samajwadi-Partei abstrafen. Allerdings haben sich in der Vergangenheit auch in der Kongreßpartei, der Indischen Volkspartei (BJP) und in Regionalparteien Politiker mit ähnlichen Auffassungen zu den Rechten der Frauen und der Gewalt gegen sie zu Wort gemeldet, wie sie jetzt Mulayam Singh Yadav formulierte. Die Medien melden nahezu täglich neue Fälle von Vergewaltigung: Minderjährige, mitunter Kleinkinder, werden mißbraucht, in den meisten Fällen von Erwachsenen. Die Vergewaltigungen sind ein gesellschaftliches Problem und nicht »Fehler« von Einzeltätern.

* Aus: junge Welt, Montag, 14. April 2014


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