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Staatsstreich in Bagdad

Vor 55 Jahren wurde im Irak die Monarchie durch einen Offiziersputsch gestürzt

Von Knut Mellenthin *

Am 14. Juli 1958 wurde die eng mit Großbritannien und den USA verbundene irakische Monarchie durch einen Militärputsch gestürzt. Dieser war von einem Geheimbund »Freier Offiziere« organisiert worden. Es war ein außerordentlich blutiger Staatsstreich, in dessen ersten Stunden der 23jährige König Faisal II., mehrere Mitglieder der königlichen Familie und führende Regierungspolitiker ohne Prozeß erschossen wurden. Hunderttausende Iraker feierten das Ende der Monarchie, die nur durch brutale Repression aufrecht erhalten worden war.

US-Präsident Dwight D. Eisenhower erklärte sich angesichts der irakischen Ereignisse »äußerst bestürzt«. CIA-Chef Allen Dulles beschwor die Gefahr einer Kettenreaktion im gesamten Nahen Osten, der auch die Regime in Jordanien, Saudi-Arabien, der Türkei und des Iran zum Opfer fallen könnten. Israels Premierminister David Ben-Gurion versuchte, sich diese Ängste zunutze zu machen, und drängte die USA, der Türkei und dem Iran offene Rückendeckung für eine militärisches Eingreifen »zur Zerschmetterung der Rebellion« zu geben.

Letztlich beschränkte sich Eisen­howers Sofortreaktion jedoch darauf, beginnend am folgenden Tag, 14000 Soldaten in den Libanon zu entsenden. Dort kämpften rechte und rechtsextreme Christen unter Führung von Präsident Camille Chamoun schon seit Monaten mit muslimischen und drusischen Kräften um die Macht. Großbritannien schloß sich an, indem es am 17. Juli 2000 Fallschirmjäger zur Unterstützung der instabilen jordanischen Monarchie nach Amman einfliegen ließ. Jordaniens König Hussein und Faisal waren Vettern. Beide gehörten zur Familie der Haschimi, deutsch Haschemiten, die ursprünglich im Hedschas auf der arabischen Halbinsel geherrscht hatte, aber 1925 durch die Saudis entmachtet wurde. Großbritannien machte zwei Mitglieder dieser Familie zu Königen in den nach dem Ersten Weltkrieg völlig neu geschaffenen abhängigen Staaten Irak und Jordanien, deren Territorien vorher Teil des osmanisch-türkischen Reichs gewesen waren.

Keine Einheit Arabiens

Hussein und Faisal hatten ihre Länder am 14. Februar 1958 zur Arabischen Union zusammengeschlossen. Das war eine Reaktion auf die zwei Wochen vorher erfolgte Bildung der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) durch die zwar antiimperialistischen, aber zugleich auch absolut antikommunistischen Militärregimes von Ägypten und Syrien. Die VAR zerbrach im September 1961 nach einem Militärputsch in Syrien, bildete aber 1958 einen wesentlichen Hintergrund der Ereignisse im Irak. Teile der »Freien Offiziere« strebten den Anschluß an die VAR an. Andere hingegen betonten die Priorität der irakischen Interessen und lehnten eine Unterordnung unter die ägyptische Hegemonie ab, die mit einem Beitritt zur VAR zwangsläufig verbunden gewesen wäre.

Der irakische Staatsstreich vom 14. Juli 1958 war Teil einer regionalen Dynamik, die am 23. Juli 1952 mit dem Sturz der ägyptischen Monarchie durch Militärkreise unter Führung von Gamal Abdel Nasser begonnen hatte. Das Streben, sich von der politischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft der imperialistischen Staaten zu befreien, spielte dabei ebenso eine Rolle wie das gewaltsame Vorgehen gegen die Kommunisten. Diese stellten noch in vielen arabischen Staaten eine starke gesellschaftliche Kraft dar. Gleichzeitig nahm das ägyptische Militärregime aber aus offensichtlichen Nützlichkeitserwägungen gern die materielle und politische Unterstützung der Sowjetunion in Anspruch.

Die gemeinsamen Bemühungen Großbritanniens, Frankreichs und Israels, Nasser zu stürzen oder wenigstens entscheidend zu schwächen, kulminierten in der Suez-Krise vom Oktober 1956. Eisenhower hatte damals das Gewicht der USA in die Waagschale geworfen, um das Aggressorentrio zum Rückzug aus Ägypten zu veranlassen. Praktisch diente das dazu, die Vorherrschaft der USA in der Region auch in Konkurrenz zu den alten Kolonialmächten und Israel durchzusetzen. Eisenhower war der erste und einzige Präsident der Vereinigten Staaten, der sich auf eine derart offene und harte Konfrontation mit der israelischen Regierung einließ.

An der Frage des Beitritts zur VAR zerstritten sich sehr schnell die beiden Offiziere, die an der Spitze des irakischen Putsches gegen die Monarchie gestanden hatten: der 43jährige Abd Al-Karim Qasim und der 37jährige Abdul Salam Arif, der für die Vereinigung mit Ägypten und Syrien eintrat. Er wurde schon nach wenigen Monaten von Qasim ausgeschaltet und entging dabei nur knapp einem bereits ausgesprochenen Todesurteil.

Die Ramadan-Revolution

Unter Qasim, der sich zunächst mit der Kommunistischen Partei verbündete und sie an der Regierung beteiligte, wurden weitreichende innenpolitische Reformen in Angriff genommen. Dazu gehörten vor allem eine Bodenreform, die Anerkennung der Arbeiterrechte, die juristische Gleichberechtigung der Frauen und große Anstrengungen auf dem Bildungssektor. Außenpolitisch war Qasims Kurs durch den 1959 vollzogenen Austritt aus dem gegen die Sowjetunion gerichteten Bagdad-Pakt – die anderen Mitglieder waren Großbritannien, die Türkei, Iran und Pakistan – und die Nationalisierung der Erdölvorkommen und ihrer Förderung gekennzeichnet.

1960 begann Qasim sich gegen die Kommunisten zu wenden, da ihm diese zu stark wurden – und vielleicht auch, um sein Verhältnis zu den USA zu verbessern. Vor allem aber schädigte er damit seine Popularität in der Bevölkerung und schwächte dadurch seine eigene Stellung. Durch die »Ramadan-Revolution«, die hauptsächlich ein Militärputsch war, wurde Qasim am 8. Februar 1963 gestürzt – und einen Tag später hingerichtet.

Nach der »Ramadan-Revolution« setzte nach offenbar vorbereiteten, angeblich vom US-Geheimdienst CIA gelieferten Listen eine grausame Kommunistenverfolgung ein, der Tausende Menschen zum Opfer fielen. An die Spitze des neuen Regimes trat Qasims früherer Verbündeter Arif. Er stützte sich zunächst auf die grenzübergreifend aktive Baath-Partei, die sich selbst als »sozialistisch« bezeichnete, aber allen Strömungen der marxistischen Linken feindlich gegenüberstand. Wenige Monate später, im November 1963, ließ Arif die Baath jedoch aus allen Machtpositionen entfernen und zwang sie in die Illegalität. Erst 1968 gelang es der Partei unter Saddam Hussein, die Herrschaft für die nächsten 35 Jahre zu erobern.

Quelle: »Die irakische Rebellion in ein paar Tagen zerschmettern«

Einen Tag nach dem Putsch im Irak hatte der US-amerikanische Botschafter in Tel Aviv, Edward B. Lawson, ein Treffen mit Premierminister David Ben-Gurion, Außenministerin Golda Meir und anderen israelischen Politikern. Aus Lawsons Bericht ans State Department:

In ruhigen, aber entschiedenen Worten faßte Ben-Gurion die Ereignisse des Tages zusammen. Sie hätten klar gezeigt, wer die ganze Sache organisiert hätte, und hätten viel Licht auf die Situation im Libanon geworfen. Nicht nur Libanon stehe auf dem Spiel, sondern auch Jordanien, Saudi-Arabien, Libyen, Kuwait und möglicherweise Äthiopien.

Er glaube, daß es nicht zu spät sei, die Lage zu bereinigen, wenn in bezug auf Irak sofort gehandelt werde. Die Türkei und der Iran könnten die irakische Rebellion in ein paar Tagen zerschmettern, wenn sie die Rückendeckung der USA hätten. Werde das nicht getan, sei der gesamte Nahe Osten verloren. Nach Informationen der israelischen Regierung gebe es im Irak immer noch Elemente, die in Opposition zur gegenwärtigen Rebellion stünden. Dann sei da (der jordanische König, K.M.) Hussein, der sich in Faisals Abwesenheit zum Geschäftsführenden König der Arabischen Union erklärt habe. Hussein habe ein legitimes Recht, die Türkei und den Iran als Verbündete im Bagdad-Pakt zur Unterstützung Iraks aufzufordern. Diese Länder hätten ein Recht zum Eingreifen, aber sie könnten nicht allein tätig werden, ohne die Gewissheit zu haben, daß die USA hinter einem solchen Schritt stehen. (...)

Ben-Gurion war offensichtlich überzeugt, daß der Verlust des Nahen Osten für den Westen der schlimmste Schlag seit dem 2. Weltkrieg wäre. Gehe der Nahe Osten verloren, dann werde Sudan folgen und vielleicht auch Äthiopien. Er wolle nicht, daß Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten bleibt. Nötig sei Handeln in Verbindung mit Schnelligkeit.

Wenn alle diese Länder an Nasser fielen, wäre Israel praktisch eingekreist und in tödlicher Gefahr. In den letzten Jahren habe er sich mit Waffenforderungen an die USA zurückgehalten, weil sie vergeblich gewesen wären und wegen des Verlustes der israelischen Selbstachtung, der mit einer Ablehnung der USA verbunden gewesen wäre. Jetzt aber gebe es eine todernste Situation, und Israel sei bereit, um Handfeuerwaffen, Flugzeuge und Waffen zur U-Boot-Abwehr zu bitten.

Aus: history.state.gov/histo ricaldocuments/frus1958-60v12/d114



* Aus: junge Welt, Samstag, 13. Juli 2013


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