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Indonesien: Ära Wahid vor dem Ende?

Bei der Nachfolge hat das Militär ein Wörtchen mitzureden

Im Freitag vom 8. Juni 2001 erschien ein Artikel von Rainer Werning, der sich mit der neuen Entwicklung in Indonesien befasst. Titel: "Vieles erinnert an den Abgang Sukarnos - Mit der Ära Wahid findet ein gutgemeintes Experiment ein missglücktes Ende".

Ende Mai überschlugen sich in Jakarta die Ereignisse. Die von der Opposition erhobenen Korruptionsvorwürfe gegen den Präsidenten, derentwegen er im Parlament seit Februar bereits zweimal gerügt worden war und wofür er spätestens bis August in einer Sondersitzung der Obersten Volksversammlung seines Amtes enthoben werden soll, waren fast zeitgleich von der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurückgewiesen worden (Wahid selbst hat die Vorwürfe stets kategorisch bestritten). Da auch die Opposition ihre Kritik nicht zu untermauern vermochte, bezichtigte sie den Präsidenten schließlich der Amtsunfähigkeit. Wahid konterte: Das Parlament sei ein "Kindergarten", die Vizepräsidentin, Sukarno-Tochter Megawati Sukarnoputri, inkompetent. Falle er - so Wahid -, zerfalle zugleich das Land und versinke in Chaos. Deshalb erwäge er die Verhängung des Notstands, notfalls des Kriegsrechts, plädiere für die Auflösung des Parlaments und vorgezogene Neuwahlen. Wohlwissend, dass es dazu der Armee bedarf, wollte sich der schwankende Präsident nach dieser Ankündigung handstreichartig all jener Offiziere entledigen, die ihm widersprachen. Über Pfingsten entließ er gleich mehrere seiner Kritiker innerhalb des Kabinetts - darunter Sicherheitsminister Susilo Bambang Yudhoyono sowie den Polizeichef und Generalstaatsanwalt. Verteidigungsminister Mohammad Mahfud erklärte, er selbst trete zurück, sollte der Präsident tatsächlich den Notstand ausrufen oder das Kriegsrecht verhängen. Als neuen Sicherheitsminister präsentierte Wahid mit Agum Gumelar einen Kompromisskandidaten. Dieser - so der Präsident - sei "die beste Wahl, weil meine Beziehung zu ihm ebenso gut ist wie sein Verhältnis zu Megawati". Doch die Sukarno-Tochter und ihre Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P), die gut ein Drittel der Parlamentsmandate auf sich vereint, scheinen fest entschlossen, gemeinsam mit der wachsenden Schar der Wahid-Kritiker die Amtsenthebung des Präsidenten zu forcieren.

Hybris und autokratisches Gehabe

Der einer ostjavanischen Gelehrtenfamilie entstammende Staatschef verkörperte einst viel Aufbruchstimmung, sowohl dank persönlicher Integrität und Toleranz, taktischer Versiertheit und mutiger Eloquenz, als auch wegen seines hohen Ansehens als Vorsitzender der mit annähernd 40 Millionen Mitgliedern landesweit sehr bedeutsamen muslimischen Organisation Nahdlatul Ulama. All das war ausschlaggebend dafür, dass bei den Wahlen im Herbst 1999 nicht die haushoch favorisierte Megawati, sondern Wahid triumphierte. Der verhandelte zäh und geschickt mit den unterschiedlichsten Politikern und verstand es, Bündnisse einzufädeln. Die Sukarno-Tochter hingegen strotzte vor Siegesgewissheit - und verlor. Doch all die Tugenden Wahids verkehrten sich angesichts der gigantischen Aufgaben, die es zu lösen galt, allmählich in Schwächen. Die nach dem Suharto-Rücktritt im Mai 1998 wegen Menschenrechtsverletzungen national wie international diskreditierten Streitkräfte versuchte der Präsident zwar aus der Politik herauszuhalten, ließ gar gegen Offiziere ermitteln, um sich zu guter Letzt doch wieder auf die Armee zu stützen. Setzte er anfangs auf zivile Umgangsformen und Dialog mit den für Unabhängigkeit oder Autonomie eintretenden Organisationen in Westpapua, Aceh und auf den Molukken, droht er ihnen seit Jahresbeginn mit drakonischen Maßnahmen und hat nichts mehr gegen militärische "Säuberungs"-Aktionen einzuwenden. Ließ er gegen Angehörige des korrupten Suharto-Clans ermitteln, vermochte seine Regierung andererseits nicht, der grassierenden Korruption auf lokaler und Provinzebene einen Riegel vorzuschieben. Demonstrierte Wahid früher mehrfach sein Talent, Bündnispartner zu gewinnen und fundamentalistische Tendenzen innerhalb islamischer Strukturen einzudämmen, verprellte er wiederholt vormalige Weggefährten durch launische Umbesetzungen des Kabinetts und ließ es geschehen, dass ihm - tatsächlich oder vermeintlich - treu ergebene Anhänger marodierend durch die Straßen zogen. Die Wirtschaftspolitik glich einem Monopoly-Spiel. Die Landeswährung Rupiah verlor ebenso rasch an Wert wie das Vertrauen ausländischer Investoren in das Finanzmanagement Jakartas schwand (s. Übersicht). Als sei das nicht schon schlimm genug, befand sich der Präsident just stets auf Auslandsreisen, wenn daheim soziale Eruptionen und ethnische Konflikte eskalierten. Auf fatale Weise hat Wahid mit dem Vater seiner ambitionierten Widersacherin Megawati etwas gemein: Hybris und autokratisches Gehabe. So sehr Sukarno seinerzeit als Gründervater der Nation geehrt und seine Rolle bei der Formierung der Blockfreien-Bewegung als antikoloniales Sprachrohr gewürdigt wurde, so unbestritten war doch ebenso, dass er in Krisenzeiten auf Gewalt setzte, Ende der fünfziger Jahre das Kriegsrecht ausrief und damit den Militärs eine Schneise schlug, die diese später mit ihrem Haudegen Suharto an der Spitze als Basis für die Installierung ihrer blutigen Diktatur nutzten. Favoritin der Militärs Die Alternativen? Verfassungsgemäß träte die Vizepräsidentin die Nachfolge Wahids an. Megawati hat sich im Gegensatz zu ihrem Vorgänger in all den Jahren der Diktatur politisch abstinent verhalten. Erst als Diktator Suharto 1996 ihre Absetzung als Vorsitzende der Demokratischen Partei betrieb, ging die Sukarno-Tochter vorsichtig auf Distanz zu dem Ex-General. Überhaupt hat sie das Militär stets mit Glacéhandschuhen behandelt, dessen unerbittliches Vorgehen gegen "Sezessionisten und Unruhestifter" ausdrücklich befürwortet und ist wie dieses eine Verfechterin des Zentralstaates um jeden Preis. Sollte da etwa das Militär putschen? Die Generalität hat zuletzt Affären vermieden, geschickt und unauffällig im Hintergrund agiert und selbst bei der Parlamentsabstimmung am 30. Mai ihren 38 Vertreter zählenden Block (ein Relikt aus der Suharto-Ära) zur Stimmenthaltung verpflichtet. Mit Megawati ließe sich aus Sicht der Armee wohl eher ein Staat machen als mit Wahid. Überdies wäre ihr symbolträchtiger Name nicht zu verachten. Ob das nicht später wiederum größere Begehrlichkeiten weckt, ist eine Sache - eine andere, wie Megawatis Anhänger reagieren. Auf Dauer bleibt jede Regierung in Jakarta mit einer schweren Hypothek und nicht-zivilen Elementen belastet.

Indonesiens Ökonomie seit der Präsidentschaft Wahids (in Prozent)
Jahr 199920002001 (Prognose)
Bruttoinlandsprodukt
(Vergleich zum Vorjahr)
0,2 4,4 2,7
Inflationsrate
(Jahresdurchschnitt)
7,3 2,5 4,2 - 4,5
Ausländische
Direktinvestitionen
(Vergleich zum Vorjahr
in Mrd. Dollar)
- 2,7 - 0,5 -1,5

Quelle: ASEAN-Prognose, eigene nationale Statistik

Aus: Freitag, Nr. 24, 8. Juni 2001

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