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An den Rand gedrängt

Indiens Muslime sind in der Politik benachteiligt

Von Hilmar König, Delhi *

Muslime sind die größte religiöse Minderheit Indiens. Doch in der Politik sind sie deutlich unterrepräsentiert. Vertreter der Muslime beklagen eine Strategie der Ausgrenzung.

Die muslimische Minderheit ist im politischen System Indiens unterrepräsentiert. Das stellt eine gerade von der Zeitung »The Hindu« veröffentlichte Erhebung über den multireligiösen Vielvölkerstaat fest. Vor allem gilt das für die neun von der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) regierten Bundesstaaten. Dort ist von insgesamt 151 Ministern ein einziger ein Muslim.

Während die Regierung unter Premier Narendra Modi immer wieder beteuert, mit ihren Entwicklungsplänen alle Bürger erfassen zu wollen, und »Fortschritt für jeden« verspricht, verweisen die nackten Zahlen auf ein eklatantes politisches Manko. Der muslimische Bevölkerungsteil ist mit rund 15 Prozent die größte religiöse Minderheit. Mit rund 160 Millionen Muslimen ist Indien eines der größten islamischen Länder. Dennoch sind die Muslime sowohl im Zentralparlament als auch in den Volksvertretungen vieler Bundesstaaten auffällig unterrepräsentiert. Von den 1359 Abgeordneten in den neun BJP-regierten Staaten sind nur 22 Muslime. In dem im April und Mai gewählten Parlament in Neu-Delhi machen muslimische Abgeordnete magere vier Prozent aus, so wenig wie nie zuvor.

Vor kurzem wurden die Volksvertretungen in Haryana und Maharashtra gewählt. In beiden Bundesstaaten übernahm danach die BJP die Regierung. In Maharashtra, wo Muslime 10,6 Prozent der Bevölkerung bilden, machen sie 3,1 Prozent der Abgeordneten aus. In den Bundesstaaten Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Goa, Andhra Pradesh, Punjab und Rajasthan, in denen die BJP ebenfalls regiert, beträgt der muslimische Bevölkerungsteil zusammen acht Prozent. Doch in den Volksvertretungen stellen sie nur zwei Prozent der Abgeordneten.

Im Kontrast dazu steht die Repräsentation der Minderheit in den 13 Bundesstaaten, die von der Kongresspartei oder Regionalparteien regiert werden, bedeutend besser: Von 325 Ministern sind 52 Muslime. Der muslimisch dominierte Bundesstaat Jammu und Kaschmir führt hier mit drei Vierteln seiner Abgeordneten aus dieser Religionsgruppe. Aber auch Kerala, Assam und Uttar Pradesh haben eine bemerkenswerte Repräsentanz zwischen 16 und 26 Prozent.

Navaid Hamid, Generalsekretär der Bewegung für die Mitwirkung muslimischer Inder, erwähnte als einen der Gründe für dieses Missverhältnis: »Es gibt einen systematischen Versuch seitens politischer Parteien, Hass gegen Muslime zu säen. Wenn das weiterhin geschieht, ist zu befürchten, dass Muslime, besonders junge, ihren Glauben an das Wahlsystem verlieren.«

In dieses Bild passt, wie eine Reihe von politischen Parteien gegen die All India Majlis Ittehadul Muslimeen (MIM) Stimmung macht, die sich nach eigenem Bekunden für die Rechte der Minderheit einsetzt. Die 1926 in Hyderabad gegründete Partei sei fundamentalistisch, extremistisch, subversiv und antinational. Einige fordern sogar ihr Verbot. In jüngster Zeit verzeichnet die MIM einen spürbaren Zulauf.

Sozialwissenschaftler verweisen darauf, dass eine gerechtere Vertretung der Minderheit in den politischen Strukturen nur ein Aspekt ist. Worauf es ankomme, sind bessere Bildungsmöglichkeiten, Arbeitsplätze im Privatsektor und eine gezielte sozialökonomische Entwicklung für jene, die den größten Nachholbedarf haben wie neben den Muslimen beispielsweise kastenlose Dalits.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. November 2014


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