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Welche Chancen hat Rahul Gandhi?

Indiens Kongreßpartei kürte den 43jährigen zum Chef ihrer Wahlkampagne

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Partei Indischer Nationalkongreß (INK) hat Rahul Gandhi am Freitag zum Chef ihrer Wahlkampagne für den Urnengang im April und Mai gekürt und ihn damit – ohne ihn namentlich zu erwähnen – zum Spitzenkandidaten für das Amt des Premierministers gemacht. Der 43 Jahre alte Gandhi-Sproß würde damit in große Fußstapfen treten: Sein Urgroßvater Jawaharlal Nehru war der ersten Premier im unabhängigen Indien, seine 1984 ermordete Großmutter Indira Gandhi und sein 1991 ermordeter Vater Rajiv führten ebenfalls als Regierungschefs den multireligiösen Vielvölkerstaat. Mit dem »Vater der Nation«, Mahatma Gandhi, ist die Familie nicht verwandt.

Auf der Sitzung des Kongreßarbeitskomitees (Zentralkomitee) am Donnerstag und auf dem Meeting des Allindischen Kongreßkomitees (Parteitag) am Freitag hatten Abgeordnete lauthals gefordert, Rahul Gandhi offiziell zum Spitzenkandidaten zu erklären, um den Wählern eine klare Orientierung zu geben. Doch die Parteipräsidentin Sonia Gandhi – Rahuls Mutter – intervenierte. Das komme nicht in Frage. Eine solche Tradition gebe es im INK nicht. Man müsse nicht andere Parteien nachäffen. Gemeint war die Indische Volkspartei (BJP), die schon Ende 2013 den charismatischen Chefminister des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi, zu ihrem Premierministeranwärter gekürt hatte. Modi als talentierter Redner, der es allerdings mit Fakten nicht so genau nimmt, attackiert die Gandhi-Familie und die Kongreßpartei seit Monaten mit ätzender Kritik. Eine direkte Konfrontation Rahuls mit Modi, so die Vermutungen vieler politischer Beobachter, will Mutter Sonia vermeiden, weil ihr Sohn dabei den kürzeren ziehen könnte.

Er kam nur zögerlich in die Politik und macht bis heute, obwohl er seit 2004 Parlamentsabgeordneter ist, einen eher scheuen, zurückhaltenden Eindruck. Der Gandhi-Sprößling bekleidete im Parteiapparat verschiedene Funktionen und ist gegenwärtig Vizepräsident. Aber er hat nie einen Ministerposten innegehabt oder Interesse erkennen lassen, dereinst das Amt des Regierungschefs anzustreben.

Ein weiterer Grund, ihn nicht zum Spitzenkandidaten zu nominieren, dürfte sein, daß sich die Partei trotz gegenteiliger Behauptungen nicht sicher ist, die Parlamentswahl zu gewinnen. Für diesen Fall käme Rahul Gandhi sozusagen mit einem blauen Auge davon, die Niederlage würde sich nicht auf seine Person beziehen. Und eine Abwahl der Kongreßpartei ist nicht unwahrscheinlich, denn sie verlor im vorigen Jahr nicht nur vier Regionalwahlen, sondern büßte auch auf wirtschaftlichem Gebiet in den letzten zwei Jahren an Boden ein. Unter globalem Einfluß kam Sand ins Wachstumsgetriebe. Die Inflation begann zu galoppieren. Währungsreserven schwanden, die Rupie verlor enorm an Wert, und die Balance zwischen Im- und Exporten ging verloren. Dazu hingen der regierenden Vereinten Progressiven Allianz etliche Korruptionsskandale und die in Indien nicht enden wollende Gewalt gegen Frauen mit einer Serie gräßlicher Vergewaltigungen wie Mühlsteine am Hals.

Das alles war und ist Munition im Wahlkampf der BJP, in dem sich Narendra Modi bereits als »starker Führer« profiliert hat, der in Indien aufräumen wird. Der andere Herausforderer ist die Aam Aadmi Party (AAP), die Partei des kleinen Mannes. Sie tauchte im Dezember 2013 bei Wahlen im Hauptstadtterritorium Delhi als Neuling auf und traf mit ihrem Kampf gegen verbreitete Bestechungspraktiken den Nerv sehr vieler Wähler. Jetzt stellt sie die Regierung dieses Territoriums. Die AAP erhält landesweit einen unglaublichen Zulauf und wird sich an der Parlamentswahl als Alternative zur BJP und zum INK beteiligen.

Sich gegen beide Rivalen zu behaupten, das wird eine Herkulesaufgabe für Rahul werden. Gelingt ihm das, übernimmt nach 23 Jahren »Abstinenz« wieder ein Mitglied der Gandhi-Dynastie das Zepter. Gelingt es nicht, bleiben ihm fünf Jahre Zeit, in die großen Fußstapfen zu wachsen.

* Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014


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