Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wüstensturm für Weltmachtanspruch

Heute vor 20 Jahren begannen die USA ihre Invasion Iraks

Von Roland Etzel *

Es war der zweite große Krieg am Persischen Golf nach kaum zwei Jahren Waffenpause in der Region. Die Besetzung Kuwaits durch Irak gab der US-Militärmacht Gelegenheit, nach dem Rauswurf 1979 aus Iran wieder direkt in der Region Fuß zu fassen. Die Vertreibung der irakischen Eindringlinge aus Kuwait, die heute vor 20 Jahren begann und mit einer Bombardierung Iraks sowie der Besetzung des Südteils verbunden war, mündete in einen permanenten Kriegs- bzw. Bürgerkriegszustand, der bis heute andauert.

Am 17. Januar 1991, 1.00 Uhr MEZ, also 3.00 Uhr irakischer Zeit, begannen US-amerikanische Luftstreitkräfte mit der Bombardierung strategischer irakischer Ziele, zunächst im irakisch besetzten Kuwait, Stunden später auch in Bagdad. Es war der Auftakt zu einem Bombenkrieg, wie es ihn seit Ende des Vietnam-Konflikts 1975 nicht mehr gegeben hatte.

Der irakische Diktator Saddam Hussein – trotz der immensen Verluste nach dem von ihm selbst entfesselten ersten Golfkrieg gegen Iran 1980-88 keineswegs geheilt vom Größenwahn – hatte im August 1990 erneut ein Nachbarland, diesmal Kuwait, angegriffen und besetzt. Alle Aufforderungen, Proteste und Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates führten zu keinem Einlenken Iraks.

Ein Ultimatum der UNO an Irak zum Rückzug aus Kuwait war am 16. Januar um sechs Uhr morgens ohne eine positive Reaktion Bagdads abgelaufen. Daraufhin begannen die bis dahin wohl intensivsten diplomatischen Aktivitäten, die die Welt an einem einzigen Tag erlebt hatte. Der Sicherheitsrat tagte in Permanenz, um die Frage zu lösen: Wie kann die irakische Besetzung Kuwaits beendet werden, ohne gleichzeitig die Region mit Krieg zu überziehen?

Es gab seit November 1990 die UN-Resolution 678, die die Mitgliedstaaten der UNO ermächtigte, die Besetzung Kuwaits ab 15. Januar 1991 auch mit militärischen Mitteln zu beenden. Von den 15 Mitgliedern des Rates hatten lediglich Jemen und Kuba gegen diese Kriegsoption gestimmt, China hatte sich enthalten.

Stunde der Diplomatie

Dennoch versuchten viele Staaten weiter, eine Verhandlungslösung zu erreichen. Breites internationales Echo fand zum Beispiel ein Sechs-Punkte-Plan Frankreichs. Sein Vorzug bestand darin, neben der Regelung der irakisch-kuwaitischen Grenzstreitigkeiten, die Saddam als Anlass dienten, in Kuwait einzumarschieren, auch die ungelöste – arabisch-israelische – Nahostfrage in das Verhandlungspaket einzubeziehen. Allerdings ließen die USA, auch nach laut geäußertem Wunsch Israels, schnell erkennen, dass sie daran keinerlei Interesse hatten. So starb der Plan, ehe er ernsthaft diskutiert werden konnte.

Die Arabische Liga war seinerzeit mehr oder weniger deutlich in Irak- oder Kuwait-Freunde gespalten. Dennoch war sie damals noch im Gegensatz zu heute ein beachteter politischer Faktor. Unter Federführung von Algeriens Präsident Chadli Bendjedid sowie Ägyptens Staatsminister und späterem UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali wurde ein Procedere vorgeschlagen, das die Besetzung Kuwaits beenden, aber der irakischen Regierung einen gesichtswahrenden Abzug ermöglichen sollte. Chadli wollte dabei eine aktive Vermittlerrolle übernehmen. Doch auch dazu kam es nicht. Die USA verhinderten, dass im Sicherheitsrat darüber überhaupt abgestimmt werden konnte. Zur Sprache kam lediglich ein Vorschlag Großbritanniens, der allerdings gegenüber Irak auf völlige Kompromisslosigkeit setzte, deshalb keine Mehrheit fand und auch von Bagdad brüsk abgelehnt wurde.

Die Zeit der Krieger

Die abenteuerliche und letztlich völlig konzeptionslose Haltung des irakischen Machthabers hatte damit den USA den offenbar erwünschten Kriegsgrund noch einmal auf dem Silbertablett serviert. Nicht zu übersehen war allerdings, dass schon vor diesem Zeitpunkt aus Washington nicht ein einziger Vorschlag für eine nichtmilitärische Lösung gekommen war. Am 12. Januar beschloss der US-Kongress, die UN-Resolution zur Beendigung der irakischen Besetzung Kuwaits mittels eines Militärschlages umzusetzen. Es war die Ermächtigung für Präsident George Bush sen., jederzeit den Krieg erklären zu können, was er ja unmittelbar nach Ablauf des Ultimatums auch tat.

Überraschen konnte das zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr. Wochenlang hatten die USA bereits militärische Kräfte rund um Irak aufmarschieren lassen. Die Besatzungen der Luftwaffenbasen nördlich Iraks in der Türkei wurden aufgestockt. Im Süden hatten sechs Flugzeugträger im Arabischen Meer Position bezogen. Insgesamt standen im Krisengebiet 430 000 US-Soldaten marschbereit.

Sie marschierten – und nicht nur sie. Von den Flugzeugträgern wurden Hunderte von Marschflugkörpern abgefeuert. Bereits in der ersten Nacht sollen 2500 Kampfflugzeuge irakische Stellungen angegriffen haben; die meisten davon aus den USA und Großbritannien, aber auch kuwaitische und saudi-arabische.

Die irakische Armee hatte dem fast nichts entgegenzusetzen. Ihre logistische und technische Unterlegenheit war vom ersten Tage an evident. Ihr »Führer« – das Amt beanspruchte Saddam vom ersten Tage an für sich selbst – hatte seinen Soldaten außer täglichen Verlautbarungen seines Größenwahns nichts zu bieten. Zudem hatte sich das irakische Heer von dem achtjährigen opferreichen Krieg gegen Iran weder in materieller noch in personeller Hinsicht erholt.

Ergebnis nach Maß

Bei Inkrafttreten des Waffenstillstandes am 12. April 1991 hatten die von den USA geführten alliierten Kräfte weniger als 500 Soldaten verloren. Die Iraker gestanden ihre Verluste nie ein. Schätzungen belaufen sich auf bis zu 200 000 Soldaten, die den US-Bombardements meist schutzlos auf offenem Terrain ausgesetzt waren.

Ohne die Verantwortung Saddams für die Opfer zu schmälern, ist unzweifelhaft, dass die USA diese »Kollateralschäden« sehendes Auges und ungerührt in Kauf genommen haben. Es gab die Chance, im ölreichen Nahen Osten militärisch Fuß zu fassen und der Welt vorzuführen, dass die bereits kollabierende Sowjetunion – bis dato auch als Supermacht geltend – dem tatenlos zusehen musste.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011


In die vorindustrielle Ära zurückgebombt

US-Verteidigunsminister Cheney feierte den »erfolgreichsten Luftkrieg aller Zeiten«

Von Karin Leukefeld **


Als »erfolgreichsten Luftkrieg aller Zeiten« lobte der damalige US-Verteidigungsminister Richard »Dick« Cheney den 43-Tage-Krieg gegen Irak Anfang 1991. Auf ein Kriegsverbrechen mehr oder weniger kam es ihm dabei nicht an. Er verstand sie wohl durchaus als Teil der »Erfolgsbilanz«.

Die gigantische Luftarmada zerbombte nicht nur ganze irakische Divisionen, als sie sich bereits auf dem Rückzug aus Kuwait befanden, sie löschte auch das Leben Tausender Zivilisten aus. Dabei setzten die Kampfjets panzerbrechende uranhaltige Munition ein, die zu einer enormen Zunahme von Krebserkrankungen in der irakischen Bevölkerung und zur Umweltverseuchung führte.

Die Luftwaffe der Befreier Kuwaits bombte, wann und wo sie wollte. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Angriffe von Kampfjets auf Zivilpersonen, die in ihren Fahrzeugen auf der Flucht waren. Tanklastzüge auf dem Weg nach Jordanien wurden zerstört, ganze Beduinenfamilien ausgelöscht, obwohl ihre Zelte inmitten von Schafherden deutlich als ziviles Ziel zu erkennen waren. Der einzige Überlebende eines Angriffs am 22. Januar 1991 berichtete, dass vier Kampfjets über ihren Zelten gekreist seien und zwölf Raketen abgefeuert hätten. 14 Personen wurden dabei getötet. Die Zelte lagen mitten in der Wüste.

Die alliierte Luftwaffe zerstörte Schutzbunker, Elektrizitäts- und Wasserwerke, landwirtschaftliche Einrichtungen, Lebensmittelfabriken und Molkereien, Mehl- und Weizendepots, Straßen, Brücken, Kranken- und Wohnhäuser und verletzte damit internationales Völkerrecht, das in einer Reihe von Paragrafen vorschreibt, wie die Zivilbevölkerung in einem Krieg zu schützen ist und dass zivile Einrichtungen nicht angegriffen werden dürfen. Martti Ahtissari, stellvertretender UN-Generalsekretär aus Finnland, kam in seinem Bericht über die humanitären Folgen des Krieges später zu dem Ergebnis, dass Irak von einer modernen Gesellschaft in ein »vorindustrielles Zeitalter« zurückgebombt worden war.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1991 traf es den Amiriya-Bunker in Bagdad, in dem hunderte Einwohner des Stadtteils vor den Luftangriffen Schutz gesucht hatten. Eine präzisionsgesteuerte Bombe durchschlug das Dach des Gebäudes und tötete etwa 400 Menschen, nur wenige entkamen dem Inferno. Filmaufnahmen zeigen, wie die Opfer am nächsten Morgen nach und nach aus den Trümmern des Gebäudes geborgen und, eingewickelt in Decken, nebeneinander aufgereiht wurden: Frauen, Kinder, Alte.

Einige der Opfer überlebten mit schweren Verbrennungen und wurden von Hilfsorganisationen zur Behandlung ins Ausland gebracht. So auch der damals 17-jährige Ahmed, dessen Schwester den Angriff nicht überlebte. Wie durch ein Wunder sei ihm die Flucht gelungen, erzählte er zehn Jahre später bei einer Begegnung mit einer europäischen Friedensdelegation am Amiriya-Bunker, der zu einer Gedenkstätte geworden war.

Auch Veteranen des Golfkriegs 1991 gehörten zu der Friedensdelegation, die 2002 nach Bagdad kam, um gegen das UN-Embargo und neue Kriegspläne der US-Regierung zu protestieren. Mit dabei der frühere britische Soldat Bernard McPhillipps, der von dem Massaker im Amiriya-Bunker erst nach dem Ende des Krieges gehört hatte. Er erklärte, sich bei den Irakern entschuldigen zu wollen. Weder die britische Regierung noch die USA haben das jemals getan.

McPhillipps war selber Opfer des Krieges geworden. Als 23-jähriger Soldat hatte er für den Nachschub der Kampfjets zu sorgen und war dabei mit der uranhaltigen Munition in Berührung gekommen. Als McPhillips 2002 nach Bagdad kam, konnte er ohne Stock nicht mehr gehen, eine exakte Diagnose seiner Erkrankung gab es jedoch nicht. Allein in Großbritannien waren nach dem »Wüstensturm« 11 000 der 53 000 Soldaten, die dabei im Einsatz waren, erkrankt, Hunderte sind gestorben.

»1991 waren wir Feinde«, sagte McPhillips bei seinem Besuch in Bagdad zehn Jahre später, doch die Folgen des Krieges hätten die kranken Soldaten und die Iraker zu Schicksalsgefährten gemacht. Die Kriegsallianz gegen Irak 1991 trage nicht nur Verantwortung für die eigenen kranken Soldaten, sie müsse auch mit den Irakern die Folgen der uranhaltigen Munition untersuchen und Wiedergutmachung leisten.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2011


Zurück zur Irak-Seite

Zur Kuwait-Seite

Zur Interventions-Seite

Zurück zur Homepage