Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gute Zeiten und bittere Pillen

Wachsende Proteste gegen den Kurs der neuen indischen Regierung

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Gleich nach seinem Wahlsieg im Mai hat Premierminister Narendra Modi »gute Zeiten« für die indische Bevölkerung prophezeit. Drei Wochen später begann er zu warnen, er müsse seinen Landsleuten einige »bittere Pillen« verabreichen. Jetzt folgt den Worten die Tat: Die Eisenbahntickets werden um 14,2 Prozent teurer, und die Inflation setzt sich ungebremst fort, was die Bevölkerung besonders bei Lebensmittelpreisen schmerzlich zu spüren bekommt. Am Wochenende sah sich die von der Indischen Volkspartei (BJP) gebildete Regierung mit den ersten landesweiten Protesten konfrontiert.

In den Städten Delhi und Kolkata kam es zu Demonstrationen. In den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Odisha wurden Züge blockiert, in Bihar Straßensperren errichtet. Anhänger der BJP und Oppositionelle gingen aufeinander los. Die Kongreßpartei stellte fest, daß es sich um eine beispiellose Preiserhöhung bei der Bahn handele, die zudem die Frachttarife um 6,5 Prozent angehoben habe. Das treffe besonders den »Aam Aadmi«, den kleinen Mann, weil sich dadurch alle Waren noch mehr verteuern würden. Die Kommunistische Partei Indiens (Marxistisch) (CPM) erklärte: »Das ist ein böser Schlag gegen die arbeitenden Menschen, die schon in den Jahren der Mißwirtschaft der Kongreßpartei unter unbarmherzigen Preissteigerungen zu leiden hatten.« Dorasamy Raja, Nationalsekretär der Kommunistischen Partei Indiens (CPI), sagte: »Innerhalb eines Monats hat die Modi-Regierung begonnen, ihr wahres Gesicht zu zeigen.«

Finanzminister Arun Jaitley verteidigte die unpopuläre Maßnahme als »schwierige, aber korrekte Entscheidung«. Nur so könne das staatliche Unternehmen Indian Railways überleben. Wenn Indien eine »Bahn von Weltformat« haben wolle, dann müßten die Passagiere eben tiefer in die Taschen greifen. Demnächst wird Jaitley den Entwurf des Staatshaushalts vorlegen. Man kann davon ausgehen, so die Medien, daß er weitere »bittere Pillen« enthalten wird.

Abgesehen von den Bahntarifen und der anhaltenden Inflation stolperte die Regierung in den vergangenen Tagen über weitere selbst gelegte Steine. So verlangt sie, daß alle Gouverneure, die von der Kongreßpartei eingesetzt worden waren, »im Interesse des demokratischen Systems« zurücktreten. Das trifft auch auf solche zu, die in zwei Monaten ohnehin ihre Amtszeit beenden werden. Die Vorsitzenden von Gremien wie dem Indischen Kulturrat oder der Nationalen Frauenkommission sollten ebenfalls freiwillig gehen und durch BJP-Kader ersetzt werden. Damit folgt die Partei, die alles ganz anders und besser machen will als die Kongreßpartei, exakt deren Vorbild. Etliche der auf der »Abschußliste« stehenden Personen sträuben sich gegen das vorzeitige Aus.

Verwunderung und Proteste löste die Anweisung der Regierung an ihre Vertreter in den Ministerien, staatlichen Unternehmen und Banken aus, Hindi vorrangig als Kommunikationssprache in den sozialen Medien zu verwenden. Premier Modi, der Englisch beherrscht, bevorzugt Hindi und seine Muttersprache Gujarati im Umgang mit seinen Mitarbeitern. Seine Rede im Herbst vor der UNO wird er auch in Hindi halten.

Das alles deutet eine Renaissance dieser Sprache an, die im sogenannten »Kuhgürtel« der Bundesstaaten Bihar, Jharkhand, Uttar Pradesh und Madhya Pradesh vom mehreren hundert Millionen Menschen gesprochen wird. Laut Verfassung sind aber alle 22 indischen Hauptsprachen gleichberechtigt. Seit Jahren bemühen sich die Hindi-Befürworter, diese Sprache zur Verkehrssprache für das ganze Land zu machen und damit Englisch abzulösen.

Besonders der indische Süden, in dem eine ganz andere Sprachfamilie dominiert, läuft gegen diese Bestrebungen Sturm. So wurde dort auch umgehend der Widerstand gegen die Verordnung artikuliert. Jayalalithaa Jayaram, Ministerpräsidentin des Bundesstaats Tamil Nadu, forderte von Modi, zu gewährleisten, daß in den sozialen Medien Englisch verwendet werde. Der frühere Finanzminister Palaniappan Chidambaram warnte vor einer negativen »Rückwirkung in den Nicht-Hindi-Bundesstaaten«. Diese scharfen Reaktionen veranlaßten das Büro des Premiers schließlich am Freitag zu der Erklärung, die Direktive beziehe sich lediglich auf die Bundesstaaten, in denen Hindi gesprochen wird.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 26. Juni 2014


Zurück zur Indien-Seite

Zur Indien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage