Verlorene Unschuld?
Nach den Bombenanschlägen auf Bali wird eine Kriminalisierung jeglicher Opposition befürchtet
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel, der bereits im November in der monatlich erscheinenden Zeitung "Sozialistische Zeitung"-SoZ erschien.
Ein Jahr, einen Monat und einen Tag
nach den Anschlägen des
11.September explodierten im
Touristenort Kuta auf der
indonesischen Ferieninsel Bali zwei
Bomben. Der Anschlag kostete rund 200
Menschen das Leben, etwa 300 wurden zum
Teil schwer verletzt, die genaue Zahl der
Opfer wird man vielleicht niemals erfahren.
Ein Paradies sei zerstört worden, hieß es in
den Medien, und der australische
Premierminister Howard erklärte, Australien
habe "seine Unschuld verloren". Doch was
bei den journalistischen Berichterstattern
einfach historische Unkenntnis sein mag, ist
im Falle der australischen Regierung pure
Geschichtsklitterung.
In den antikommunistischen Massakern
der Jahre 1965/66, mit denen sich General
Suharto an die Macht putschte, wurden nach
Einschätzung von Historikern auch bis zu
80000 Balinesen, die im Verdacht standen,
Mitglieder oder Sympathisanten der
Kommunistischen Partei zu sein, von der
indonesischen Armee und mit ihr
verbündeten islamischen Milizen aus
Ostjava ermordet.
Der australische Journalist John Pilger
hat vor kurzem noch einmal in einem Artikel
im Daily Mirror auf den seit vierzig Jahren
bestehenden Staatsterrorismus in Indonesien
und seine Unterstützung durch die
westlichen Staaten aufmerksam gemacht. So
sahen die damalige australische und die
damalige US-Regierung dem Massenmord
wohlwollend zu, die US-Regierung leistete
sogar aktive Beihilfe, indem sie der
indonesischen Armee ein modernes
Kommunikationssystem mit direkter
Verbindung zur CIA, zur Nationalen
Sicherheitsbehörde in Washington und zu
Präsident Johnson zur Verfügung stellte.
Selbst die Todeslisten wurden in der
US-Vertretung in Jakarta erstellt, und die
australische Botschaft bezeichnete die
Massaker anschließend als
"Säuberungsprozess".
Viele der heutigen islamistischen
Gruppierungen in Indonesien wie etwa die
Front Pembela Islam (Islamische
Verteidigungsfront - FPI), die Gerakan
Pemuda Islam (Islamische Jugendbewegung
- GPI), Laskar Jihad (Soldaten des
Heiligen Krieges) oder die Jemaah Islamiah
(Islamische Gemeinschaft) beziehen sich
auch heute noch positiv auf positiv auf die
islamischen Milizen der 60er Jahre.
Mit den Anschlägen von Bali werden
aber bisher nur die Jemaah Islamiiah und ihr
Oberhaupt Abu Bakar Bashir in Verbindung
gebracht.
Die Grundlage hierfür sind Aussagen
des angeblichen Al-Qaeda-Mitglieds Omar
al- Faruq, der Anfang Juni von den
indonesischen Behörden an die USA
ausgeliefert wurde und seitdem in
Afghanistan von der CIA verhört wird.
Al-Faruq hatte behauptet, Jemaah
Islamiiah habe Geld für Anschläge in
Indonesien direkt von Osama Bin Laden
erhalten und sei neben dem Attentat vom
12.Oktober auch für verschiedene
Bombenanschläge in Jakarta verantwortlich.
Außerdem sei ein Mordanschlag auf
Präsidentin Megawati Sukarnoputri geplant
gewesen.
Jemaah Islamiiah hat seinen Ursprung
und sein Zentrum in einem islamischen
Internat im Dorf Ngruki in Zentraljava,
erfuhr aber seinen Aufschwung erst Anfang
der 70er Jahre, als Agenten des
indonesischen Geheimdienstes begannen,
die kleinen radikalen islamistischen
Gruppen zu unterwandern.
Ziel war einerseits die Diskreditierung
und Spaltung der legalen islamischen
Opposition, andererseits der Kampf gegen
eine angebliche kommunistische
Infiltrationsgefahr durch die vietnamesische
Regierung. Inwiefern diese Zusammenarbeit
in den 70er und 80er Jahren fortgesetzt
wurde, ist unklar. Möglicherweise kam es
auch zu Spaltungsprozessen innerhalb der
Jemaah Islamiah. Schließlich kann es auch
sein, dass der Name der Organisation zu
verschiedenen Zeiten auch von
unterschiedlichen Gruppen verwendet
wurde. Ein Ende August von der
International Crisis Group, einem privaten
Konfliktforschungsinstitut mit Sitz in
Brüssel, veröffentlichte Studie über Al
Qaeda in Südostasien legt dies nahe. Abu
Bakar Bashir jedenfalls wurde 1982 zu neun
Jahren Haft verurteilt, 1985 aber wieder
freigelassen und konnte kurz darauf nach
Malaysia fliehen, nach Indonesien kehrte er
erst 1999 wieder zurück.
Während die US-Regierung Jemaah
Islamiah als den indonesischen Arm von Al
Qaeda bezeichnet, so ist es auffällig, dass
eine andere indonesische Islamistengruppe,
Laskar Jihad von den Terroristenjägern in
Washington überhaupt nicht erwähnt wird,
und das obwohl sich deren Führer, Jafar
Umar Thalib, öffentlich seiner Kontakte zu
Al Qaeda gerühmt hatte. Offensichtlich liegt
dies daran, dass diese seit Anfang 2000
bestehende Gruppierung nur allzu deutlich
eine direkte Gründung der indonesischen
Armee ist.
So erlaubten es die Militärs vor zwei
Jahren, dass Laskar Jihad überall im Land
Söldner anwarb, sie bewaffnete und als
Guerillas auf den Molukken einsetzte. Die
dortigen "ethnisch-religiösen" Konflikte
zwischen Christen und Muslimen dienten
dann dem Militär dazu, wieder eine aktivere
Rolle in der indonesischen Politik
einzufordern. Nach dem gleichen Muster
wurden die "heiligen Krieger" einige Zeit
später vom mit Hilfe der Streitkräfte nach
Zentralsulawesi gebracht - hier gibt es
eiue christliche Bevölkerungsmehrheit.
In jüngster Zeit sollen
Laskar-Jihad-Kämpfer Ausbildungslager
auch in Westpapua und Aceh eingerichtet
haben, offensichtlich, um dort gegen die
jeweilige regionale
Unabhängigkeitsbewegung vorzugehen. Kurz
nach den Anschlägen auf Bali hat Laskar
Jihad übrigens mit einer nebulösen
Erklärung und wahrscheinlich auf Druck des
Militärs seine Auflösung bekanntgegeben.
Weder die US-amerikanische noch die
australische Regierung scheinen indessen
von diesen offenkundigen Verbindungen des
indonesischen Militärs zu radikalen
Islamisten besonders beunruhigt zu sein. Im
Gegenteil, die Anschläge auf Bali sollen
jetzt erst recht den Anlass zu einer
verstärkten militärischen aber auch
geheimdienstlichen Zusammenarbeit bieten.
Australien könnte dabei der regionale
Hilfssheriff der US-Außenpolitik werden.
Die Regierung in Canberra gibt sich
auch alle Mühe, dieser Rolle gerecht zu
werden. So hat sie bereits Agenten ihrer
beiden Geheimdienste nach Bali geschickt
und es wird öffentlich über eine Ausbildung
der berüchtigten indonesischen
Kopassus-Spezialeinheiten durch
Elitetruppen der australischen Armee
nachgedacht. Die an ihren roten Baretten
erkennbaren Kopassus-Einheiten sind
gefürchtet wegen ihres brutalen Vorgehens
gegen die Zivilbevölkerung und in sog.
"Unruhegebieten".
Zurzeit stehen Angehörige der Kopassus
außerdem in Verdacht, Ende August drei
Angestellte des Minenunternehmens
Freeport in Westpapua, zwei Amerikaner
und einen Indonesier, ermordet zu haben.
Die indonesische Regierung hat
unterdessen die Repression nach innen
verschärft. Ein neues "Antiterrordekret"
bestimmt unter anderem, dass Verdächtige
sechs Monate ohne Anklage inhaftiert
werden können, auf Waffenbesitz soll
künftig die Todesstrafe stehen.
Beobachter befürchten nun eine
Wiederbelebung der
"Antisubversionsgesetze" der Ära Suharto,
mit denen jedwede Opposition kriminalisiert
werden konnte. Selbst die im Allgemeinen
sehr US- freundliche Asia Times schlägt in
ihrer Ausgabe vom 15.Oktober
außergewöhnlich pessimistische Töne an.
Unter der Überschrift "Die Terrorfront
verschiebt sich nach Osten" heißt es, das
Land könne sich auf eine Situation
zubewegen, in der es zu einer
Niederschlagung von Protestbewegungen
kommen könne "…ähnlich wie in den 60er
Jahren gegen die Kommunisten".
Harald Etzbach
Aus: SoZ, November 2002, S. 12
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