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Mit der "Schwedt" zum Massaker

Deutschland soll Indonesien Schulden für DDR-Marineschiffe erlassen

Von Fabian Lambeck *

Entwicklungshilfeorganisationen fordern, die »illegitimen Schulden« aus einem Waffen-Deal an einen Wiedergutmachungsfonds zu übertragen.

General Suharto war ein Schlächter. Allein während seines Putsches gegen die Regierung Sukarno im Jahre 1965 ließ er eine Million Menschen ermorden, die als Mitglieder oder vermeintliche Sympathisanten der Kommunistischen Partei galten. Westlichen Regierungschefs galt er als treuer Verbündeter. So sahen die NATO-Staaten 1976 auch über die Besetzung der ehemaligen portugiesischen Kolonie Ost-Timor hinweg. Experten schätzen, dass mehr als 200 000 Timoresen den Okkupanten zum Opfer fielen. Osttimor war nicht der einzige Unruheherd im indonesischen Vielvölkerstaat. So strebten auch die Süd-Molukken, Aceh und Papua nach Unabhängigkeit. Das korrupte Regime Suhartos reagierte stets mit äußerster Härte und Brutalität auf die Sezessionsversuche. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl schien das nicht abzuschrecken - im Gegenteil, er bezeichnete den Despoten gar als seinen »Freund«. Die Beziehungen zwischen Indonesien und der BRD galten als traditionell gut. Schon unter Kanzler Adenauer wurden linientreue Indonesier zum Studieren nach Deutschland geschickt.

Bürgschaft für Diktator

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich das Inselreich für die Flotte der ehemaligen DDR-Volksmarine interessierte und im Jahre 1992 insgesamt 39 Schiffe erwarb. Eingefädelt wurde der Ausverkauf volkseigener Waffentechnik durch den damaligen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Ludwig Holger Pfahls. Den Verkauf und die Modernisierung der Boote hatte Pfahls mit dem Technologieminister und späteren Staatspräsidenten Yussuf Habibe ausgehandelt. Dabei kamen sich die beiden wohl auch persönlich näher. Der Indonesier gewährte Pfahls später vermutlich Unterschlupf, als nach diesem wegen Annahme millionenschwerer Schmiergeldzahlungen weltweit gefahndet wurde.

Insider glauben, dass man während der Verhandlungen auch die Höhe der Bestechungssumme für indonesische Entscheidungsträger festlegte, um ihnen den Deal schmackhaft zu machen. Denn die NVA-Schiffe mussten aufwendig umgerüstet und modernisiert werden, schließlich waren sie nicht für den Einsatz in tropischen Gewässern ausgelegt. Das schmutzige Geschäft wurde mit einer Hermes-Bürgschaft über etwa 700 Millionen Mark abgesichert. Unter anderem wurden die Schiffe mit modernster Siemens-Technologie nachgerüstet. Die Bürgschaft deckte auch den Kauf dreier U-Boote sowie die Ausbildung von 1660 indonesischen Marineinfanteristen ab.

Am Dienstag wurde (3. Juni) in Berlin ein Gutachten vorgestellt, dass die evangelische Kirche Westfalen, der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) sowie die Kampagne erlassjahr.de in Auftrag gegeben hatten. Das Waffengeschäft gilt ihnen als Präzedenzfall für so genannte »illegitime Schulden«. Schon seit Jahren engagieren sie sich für einen umfassenden Schuldenerlass zugunsten armer Staaten. Denn viele Kredite wurden von westlichen Staaten an hoch korrupte Regimes vergeben, die einen Großteil der Gelder veruntreuten -- oft mit Duldung der Kreditgeber. Als besonders abschreckende Beispiele gelten Argentinien und auch Indonesien. Der mit dem Gutachten betraute Völkerrechtler August Reinisch kommt zu dem Schluss, dass die Verbindlichkeiten aus dem Kauf der Kampf- und Transportschiffe einen klassischen Fall illegitimer und »verabscheuungswürdiger« Schulden darstellen. Denn »die despotische Regierung verschuldete sich gegen die Interessen der Bevölkerung«, meint Reinisch. Illegitime Schulden

Insbesondere kritisiert der Jurist, dass »die Kreditaufnahme der Anschaffung von Gütern zur Unterdrückung von Unabhängigkeitsbewegungen diente - mit Wissen der Kreditgeber, also der damaligen Bundesregierung«. Zwar verpflichtete sich die indonesische Regierung, die Schiffe ausschließlich »zur Seewegsicherung, beim Küstenschutz und zur Bekämpfung des Schmuggels« einzusetzen, allerdings hielt sie sich später nicht an diese halbherzigen Zusicherungen. Wie die Gesellschaft für bedrohte Völker berichtete, kamen die DDR-Landungsschiffe während der Massaker des Jahres 1999 in Osttimor zum Einsatz. Im Januar 2000 beteiligten sich die ehemaligen NVA-Schiffe »Prenzlau«, »Güstrow« und »Lübben« an einer Blockade der Molukken. Im Zuge dieser Operation wurden mehrere hunderttausend Menschen vertrieben. Die vormalige »Schwedt« setzte mehrmals Elitetruppen in der nach Unabhängigkeit strebenden Papua-Provinz ab. Im Juli 1998 richteten diese Soldaten ein Blutbad unter friedlichen Demonstranten an. Auch die »Hoyerswerda« wurde als Truppentransporter für eine Strafaktion gegen aufständische Bewohner der Aceh-Provinz missbraucht.

Noch heute sitzt Indonesien auf den illegitimen Schulden des Volksmarine-Deals. Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de, schätzt, dass sich die Verbindlichkeiten auf immerhin noch 100 Millionen Euro belaufen. Der Experte plädiert dafür, die restliche Summe nicht an die Bundesregierung zurückzuzahlen. Das Geld solle vielmehr einem Versöhnungs- und Entschädigungsfonds überlassen werden. Auf diese Weise könne man Opfern deutscher Exportpolitik eine Wiedergutmachung zahlen. Heute soll das Gutachten dem Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgestellt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Juni 2008


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