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Wachstum nützt wenigen

Indonesiens Wirtschaft legt kräftig zu. Dennoch lebt Mehrheit der 240 Millionen Einwohner in einfachen Verhältnissen oder gar bitterer Armut

Von Thomas Berger *

Die Zufriedenheit war Susilo Bambang Yudhoyono deutlich anzumerken, als der Präsident am Donnerstag in seiner Rede zur Lage der Nation die aktuellsten Wirtschaftsdaten seines Landes verkündete: Drei Quartale hintereinander verzeichete Indonesien ein Wirtschaftswachstum, das über der Sechs-Prozent-Marke lag. Eine solche Zunahme des Bruttoinlandsproduktes hatte es im fernöstlichen Inselstaat lange nicht gegeben. Und so hofft denn der Staatschef, daß die indonesische Volkswirtschaft demnächst noch stärker wächst. Er stützt sich bei seinem positiven Ausblick auf Prognosen diverser Experten. Sollte es keine nachhaltigen Einschnitte geben, so die Vorausschau, könnte der Boom im kommenden Jahr anhalten und das Wachstum bei 6,9 Prozent liegen. Die Asienkrise von 1997 scheint damit endgültig vergessen. Der Präsident will die zusätzlichen Mittel aus Steuereinnahmen vor allem in die Infrastruktur investieren. Dies kündigte er während seiner Rede und der gleichzeitigen Vorstellung des Budgets für 2008 jedenfalls an. In diesem Bereich, das zumindest sprach das Staatsoberhaupt selbstkritisch an, gebe es erheblichen Nachholbedarf.

Stadt-Land-Gefälle

Seine Landsleute werden Yudhoyono bei dieser Einschätzung nicht widersprechen. Die Hauptstadt Jakarta und einige andere Metropolen boomen zwar. Baustelle reiht sich dort an Baustelle, und fast wöchentlich schießen neue Hochhäuser als Appartment- oder Bürokomplexe aus dem Boden. Mit dieser Entwicklung allerdings vermag der ländliche Sektor nicht einmal annähernd Schritt zu halten. Dort fehlt es bisweilen gar an so Grundlegendem wie befestigten Straßen und funktionierender Stromversorgung. Während gerade die Neun-Millionen-Metropole Jakarta anderen südostasiatischen Kapitalen mit etwas Verspätung ins 21.Jahrhundert folgt, haben einige Dörfer im Entwicklungsstand kaum den Begin des vorigen erreicht.

Die amtlichen Zahlen der Statistikbehörde zum Wirtschaftswachstum können auf den ersten Blick durchaus beeindrucken. Mit einem Zuwachs von 11,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr haben Transportwesen und Telekommunikation die Landwirtschaft als wachstumsstärksten Sektor Indonesiens abgelöst. Vor allem der Luftverkehr hat, allen indonesischen Flugzeug­unglücken der jüngsten Vergangenheit zum Trotz, nachhaltig zu diesem Rekordergebnis beigetragen. Mit 8,3 Prozentpunkten liegen auch Handel und Tourismus noch deutlich über dem Durchschnitt, wie beispielsweise das führende englischsprachige Medium, die Jakarta Post, aus dem Zahlenwerk zitiert.

Bei näherem Hinsehen allerdings nimmt sich der von Präsident Yudhoyono hochgepriesene Erfolg weniger rosig aus. Die Arbeitslosigkeit konnte zwar leicht gesenkt werden, doch selbst die mehr als vage offizielle Statistik sieht mehr als zehn der 240 Millionen Indonesier ohne Job. Laut offizieller Lesart bringt ein Prozent Wirtschaftswachstum etwa 400000 neue Arbeitsplätze. Die neugeschaffenen 2,4 Millionen Stellen reichen jedoch statistisch gerade so aus, um die pro Jahr neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Leute zu versorgen. Die grundlegende Arbeitslosenrate, deren Dunkelziffer um vieles höher liegt als staatlich zugegeben, bleibt davon weitgehend unberührt.

Ein Dollar pro Tag

Die Behörden geben zu, daß 37 Millionen Bürger unterhalb der Armutsgrenze leben. Das angesetzte Existenzminimum ist allerdings mit dem in Europa nicht vergleichbar. Je nach Quelle (UNO oder indonesische Regierung) gelten Beträge zwischen 0,80 bis 1,2 US-Dollar pro Tag als derartige Grenze.

Da noch Millionen Menschen hinzukommen, die mit ihrem Einkommen nur knapp über dieser Grenze liegen.Indonesien hat ungeachtet aller Erfolgsbilanzen weiter ein massives Armutsproblem. Für dessen Lösung bleibt die Regierung effektive Konzepte, auch in der Planung für die nächste Zeit, weitgehend schuldig. Die vom Präsidenten angekündigten Investitionen in die Infrastruktur werden zwar selbst von Kritikern als richtiger Schritt gelobt, doch dies allein sei viel zu wenig, um die stetig wachsende Kluft zwischen Oben und Unten kleiner werden zu lassen. Sowohl bei der ländlichen Bevölkerung als auch bei der mittelständischen Jugend in den Großstädten macht sich seit Jahren Unmut breit, soziale Proteste eskalieren deshalb schnell.

* Aus: junge Welt, 18. August 2007


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