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Lösungsversuche

In Finnland verhandeln Vertreter Indonesiens und der Bewegung Freies Aceh über die Entschärfung ihres Konflikts

Rainer Werning*

»Wir müssen die neuen Gespräche nutzen, um den Konflikt (in Aceh – R.W.) friedlich und weise zu beenden«, sagte der seit Oktober amtierende indonesische Präsident und Exgeneral Susilo Bambang Yudhoyono zu Beginn dieses Jahres. Die Spurensuche in Sachen Frieden begann im Januar im fernen Helsinki, wo auf Initiative der Organisation Crisis Management Initiative (CMI) des früheren finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari der gerissene Gesprächsfaden zwischen Vertretern der indonesischen Regierung und der seit 1976 für Unabhängigkeit kämpfenden Bewegung Freies Aceh (Gerakan Aceh Merdeka – kurz: GAM) wieder geknüpft wurde. Bis kommenden Sonntag soll nun im dritten Anlauf ein Durchbruch erzielt, zumindest der bewaffnete Konflikt im Norden Sumatras entschärft werden. Im Interesse der dortigen Zivilbevölkerung, die von dem verheerenden Seebeben am 26. Dezember 2004 besonders hart getroffen wurde, läge das allemal. Folgt der Katastrophe jetzt ein Wiederaufbau im Zeichen von Frieden und Sicherheit?

Machtfaktor Militär

Die Geschichte und die bisherigen Erfahrungen bei Versuchen, eines der ältesten Konfliktpotentiale in Südostasien auszuräumen, nähren Skepsis. Lange bevor die Flutwellen Ende Dezember massenhaft Tod, noch größere Armut und Leid über die Bevölkerung brachten, prägten Bürgerkrieg, Kriegsrecht und »ziviler Notstand« den Alltag in Aceh. »Ich denke, daß es in jeder Notsituation nur normal ist, wenn die Arbeit stufenweise in zivile Hände übergeht«, erklärte der Koordinator der UN-Hilfe in Aceh, Joel Boutroue, kürzlich in der stark zerstörten Hauptstadt Banda Aceh. Doch so einfach ist das nicht, zumal in Aceh die reale Macht nach wie vor von Militärs ausgeübt wird, was zivile Strukturen und den Aufbau demokratischer Institutionen unmöglich machte.

Jakartas Maxime lautet, daß die von der GAM angestrebte Unabhängigkeit kein Thema ist. Die Regierung ist allenfalls bereit, über eine Autonomie zu sprechen. Bei der jetzigen Verhandlungsrunde soll es um einen besonderen Autonomiestatus beziehungsweise Selbstherrschaft, um Sicherheitsbelange sowie um Wirtschafts- und Amnestiefragen sowie Probleme des Monitoring gehen. GAM-Kämpfer, die ihre Waffen strecken, sollen Amnestie und Hilfen bei der Eingliederung ins Zivilleben erhalten. Möchte Jakarta mit den Gesprächen Goodwill demonstrieren, um die internationale Gebergemeinschaft für den Wiederaufbau in Aceh bei der Stange zu halten, so ist der GAM daran gelegen, den Konflikt zu internationalisieren und wenigstens in den Wiederaufbauprozeß angemessen einbezogen zu werden.

Substantiell Neues offeriert die Helsinki-Agenda somit im Vergleich zum letzten – gescheiterten – Friedensprozeß nicht. Bereits am 9. Dezember 2002 war in Genf ein erstes Abkommen über die Beendigung der Feindseligkeiten in Aceh zustande gekommen. Es sah damals ein Waffenstillstandsabkommen, einen besonderen Autonomiestatus und eine intensive Dialogphase mit Beteiligung internationaler Beobachter vor, der 2004 freie Wahlen folgen sollten. Außerdem sollten die in Aceh verübten Menschenrechtsverletzungen aufgeklärt sowie die Opfer und deren Hinterbliebene entschädigt werden. Zusätzlich hatte Jakarta damals in Aussicht gestellt, die Acehnesen angemessen an den milliardenschweren Jahreseinnahmen aus der Öl- und Erdgasproduktion zu beteiligen. Letztlich blieb all das Makulatur. Schlimmer noch: Die Regierung verhängte im Mai 2003 das Kriegsrecht über die Region. Und die annähernd 50000 dort stationierten Soldaten agierten, wie sie es unter der Suharto-Diktatur (1966–1998) gewohnt waren – mit eiserner Faust. Gleichzeitig war das Gebiet bis vor dem Tsunami Sperrgebiet für Ausländer.

Internationale Hilfsorganisationen, die sich noch immer in Aceh um die etwa 400000 obdachlosen Überlebenden der Flutkatastrophe kümmern, hoffen, daß in Helsinki wenigstens der einseitige Waffenstillstand der GAM formalisiert wird. Doch wie lange und unter welchen Bedingungen die Mitarbeiter dieser Hilfswerke überhaupt noch vor Ort sein können, ist ungewiß. Das indonesische Militär ist jedenfalls strikt darauf bedacht, alles unter Kontrolle und die Obdachlosen möglichst in – besser kontrollierbaren – Großlagern zu halten. Die stereotype Begründung: Übergriffe von GAM-Rebellen gefährdeten das Leben dieser Menschen. Indonesische Nichtregierungsorganisationen befürchten überdies, daß die grassierende Korruption im Lande noch gigantischere Ausmaße annimmt, wenn erst einmal der seit dem 26. März geltende Masterplan zum Wiederaufbau Acehs umgesetzt wird.

Entspannungsübungen Was also ist unter solchen Bedingungen für die Protagonisten in Helsinki verhandelbar und als jeweiliges Maximalziel zu realisieren? Seitens der GAM wird die inhaltliche Klärung ihres »Selbstherrschaft«-Konzepts im Vordergrund stehen, wobei offen bleibt, ob sie damit letztlich doch einem Autonomiestatus zustimmt. Eine Deeskalation des (militärischen) Konflikts wäre ein Erfolg und bescherte der GAM einen größeren Rückhalt in der Bevölkerung. Auch wäre ihr internationale Öffentlichkeit solange gewiß, wie es ihr gelänge, den Nachweis zu erbringen, daß die zugesagten Milliarden Dollar für den Wiederaufbau Acehs von der Regierung verschwendet oder veruntreut werden. Für Jakarta wäre es ein politisch-diplomatischer Erfolg, sollte die GAM signalisieren, die Option einer Unabhängigkeit fallenzulassen.

Neu ist jedenfalls, daß die indonesische Delegation hochrangiger besetzt ist als bei früheren Gesprächen. Zu ihr gehören diesmal Hamid Awaluddin, Minister für Justiz und Menschenrechte, Sofyan Djalil, Kommunikations- und Informationsminister, sowie der frühere Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Admiral Widodo Adi Sutjipto. Widodo, Jakartas Chefunterhändler in Helsinki, ist gleichzeitig koordinierender Minister für Sicherheit und politische Angelegenheiten.

* Aus: junge Welt, 12. April 2005


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