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Inder wollen "so schnell wie möglich weg von hier"

Bedrängte Landsleute drängen Regierung in Delhi zu ihrer ersten außenpolitischen Bewährungsprobe

Von Hilmar König, Delhi *

Auf den ersten Blick ist es ein akutes Sicherheitsproblem, das die Regierung lösen muss, auf den zweiten aber auch ein soziales – Inder in der Golfregion in Not.

Über 10 000 Inder sitzen in Irak fest. Zwischen die Fronten geraten oder gar von ISIS-Kommandos entführt, ist ihre Sicherheit bedroht. Die Regierung in Delhi bemüht sich mit allen Mitteln, der dramatischen Situation Herr zu werden und sich für eine Repatriierung der Landsleute zu wappnen. Am Dienstag sollte eine erste Gruppe aus der südlichen Nichtkampfzone ausgeflogen werden.

Im Kampfgebiet nördlich von Bagdad sitzen rund 100 Inder fest, darunter 46 Krankenschwestern in der Stadt Tikrit, die von ISIS-Einheiten eingenommen worden und erbittert umkämpft ist. In Mossul haben die Aufständischen 39 indische Bauarbeiter in ihre Gewalt gebracht, zu denen kein Kontakt besteht. Es wird geschätzt, dass weit über 10 000 Inder teils illegal in Irak beschäftigt sind.

Marina Jose, eine der im Krankenhaus von Tikrit eingeschlossenen Schwestern, berichtete BBC am Montag: »Wir können hier keinen Tag länger leben.« Die ganze Nacht über seien rund um das Hospital Bomben explodiert. Jedesmal werde das Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert. »Wir wollen so schnell wie möglich weg von hier«, erklärte sie.

Außenministerin Sushma Swaraj versuchte auf Treffen mit Familienangehörigen in Delhi, deren Meinung zu entkräften, die Regierung unternehme nicht genug und handele zu zögerlich. Sie gab Informationen weiter, die die indische Botschaft in Bagdad vom Roten Halbmond erhalten hatte: Inder in den Konfliktzonen seien zwar in Sicherheit. Aber sie könnten wegen der Kämpfe ihre Gebiete nicht verlassen. Man bemühe sich weiter um direkten Kontakt zu den Entführten und zu den Eingeschlossenen.

Am Sonntag beriet sich die Außenministerin mit indischen Botschaftern aus Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, den Vereinten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Ein ähnliches Treffen gab es mit den Botschaftern dieser Länder, die in Delhi akkreditiert sind. Es wurde beschlossen, aus einem Wohlfahrtsfonds Flugtickets zu bezahlen und jenen Indern unbürokratisch zu helfen, deren Reisepässe von den irakischen Arbeitgebern eingezogen wurden.

Drei Schiffe der Navy und drei Großraumflugzeuge von Air India stehen für eine eventuelle Evakuierung zur Verfügung. In Basra, Nadschaf und Kerbela richtete die indische diplomatische Vertretung drei Außenposten zur Assistenz für Ausreisewillige ein.

Das Irak-Problem ist für die neue indische Regierung die erste außen- und sicherheitspolitische Bewährungsprobe. Während der irakischen Kuweit-Invasion im August 1990 stand Delhi vor einem ähnlichen Problem, als Zehntausende Inder evakuiert und in die Heimat gebracht werden mussten. In der gesamten Golfregion verdienen heute etwa sechs Millionen Inder den Lebensunterhalt für ihre Familien. Zudem sind ihre regelmäßigen Überweisungen eine nicht zu unterschätzende Quelle der Deviseneinnahmen des Staates.

Die Zeitung »New Indian Express« kommentierte die Lage zu Wochenbeginn so: »Der Vorfall ist auch ein Hinweis auf die miesen Verhältnisse, unter denen Inder in der Golfregion arbeiten. Die meisten von ihnen erhalten Niedriglöhne ohne langfristige Vergütungen. Schlimmer noch: Oft werden sie von den Arbeitgebern ausgebeutet, die weder für ordentliche Lebensbedingungen sorgen, noch die vereinbarten Löhne zahlen.« Es bestehe die akute Notwendigkeit, das Rekrutierungssystem für Jobs in den Golfstaaten zu regulieren. Allerdings sei die dauerhafte Lösung, Indiens Wirtschaftswachstum zu beschleunigen und genügend Arbeitsplätze im Inland anzubieten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 2. Juli 2014


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