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Im Geiste des Nationalismus

Indonesien: Krieg unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der Schweizer Wochenzeitung WoZ.


Von Rainer Werning, Jakarta*

Osttimor ist seit einem Jahr unabhängig. Nun führt das indonesische Militär, das in Osttimor Massaker beging, wieder Krieg – diesmal in Aceh.

August 1999: Die Bevölkerung des von Indonesien besetzten Osttimor stimmt mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit von Indonesien. Aus Wut darüber ziehen indonesische Militärs und proindonesische Milizen mordend durch das Land und brandschatzen die Hauptstadt Dili.
20. Mai 2003: Mit einer Schweigeminute für die 200.000 Opfer im Kampf gegen die indonesische Besetzung beginnen in Dili die Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag der Unabhängigkeit. Es geht eher besinnlich zu. Ein Jahr reichte aus, um Euphorie und überschwängliche Freude zu vertreiben. Vor zehntausend Menschen gesteht der ehemalige Guerillero, Präsident Xanana Gusmăo, ein, dass die wirtschaftliche Entwicklung zu langsam verlaufe und die öffentliche Ordnung gefährdet sei. Der Präsident geniesst nach wie vor grossen Respekt. Doch ebenso gross sind die sozialen und wirtschaftlichen Probleme. Laut Erhebungen der Uno können vierzig Prozent der Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse nicht decken, sechzig Prozent sind AnalphabetInnen. Silberstreif am Horizont ist ein Abkommen mit Australien über die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der Timorsee, das dem Kleinstaat in den nächsten zwanzig Jahren Einnahmen von fünf Milliarden US-Dollar bescheren soll.

Terror und Gräuel, die Osttimors Bevölkerung durchlebten, überfallen jetzt wieder die Bevölkerung in Aceh im Norden Sumatras. Während in Dili gefeiert wurde, erliess der Kommandeur der indonesischen Streitkräfte, General Endriartono Sutarto, den Befehl «Verfolgt sie und rottet sie aus!». Zielscheibe von Militär und Regierung ist die für Unabhängigkeit kämpfende Bewegung Freies Aceh (GAM). Sie soll ein für allemal «ausgelöscht» werden. Und damit schwindet in einer der ältesten Konfliktregionen Südostasiens die Hoffnung auf Frieden.
Seit Beginn der Offensive am 19. Mai sind bereits über 200 Schulen in Flammen aufgegangen und 25000 Menschen geflohen. Die Regierung stellt sich auf bis zu 200000 Flüchtlinge ein. Kaum hatten die Red Berets, die schon unter der Suharto-Diktatur (1966–98) gefürchteten Eliteeinheiten, die ersten ZivilistInnen massakriert, beschied Acehs neuer Militärkommandeur, Generalmajor Endang Suwarya, MitarbeiterInnen der staatlichen Nachrichtenagentur Antara: «Ich will, dass sämtliche Nachrichten (über Aceh) im Geiste des Nationalismus veröffentlicht werden. Stellt stets die Interessen des Einheitsstaates Indonesien in den Vordergrund. Und bläht keine Nachrichten von der GAM auf.» Militärsprecher Generalmajor Sjafrie Sjamsuddin präzisierte, was Medienleuten bei Zuwiderhandlung droht – nämlich Anklage und Gefängnis.

Amnesie statt Aufklärung

Nach den Massakern in Osttimor hatte die damalige US-Regierung weitere Unterstützung des indonesischen Militärs von der Einsetzung eines Ad-hoc-Tribunals abhängig gemacht. Aber anders als in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien durfte die politische und militärische Elite Indonesiens ihre Blutspuren selbst verwischen – gemäss der Devise: Amnesie statt Aufklärung. Für den Menschenrechtsanwalt Asmara Nababan ist das eine unerträgliche Vorstellung. Bis Oktober 2002 war Nababan Generalsekretär der nationalen Menschenrechtskommission, trat aber aus Protest dagegen zurück, dass der Posten künftig einem Staatsbeamten vorbehalten sein soll. Das findet Nababan widersinnig; es sei ein Verstoss gegen die Unabhängigkeit der Justiz. «Ich war anfänglich der Meinung, dass wir selbst in der Lage sein würden, die massiven Menschenrechtsverletzungen in Osttimor aufzuarbeiten», sagt Nababan. «Doch da das Ad-hoc-Tribunal nichts bewegt hat und von ihm verkündete Urteile nur demonstrieren, wie parteiisch letztlich unsere Justiz ist, bin ich mehr denn je überzeugt, dass zumindest im Falle Osttimors ein internationales Tribunal stattfinden sollte. Denn was dort geschah, war ein gigantisches Verbrechen gegen die Menschheit.»

Internationale ProzessbeobachterInnen und Menschenrechtsorganisationen teilen die Kritik und bemängeln, dass da eher Scheinverfahren inszeniert wurden als Recht nach internationalem Standard zu sprechen. Eröffnet wurden die Verfahren erst im März vergangenen Jahres, mehr als zweieinhalb Jahre nach den Massakern. Anklage wurde nur gegen achtzehn Personen erhoben. Die meisten wurden freigesprochen. Nur wenige erhielten Gefängnisstrafen, die sich jedoch auf das Mindeststrafmass belaufen oder sogar darunter liegen. Da diese Berufung eingelegt haben, sind noch alle frei. Der langjährig starke Mann im Staate, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Verteidigungsminister General Wiranto, musste erst gar nicht vor Gericht erscheinen. Letzte Woche, der Krieg in Aceh hatte gerade begonnen, wurde auch der ehemalige Truppenkommandeur in Osttimor, Brigadegeneral Tono Suratman, freigesprochen. Der Prozess gegen den höchstrangigen Angeklagten, Generalmajor Adam Damiri, der Übergriffe der indonesischen Streitkräfte in Osttimor nicht gestoppt haben soll, steht noch aus. Der General hat seinen Prozesstermin zum dritten Mal hinausschieben können. Er sei verhindert, liess er durch seine Verteidiger ausrichten, da er im Augenblick Militäroperationen in Aceh dirigiere.

Besuch aus den USA

Drei Dinge halfen den Militärs, sich von vergangenen Taten reinzuwaschen und sich erneut als die Wahrer nationaler Einheit zu gebärden: die seit Juli 2001 amtierende Präsidentin Megawati Sukarnoputri, die Anschläge vom 11. September 2001 und der Mann im Weissen Haus. Politischer Protest, erst recht bewaffneter Widerstand, lässt sich heute viel leichter als «terroristisch» denunzieren und unterdrücken. Sukarnoputri, in der Endphase des Suharto-Regimes eine Zeit lang die Gallionsfigur von Reformasi, der Reformbewegung im Lande, ist mittlerweile «ein Maskottchen des Militärs», wie Kritiker spotten.

Nach den Anschlägen in New York und Washington im September 2001 gaben sich hochrangige US-Politiker in Jakarta die Klinke in die Hand. CIA-Chef George Tenet und FBI-Chef Robert Muller waren ebenso Staatsgäste wie Aussenminister Colin Powell und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Ihr vorrangiges Interesse galt der Küstensicherung des Archipels, der sich mit 17.000 Inseln von Ost nach West über eine Länge von immerhin etwa 5.000 Kilometern erstreckt – ein Albtraum für nationale Sicherheitsstrategen, denn die zahlreichen unbewachten Küstenabschnitte bieten vermeintlichen oder tatsächlichen TerroristInnen ideale Schlupfwinkel und Rückzugsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist die Strasse von Malakka, die Indonesien von Singapur und Malaysia trennt, einer der meistbefahrenen Seewege der Welt.

Am 18. Oktober 2002, sechs Tage nach den Bombenanschlägen auf Bali, die 202 Menschen in den Tod rissen, erliess die Präsidentin in grosser Eile und ohne Zustimmung des Parlaments das so genannte Antiterrorismusdekret Nr. 1/2002. Damit wurde Indonesien offiziell und aktiv in den von der Bush-Regierung geführten «Feldzug gegen den internationalen Terrorismus» einbezogen. Dieses Dekret gibt den Repressionskräften weitreichende Befugnisse und räumt ihnen vor allem in unruhigen und krisengeschüttelten Regionen wie Aceh, Westpapua und den Molukken faktische Immunität ein. Artikel 25 dieses Dekrets ermächtigt das Militär, verdächtige Personen ohne Anklage bis zu sechs Monate in seiner Gewalt zu halten. Die staatliche Sicherheitsbehörde stuft bereits Personen faktisch als Terroristen ein, die in der Nähe von Minen oder Bohranlagen wie den Fördereinrichtungen des US-Ölmultis ExxonMobil in Aceh protestieren. So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die GAM auch offiziell auf der Liste internationaler terroristischer Organisationen des US-Aussenministeriums auftaucht.


Acec - Widerstand mit Tradition

Aceh ist eines der ältesten Sultanate in Südostasien und gleichzeitig eine Konfliktregion mit einer Tradition des Widerstands gegen Kolonialisten, Besatzer und despotische Politiker. Während der niederländischen Kolonialzeit hatte Britannien Aceh zeitweilig als unabhängigen Staat anerkannt. 1945 erkämpfte Indonesien seine Unabhängigkeit, die die niederländische Regierung erst 1949 auf Druck der Uno akzeptierte. 1953 erklärte sich Aceh zur unabhängigen islamischen Republik, die 1961 erst aufgelöst wurde, nachdem Jakarta dem Territorium einen Sonderstatus zubilligte. Das änderte nichts daran, dass die Zentralregierung auch fortan die Politik in Aceh bestimmte und über den Erlös seiner Ressourcen verfügte. Aceh ist aufgrund seiner reichen Bodenschätze ökonomisch überlebensfähig. Für Indonesien wäre der Verlust der bedeutsamen Öl- und Erdgasvorkommen Acehs ein Desaster. Am 4. Dezember 1976 formierte sich unter Führung des heute im schwedischen Exil lebenden Muhammad Hasan di Tiro die GAM. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Aceh, was von grossen Teilen der Bevölkerung in Aceh unterstützt, von Jakarta aber kategorisch abgelehnt wird. Als die GAM vor 27 Jahren den bewaffneten Kampf begann, holte Jakarta zum Gegenschlag aus. Von 1989 bis zum Ende der Ära Suharto (1998) war Aceh die höchstmilitarisierte Region im Lande und das Versuchslabor für sämtliche Methoden der Aufstandsbekämpfung. Mindestens 12 000 Menschen starben. Nach zähen Vorverhandlungen kamen schliesslich am 9. Dezember 2002 VertreterInnen der indonesischen Regierung und Emissäre der GAM in Genf zusammen und unterzeichneten ein Abkommen. Vereinbart wurden unter anderem ein Waffenstillstand, ein besonderer Autonomiestatus für Aceh, die Entmilitarisierung der Region und freie Wahlen im Jahre 2004. Ein internationales Geberkonsortium, bestehend aus Japan, der EU und den USA, sollte Wirtschafts- und Finanzhilfe für Aceh bereitstellen, während ein Gemeinsames Sicherheitskomitee (JSC) unter Leitung eines thailändischen Generals den Friedensprozess überwachen sollte. Kurz nach Jahreswechsel warfen sich die Unterhändler Jakartas und der GAM gegenseitig Vertragsbruch vor. Ab Ende April gerieten die Dinge aus den Fugen. Vom Militär geduldete Milizen schürten – wie 1999 in Osttimor – Furcht und Schrecken. Internationale BeobachterInnen verliessen die Region, nachdem sie wiederholt bedroht und angegriffen worden waren. Die Regierung warf der GAM vor, Sitzungen des JSC zu verschleppen und erneut auf Sezession zu setzen. Bis zum 17. Mai setzte die indonesische Präsidentin Megawati Sukarnoputri der GAM ein Ultimatum, ihre Waffen zu strecken. Eine kurzfristig angesetzte Krisensitzung in Tokio (17./18. Mai) verlief ergebnislos. Tags darauf verhängte Jakarta das Kriegsrecht über Aceh und entfesselte dort die grösste Militäroffensive seit 1975.


* Dieser Beitrag wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWoZ

Aus: WoZ, 29. Mai 2003


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