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Abfuhr für Hassprediger

Indiens Premier Modi äußert sich zu den Übergriffen von Hindunationalisten

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In einer aufsehenerregenden Rede setzte Indiens Premierminister Narendra Modi in Neu-Delhi ein lange erwartetes Zeichen. Auf einer christlichen Veranstaltung distanzierte er sich unmissverständlich von den jüngsten Übergriffen und Gewaltakten gegen kirchliche Einrichtungen. Seine Regierung werde »völlige Glaubensfreiheit« für alle Bürger gewährleisten, versicherte Modi.

So demonstrativ wie der Premier in den vergangenen neun Monaten seiner Amtszeit zu Attacken hindunationalistischer Fanatiker gegen religiöse Minderheiten geschwiegen hatte, so deutlich rechnete er am Dienstag damit ab: Man werde keiner religiösen Gruppe erlauben – ob sie der Mehrheit oder Minderheiten angehört –, offen oder verdeckt zu Hass gegen andere anzustacheln. »Meine Regierung wird allen Glaubensbekenntnissen gleichen Respekt zollen«, sagte Modi und verwies darauf, dass Indien schließlich das Land Buddhas und Mahatma Gandhis ist. Er verurteile jegliche Gewalt gegen irgendeine Religion scharf.

Völlig unerwartet nahm der Regierungschef, dessen Indische Volkspartei (BJP) hindunationalistisch ausgerichtet und mit radikalen Hindugruppen verbandelt ist, an einer Feierstunde anlässlich der Heiligsprechung zweier Christen aus dem Bundesstaat Kerala teil. Er war in den vergangenen Monaten von der Opposition sowie von Vertretern der christlichen und muslimischen Minderheit kritisiert worden, keine Stellung zu teils militanten Offensive hinduistischer Radikaler und zu Hetzreden von BJP-Politikern gegen Minderheiten bezogen zu haben.

Indiens Hindunationalisten wollen das Land zu einem »Hindu-Reich« machen. Sie wetterten gegen einen imaginären islamischen »Liebesdschihad«, mit dem Hindumädchen zur Heirat mit moslemischen Jungs verführt und anschließend zum Islam gezwungen würden. Außerdem schüren sie Ängste über eine vermeintliche Bedrohung durch von Christen und Muslimen initiierte »Zwangsbekehrungen«.

Zuletzt kam es immer wieder zu Angriffen auf kirchliche Einrichtungen. Innerhalb von vier Monaten legten sie allein in Delhi fünf Brände in Kirchen. In der vergangenen Woche demolierten sie eine Missionsschule in der Hauptstadt.

Modi sah sich daraufhin veranlasst, Delhis Polizeichef einzubestellen und von ihm ein entschiedenes Vorgehen gegen die Angreifer zu fordern. Zugleich machte das Innenministerium Druck auf die Sicherheitskräfte, die Ermittlungen in all diesen Fällen zu beschleunigen. Minister Arun Jaitley bezeichnete den Vandalismus gegen Kirchen als »inakzeptable Verirrungen«. Die Regierung scheint nun zum Schutz von Minderheiten ernsthaft Maßnahmen zu ergreifen. So arbeitet sie an einem Gesetz, das rassistische, kulturelle oder religiöse Diskriminierung sowie Missachtung von Behinderten unter Strafe stellt.

Die Wende erfolgte vor dem Hintergrund einer schmerzlichen Niederlage für die BJP bei Wahlen in Delhi Anfang Februar. Offensichtlich war das auch eine Quittung für den laxen Umgang der Regierung und des Premiers mit den Minderheiten. US-Präsident Barack Obama hatte bei seinem Staatsbesuch im Januar mit Blick auf die Hindu-Offensive daran erinnert, Indiens Stärke liege in »Einheit und Vielfalt«. Der Fortschritt des Landes, so mahnte er, hänge von der Bewahrung dieser Einheit ab.

In diesem Sinne argumentierte Modi nun auch auf der Feierstunde in Neu-Delhi: Er habe die Vision von einem modernen Indien. Sein Mantra laute Entwicklung für alle. Einfach ausgedrückt bedeute das: Essen auf jedem Tisch. Jedes Kind geht zur Schule. Einen Job für jeden sowie ein Heim mit Toilette und Strom für jede Familie. »Durch Einigkeit können wir das erreichen. Einigkeit macht uns stark. Spaltung schwächt uns. Ich bitte alle Inder ernsthaft, mich bei dieser gewaltigen Aufgabe zu unterstützen«, appellierte er an die Nation und setzte damit ein vielbeachtetes Zeichen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Februar 2015


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