Krieg im Herbst?
Anzeichen, Möglichkeiten, Gefahren - Der bevorstehende Militärschlag gegen den Irak muss das wichtigste Wahlkampfthema sein
Der "Freitag" brachte am 26. Juli 2002 einen Artikel von Michael Jäger, in dem auf die Dringlichkeit breiten Protestes gegen den drohenden Krieg im Irak hingewiesen wird. Wir dokumentieren die Überlegungen in Auszügen.
Von Michael Jäger
Es ist möglich, dass der amerikanische Militärschlag gegen den Irak bereits im September erfolgt. Das ist nur eine Spekulation. Doch in der Politik sind Spekulationen nicht nur erlaubt, sondern geboten, wenn es darum geht, auf möglicherweise kurz bevorstehende Ereignisse rechtzeitig vorbereitet zu sein. So wäre es gut gewesen, wenn die US-Regierung kurz vor dem 11. September 2001 auf einige Anzeichen mit der Spekulation, es stehe möglicherweise ein Terroranschlag bevor, reagiert hätte - gewisse Geheimdienst-Meldungen, einen vorauseilenden Kult um das Datum "11. September" in ungefähr 20 Internet-Adressen und auch ein paar atypische Entwicklungen an der Börse. Solche werden heute wieder beobachtet. Ein in der FAZ unter der Rubrik "Finanzmärkte"sehr versteckter Artikel weist am 16. Juli darauf hin, dass an den Terminbörsen in London und New York ein atypischer Preisanstieg bei kurzzeitig fälligen Öl-Kontrakten zu verzeichnen sei. Börsianer fragen sich, ob da Kräfte am Werk sein könnt
en, die mit baldigen Versorgungsschwierigkeiten rechnen. Der Irak ist ein
bedeutender Ölexporteur: Im Fall eines Krieges würde er die Ausfuhren
vermutlich einstellen.
Diesen Zusammenhang einmal unterstellt, erscheinen einige Vorgänge in einem
neuen Licht. So wird in dem Artikel erwähnt, dass die amerikanische
Regierung Druck auf die Türkei ausübe, Neuwahlen nicht schon im November
abzuhalten. Die US-Armee braucht die Türkei als Basis; wenn da mitten im
Krieg islamistische Parteien obsiegen, droht eine gar nicht mehr
berechenbare Eskalation. Nun schien es zeitweilig so, als habe sich der
türkische Ministerpräsident Ecevit mit Neuwahlen im November schon
abgefunden. Doch Ende vergangener Woche begann er wieder für einen späteren
Wahltermin zu plädieren. Neuwahlen im November gibt es auch in den USA für
einen Teil des Kongresses. Da Präsident Bush wegen der schlechten
Wirtschaftslage und der Bilanzierungsskandale amerikanischer Unternehmen
befürchten muss, die Wahlen könnten sehr zu seinen Ungunsten ausgehen, ist
es möglich, dass er seine eigene Bilanz vorher durch einen erfolgreich
anlaufenden Krieg verbessern möchte. So ein Krieg könnte dann bereits im
September beginnen. Von da an erlauben es nämlich die klimatischen
Bedingungen im Irak.
Der Gedanke scheint zunächst schwer fassbar zu sein, weil man doch seit
längerem von der fast in aller Öffentlichkeit betriebenen Kriegsplanung des
Pentagon weiß, die - wie immer wieder berichtet wird - auf einen
Kriegsbeginn im nächsten Jahr ziele. ... Irgendein Überraschungsmoment gehört zu jeder
Kriegsstrategie, selbst der imperialen. So hatte man vor dem letzten
Golfkrieg nicht gewusst, dass die amerikanische Armee ihren Feind im
Wüstensand zu begraben beabsichtigte. Diesmal könnte der Termin das
Überraschende sein. Wie kommt es denn, dass just zu Wochenbeginn gemeldet
wurde, britische Militärs hätten ihre amerikanischen Kollegen vor dem Krieg
gewarnt?
Ziehen wir also die Möglichkeit ins Kalkül, der Krieg könne schon im
September beginnen. Nun sind am 22. September Bundestagswahlen. Zwei
Szenarien wären denkbar, die einander keineswegs ausschließen. Zum einen
könnte sich die Konstellation von 1998 (Stichwort: Kosovo) wiederholen:
Durch das Wahlergebnis designiert, steht eine neue, noch gar nicht
vereidigte Regierung vor der Kriegsfrage, sieht sich unter Druck und glaubt
auf die Frage nicht anders als bejahend antworten zu dürfen. Zum andern
könnte ein Regierungswechsel dadurch geradezu herbeigeführt werden, dass der
Krieg noch kurz vor dem 22. September beginnt. Die chaotische,
wahrscheinlich nicht stimmenmaximierende Debatte, die im rot-grünen Lager
ausbrechen würde, kann man sich ausmalen. Amerikanische Präsidenten haben
schon häufig Mittel und Wege gefunden, Regierungswechsel in Deutschland zu
begünstigen.
Wenn das zu erwarten ist, kann man sich darauf wiederum einstellen und für
einen anderen Verlauf kämpfen. Da aber stößt man auf eine Tatsache, die auch
ganz unabhängig von aller Spekulation beachtlich ist: Der bevorstehende
Irakkrieg - er steht ja jedenfalls bevor, ob nun im September oder erst im
nächsten Jahr - ist gar kein Wahlkampfthema! Ist das nicht völlig absurd?
Warum setzen nicht wenigstens die kritischen Kräfte alles daran, das Thema
auf die Agenda zu bringen? Gerade jetzt! Denn nie sind Herrschende mehr als
in Wahlkampfzeiten gezwungen, sich auf Gespräche mit der Bevölkerung
einzulassen. ...
Dass es Möglichkeiten der Unterstützung eines Irak-Kriegs durch die deutsche
Regierung gibt, entgeht im Moment einer schlafenden Öffentlichkeit. Zum
einen stellt sich wie schon beim Golfkrieg von 1991 die Frage, wer es
bezahlen soll. Damals hatte sich die Bundesregierung an der Finanzierung
beteiligt. Die Regierung Schröder müsste jetzt - vor dem Wahltag! - deutlich
erklären, dass sie zu keinerlei Kostenübernahme bereit ist. Zum andern wird
die US-Armee im Kriegsfall auch Basen auf deutschem Boden benutzen wollen.
Dies müsste ihr definitiv verboten werden. Sie hat kein Recht dazu, wenn es
sich nicht um einen von der NATO getragenen Krieg handelt. Wird es ihr aber
nicht verboten und werden außerdem die Kosten mitgetragen, dann bedeutet
das: allem flauen und windelweichen Gerede zum Trotz, das die deutsche
Regierung möglicherweise hören lässt, um die Öffentlichkeit zu täuschen,
wird sie diesen Krieg an der Seite der USA mitführen.
Warum wird ihr das nicht um die Ohren geschlagen? Vielleicht liegt es daran,
dass man sie, einer falschen politischen Taktik zufolge, schon längst
öffentlich auf die Verräterbank gesetzt hat. Aber bis jetzt hat sie den
Verrat, mag er auch zu erwarten sein, noch nicht begangen. ...
Norbert Bierbaum, ein unverdächtiger Zeuge, schrieb vor Monaten, die
amerikanische Regierung sei verärgert, weil von deutscher Seite trotz
öffentlicher Solidaritätsbekenntnisse nur Obstruktion komme. Das alles wurde
von den kritischen Kräften ignoriert, als ob sich das Friedenslager dann
besser sammeln lasse - jetzt aber stehen sie, wie es scheint,
handlungsunfähig da: Es ist ja schon alles entschieden! Nein, es ist noch
gar nichts entschieden. Entschiedene Ankündigungen der deutschen Regierung
könnten vielleicht immer noch etwas bewirken. Sie agiert zweideutig, sie
muss so oder so zur Eindeutigkeit gezwungen werden. Im Übrigen muss diese
Regierung sich fragen, was sie eigentlich noch zu verlieren hat. Warum wagt
sie nicht die Flucht nach vorn? Ihre Wahlchancen sind doch nicht gerade
hoch. Könnte es nicht zum Vorteil ausschlagen, wenn sie nicht nur eine klare
Haltung des Protests, sondern des Widerstands einnähme? Verweigert sie das,
soll sie nur abgewählt werden.
Aus: Freitag, 26. Juli 2002
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