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Zeremoniell in Wagah durch Trauerfeiern abgelöst

Von Taliban attackierte Grenzkontrollstelle markiert einzige Straßenverbindung zwischen Indien und Pakistan

Von Hilmar König, Delhi *

Zielte der Sprengstoffanschlag vom Sonntag am Wagah-Grenzübergang mit mehr als 60 Toten und über 130 Verletzten auf die indisch-pakistanischen Beziehungen? Noch ist das Motiv des Attentäters unklar.

»Pakistan sindabad« (Es lebe Pakistan) und »Bharat Mata ki jay« (Es lebe Mutter Indien). Die patriotischen Sprechchöre von Tausenden Augenzeugen des täglichen Zeremoniells an der Grenzkontrollstelle Wagah – am Sonntag waren es allein auf pakistanischer Seite rund 8000 – werden in den nächsten Tagen nicht zu hören sein. Das seit 55 Jahren ununterbrochen ablaufende Spektakel der Grenztruppen beim Einholen der Nationalflaggen wird für drei Tage ausgesetzt. Der Grund: Der Sprengstoffanschlag des etwa 20-jährigen Attentäters, der am Sonntag kurz nach Ende des Flaggenzeremoniells in circa 500 Meter Entfernung von der aktuellen Grenze an einem Sicherheitsposten auf pakistanischer Seite die gewaltige Explosion ausgelöst hatte. Diese war noch in zehn Kilometer Entfernung zu hören.

In der nächsten großen Stadt Lahore musste wegen des Stroms von Verletzten der medizinische Notstand ausgerufen werden. Die Zahl der Todesopfer ist über Nacht auf 60 gestiegen. Mehr als 130 Menschen seien verletzt worden, teilten Ärzte vor Ort mit. Generalmajor Tahir Javaid Khan, Direktor der Punjab Rangers, sagte, es hätte noch schlimmer kommen können, wenn es dem Selbstmordattentäter gelungen wäre, das Hauptareal der Zuschauertribüne zu erreichen. Geprüft wird auch, ob er zugleich mit einer Fernzündung Sprengsätze an oder in Gasflaschen in einem Restaurant in der Umgebung zur Detonation brachte.

Der Täter wollte vermutlich direkt an den Grenzübergang, die einzige für den Fahrzeugverkehr offene Straßenverbindung zwischen Indien und Pakistan auf halbem Weg zwischen dem pakistanischen Lahore und dem indischen Amritsar. Wäre ihm das gelungen, hätte es auch auf indischer Seite Tote und Verletzte gegeben. Medien in beiden Ländern äußern den Verdacht, dass die Absicht bestand, die Spannungen anzuheizen, die sich in den letzten Wochen immer wieder in Feuergefechten über die Grenze hinweg manifestierten. Den Hintergrund dafür liefert das ungelöste Problem der Kaschmirregion, die von beiden Nachbarn beansprucht wird und um die sie bereits dreimal Kriege führten. Sicherheitsexperten in beiden Ländern verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die Terrororganisation Al Qaida vor kurzem verkündete, ihre Aktivitäten auf den ganzen südasiatischen Subkontinent auszudehnen und dafür gesonderte Strukturen aufzubauen.

Die militanten Gruppen Jundullah und Jamaat-e-Ahrar, die mit den pakistanischen Taliban sowie mit Al Qaida vernetzt sind, übernahmen die Verantwortung für den Anschlag. Jundullah zog bereits im vorigen Jahr im nordwestpakistanischen Peshawar die Fäden für einen Überfall auf eine Kirche, bei dem 78 Menschen getötet worden waren. Ehsanullah Ehsan, ein Sprecher von Jamaat-e-Ahrar, erklärte: »Dies ist eine Fortführung unseres Dschihad zur Etablierung einer islamistischen Ordnung in Pakistan.« Die Gruppe werde ihre Angriffe auf »die Säulen des Systems der Ungläubigen«, die das Land jetzt regieren, fortsetzen.

Das Attentat erfolgte vier Monate nach Beginn einer Offensive der pakistanischen Streitkräfte im Gebiet Nordwasiristan, einem Rückzugsgebiet der Taliban. Militärexperten glauben, der Anschlag in Wagah könnte auch eine erste Vergeltungsaktion sein.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. November 2014


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