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Irak-Krise: "Die USA dürfen die Vereinten Nationen nicht missbrauchen"

Friedensforscher Jan Řberg verlangt eine Vermittlungsinitiative der EU

Jan Řberg nahm am Irak-Kongress in Berlin teil und hielt zwei bemerkenswerte Referate, einmal zu "zehn Missverständnissen", denen die öffentliche Meinung beim sog. Krieg gegen den Terror häufig aufsitzt, zum anderen über die Möglichkeiten der EU und der Friedensbewegung, mit politischen Initiativen den drohenden Krieg gegen Irak doch noch zu verhindern. Da uns bislang keine Manuskripte von Jan Řberg vorliegen, dokumentieren wir im Folgenden ein Interview, das ein paar Tage nach der Konferenz im Neuen Deutschland veröffentlicht wurde. Das Interview führte Karin Leukefeld, die selbst am Kongress teilnahm und eine Podiumsdiskussion moderierte.


Jan Řberg ist Mitbegründer und Präsident der Transnationalen Stiftung für Friedens- und Zukunftsforschung (TFF) im schwedischen Lund. Auf dem Internationalen Irak-Kongress »Alternativen zu Krieg und Embargo«, der am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand, sprach Řberg zum Thema »Präventivkrieg oder Dialog und Zusammenarbeit?«

Sie vertreten in der Irak-Debatte eine Position, die bisher wenig Anklang findet. Worum geht es Ihnen?

Eine Weltgemeinschaft, deren Mitglieder sich weiterhin gegenseitig töten, wenn Probleme auftauchen, hat keine Zukunft. Wir müssen lernen, uns als zivilisierte Wesen zu begegnen, indem wir miteinander sprechen und Leute ausbilden, die eingreifen können. Wir können im Jahre 2002 zwar Menschen auf den Mond bringen und fantastische technische Geräte entwickeln, aber wenn wir jemanden nicht mögen, greifen wir zur Waffe. Das ist unglaublich primitiv. Glaubt irgendjemand wirklich ernsthaft, dass die US-amerikanische Außenpolitik ihre Probleme mit Irak auf diese Weise lösen kann? Indem ein Land abgeschlachtet wird, nach zwölf Jahren Sanktionen? Das ist barbarisch und kontraproduktiv. Und es ist todesgefährlich für die westliche Welt selbst.

Sie haben kürzlich Irak besucht. Warum? Trauen Sie den Medien nicht?

Überhaupt nicht. Es gibt keine freien Medien im Westen, das ist ein Mythos. Ich will nicht sagen, dass das für jede Zeitung zutrifft, aber die Journalisten machen ihre Arbeit nicht ordentlich. Sie sind dafür nicht ausgebildet. Beim Sport haben sie professionelle Leute, die alles über Sport wissen. Aber Sie werden feststellen, dass die meisten Journalisten nicht in der Lage sind, einen Konflikt zu analysieren. Sie berichten über Krieg und Gewalt, nicht über den Konflikt, der dem zugrunde liegt. Das ist kein Konfliktjournalismus, sondern Kriegsberichterstattung. Und wenn es einen Friedensplan gibt, egal wie idiotisch der sein mag, verschwinden sie wieder. 400 bis 600 Journalisten waren in Kosovo, als die NATO einmarschierte. Jetzt ist so gut wie keiner mehr dort.

Sie sagen, die Friedensbewegung solle im Falle des Irak-Kriegs einen Alleingang der USA fordern...

Mein Herz ist mit jedem, der sich für den Frieden einsetzt. Aber es reicht nicht, nur gegen Krieg zu sein. Alternativen aufzuzeigen ist eine Aufgabe, die von der Friedensbewegung bisher nicht gelöst wurde. Nein zu Atomwaffen, nein zu Mittelstreckenraketen… Wir müssen aber »Ja« zu etwas sagen.

Warum dann diese provozierende Aufforderung?

Natürlich soll dieser Krieg nicht geführt werden. Was ich meine ist, dass die USA nicht die Vereinten Nationen missbrauchen dürfen. Es ist dumm zu sagen, es wäre besser, wenn es ein UN-Mandat für diesen Krieg gäbe. Nein, ist es nicht! Denn dadurch würden die Autorität und die Integrität der UNO und der UN-Charta untergraben. Wenn die USA verrückt genug sind, so etwas zu tun, dann sollen sie es allein tun. Darum fordert kein UN-Mandat! Das ist illegal, unmoralisch und politisch kontraproduktiv. Ein UN-Mandat wäre ein Feigenblatt für eine kriminelle Handlung. Die UNO muss vor solchen Verbrechen geschützt werden. Eine Welt ohne eine starke UNO ist eine Welt des Dschungels.

Was schlagen Sie vor?

Eine sofortige Vermittlungsinitiative der Europäischen Union. Dänemark könnte die Initiative übernehmen, denn es hat derzeit den EU-Vorsitz. Gelder müssen zur Verfügung gestellt werden, damit Gruppen nach Irak reisen und umgekehrt irakische Gruppen nach Europa kommen können. Der Dialog und die Diplomatie der Bevölkerung gewährleisten eine bessere Verständigung. Eine Vermittlergruppe mit Javier Solana und Chris Patten muss Kontakt zur irakischen Regierung aufnehmen. Sie sollen sich das Land ansehen, damit sie das Problem verstehen. Keiner der politischen Entscheidungsträger versteht Irak, denn es gibt keinen Austausch mit irakischen Politikern. Wer jemals mit Konfliktlösung zu tun hatte weiß, dass man den Kontakt halten muss.

Es heißt, alle Kontakte seien abgebrochen wegen des UN-Embargos.

Vor zwölf Jahren wurde die politische Entscheidung getroffen, mit diesem Land keinen Kontakt mehr zu unterhalten. Die Sanktionen gegen Irak sollten Schritt für Schritt aufgehoben werden. Solange aber Krieg der einzige Plan ist, wird es Krieg geben. Es ist eine Schande für Europa, keine Alternative zur USA-Politik zu haben. Das Problem sind nicht nur die USA, das Problem ist auch, dass wir als Alliierte und Freunde der USA nichts unternehmen, um den Amerikanern zu sagen: Es geht auch anders. Fragen: Karin Leukefeld

Aus: Neues Deutschland, 8. November 2002


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