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Jahrzehntelang verfolgt und geächtet

Indonesien: Überlebende Opfer der früheren antikommunistischen Massaker fordern Rehabilitierung

Von Alexandra Di Stefano Pironti, Jarkarta (IPS) *

Gäbe es in Indonesien ein Kastensystem, dann gehörten ehemalige politische Gefangene sicherlich zu den Unberührbaren. In einer Villa in der Innenstadt von Jakarta leben zehn Senioren zusammen, die nach antikommunistischen »Säuberungsaktionen« jahrzehntelang weder Arbeit fanden und ihre Kinder nicht zur Universität schicken konnten. Noch bis 2005 war in ihren Personalausweisen vermerkt, daß sie aus ideologischen Gründen im Gefängnis saßen.

Die zehn haben 1965 und 1966 die Militärrazzien gegen die verbotene Indonesische Kommunistische Partei (PKI) überlebt. Damals wurden unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 500000 und drei Millionen Menschen ermordet. Tausende erlitten Folter und kamen ohne Gerichtsverfahren in Haft.

Sie sind gesellschaftlich geächtet, seit General Suharto Ende 1965 Präsident Sukarno stürzte, der Indonesien zwei Jahrzehnte zuvor in die Unabhängigkeit geführt hatte. Während der 20 Jahre andauernden Suharto-Diktatur wurden Kommunisten in dem Land gnadenlos verfolgt. Die zehn Bewohner der Villa in der Kramat-Straße haben traumatische Erinnerungen an ein blutiges Kapitel in der Geschichte des südostasiatischen Landes.

Pak Rosidi, ein 86jähriger ehemaliger Agraringenieur, der in Australien studiert hatte, erzählt, welche Greuel er bis 1980 in dem berüchtigten Gefangenenlager auf der Insel Baru erlebte. Untersuchungen haben kürzlich ans Licht gebracht, daß Menschen dort wie Sklaven gehalten wurden. »Ich verlor 1970 meine Stelle in der Abteilung für Landwirtschaft und wurde festgenommen, weil ich ein Anhänger Sukarnos war, nicht ein Kommunist«, sagt er. »Im Gefängnis wurde ich geschlagen und stundenlang mit Elektroschocks gefoltert. Ich habe drei Kinder und war vor meiner Inhaftierung verheiratet. Als ich zurückkam, wollte meine Frau aber nichts mehr von mir wissen.«

Auch andere erlebten, wie sehr die Gefangenschaft ihre Familienbeziehungen belastete. Aus Angst stellten sich Kinder gegen ihre Eltern, um nicht ihr Leben lang diskriminiert zu werden.

Wie viele andere Häftlinge hatte Rosidi nach der Freilassung wegen des Vermerks »Ex Tapol« (Exgefangener) in seinem Ausweis große Schwierigkeiten, sich eine neue Existenz aufzubauen. Eine Laufbahn als Anwalt, Politiker oder Offizier war den ehemaligen politischen Gefangenen versperrt. Auch andere gute Jobs standen ihnen nicht offen. Ihre Kinder konnten sich nicht an Hochschulen einschreiben.

»Wir haben zwei Jahre lang recherchiert, ohne Klarheit darüber zu gewinnen, wie viele Menschen getötet wurden. Vom Militär war keine Hilfe zu erwarten«, berichtet Nur Kholis von der Nationalen Indonesischen Menschenrechtskommission (Komnas HAM). In dem ersten offiziellen Bericht, der auf Gesprächen mit 349 ehemaligen Gefangenen basiert und im vergangenen Juli veröffentlicht wurde , spricht »Komnas HAM« von »schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen« wie Morden, Sklaverei, Folter, sexuellem Mißbrauch, Verschwindenlassen, »Säuberungen«, Vertreibungen und Verfolgungen.

In indonesischen Schulbüchern ist von den damaligen Massakern nicht die Rede. Der Kommunismus ist bis heute ein Tabu-Thema. Noch 2008 wurde eine Gruppe von Künstlern auf Bali angeklagt, weil sie während einer Aufführung Symbole der Kommunistischen Partei gezeigt hatten.

Die zehn Bewohner der Villa in der Kramat-Straße hoffen nur noch, daß ihr guter Ruf wiederhergestellt wird. »Ich wünsche mir, daß wir von dem Stigma befreit werden und die Regierung erklärt, daß wir anständige Leute sind«, sagt die 87jährige Ibu Pujiati, die 14 Jahre im Gefängnis saß.

Die größte muslimische Organisa­tion in Indonesien, »Nahdlatul Ulama« (NU), deren Mitglieder sich mit dem Militär an der Verfolgung und Ermordung mutmaßlicher Kommunisten beteiligt hatten, würde das Kapitel am liebsten schließen. »Sie sollten keine Entschädigung verlangen«, sagt As’ad Said Ali, ein hohes NU-Mitglied. »Der Konflikt sollte vergessen werden.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. November 2012


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