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Grüne gegen Irak-Krieg

Ein Brief von Uli Cremer sowie eine kursierende Unterschriftenliste

Nun regt sich immer mehr Widerstand in den eigenen Reihen: Bei SPD und Grünen ist der Schlingerkurs der rot-grünen Bundesregierung in der Irakkriegsfrage Anstoß zu vermehrtem Engagement gegen den Krieg. Wir dokuemntieren im Folgenden einen Brief von Uli Cremer, früher grüner Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik und den Ratschlagsbesuchern von diversen Kongressen in Kassel bekannt, an seine Parteifreunde und an die grüne Bundestagsfraktion sowie eine bei den Grünen kursierende Unterschriftenliste.


An die
GRÜNE Bundestagsfraktion
& den GRÜNEN Bundesvorstand

Hamburg, den 04.01.2003

Beim Widerstand gegen den Irak-Krieg jetzt nicht schlapp machen: Joschka Fischer (wieder) auf Anti-Kriegs-Kurs bringen!

Liebe FreundInnen und Freunde,
wie Ihr wisst, war ich 1999 Initiator der GRÜNEN Anti-Kriegs-Initiative gegen den NATO-Krieg und einige Zeit Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik. Die Äußerungen des GRÜNEN Außenministers Fischer in den letzten Wochen lassen mich befürchten, dass die rot-grüne Bundesregierung dabei ist, ihre lobenswerte Ablehnung eines Irak-Kriegs faktisch aufzugeben, auf den letzten entscheidenden Metern schlapp und so den Weg in den Krieg freizumachen.

Damit würde die seit Sommer 2002 bestehende Position der deutschen Bundesregierung gegen den Irak-Krieg geräumt, die nicht unerheblich zum Wahlsieg im September beigetragen hat. Die deutsche Gegenposition hat in den letzten Monaten trotz einiger inhaltlicher Inkonsequenzen die US-Kriegsambitionen eingehegt. Sie war für die Anti-Kriegs-AktivistInnen in aller Welt und insbesondere für die US-Oppositionskräfte eine große Ermutigung.

Auch wenn die CDU-Opposition und viele Medien gebetsmühlenartig die Isolation der Bundesregierung versuchten herbei zu reden und zu schreiben: Durch die deutsche Anti-Kriegs-Haltung war nicht die deutsche Regierung, sondern die US-Regierung in den letzten Monaten in die Defensive geraten und isoliert. Die Einschätzung wird übrigens z.B. auch in wichtigen Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unterstützt. Dort schrieb Prof. C. Tomuschat am 11.11.02: "Offensichtlich haben sich die Vereinigten Staaten doch von dem entschiedenen Widerstand der Mehrzahl ihrer Verbündeten beeindrucken lassen."

Die Bush-Regierung musste nach und nach die eigene Position korrigieren: Sie musste die Forderung nach Regime-Wechsel in Bagdad genauso offiziell aufgeben wie ihren Widerstand gegen die erneute Entsendung von UN-Inspekteuren. Die aktuelle UN-Irak-Resolution 1441 enthält keine nachweisbaren Positionsgewinne für die Bush-Regierung und belässt die Entscheidung weiter beim UN-Sicherheitsrat. Auch die Erklärung des NATO-Gipfels von Prag gibt der US-Regierung keine frei Hand für den Krieg, sondern bindet den NATO-Militärpakt an die UN-Resolution. Davon ausgehend, dass keine Geheimabsprachen bestehen, hat die deutsche Regierung in den letzten Monaten Standhaftigkeit, Mut und Rückgrat bewiesen und im wesentlichen Kurs gehalten. Darauf aufbauend haben sich französische und russische Regierung im UN-Sicherheitsrat dem US-Kriegskurs in den Weg gestellt. Die rot-grüne Regierung hat in den vergangenen Monaten friedenspolitisch viel bewegt. Das verdient Respekt. Das friedenspolitische Wasserglas, das nach der Beteiligung am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien leer war, enthält wieder etwas Flüssigkeit.

Mit ihrer grundsätzlichen (wenn auch nicht immer konsequenten) Anti-Kriegs-Haltung übernahm die Regierung internationale Verantwortung und entsprach auch dem Artikel 26 des Grundgesetzes: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."

Ohne Not hat Außenminister Joschka Fischer nun in den letzten Wochen begonnen, die deutsche Haltung gegen den Irak-Krieg aufzugeben und damit den Weg in den Krieg freizumachen. Dabei sind ihm leider auch einige KollegInnen aus Fraktion und Partei zur Seite gesprungen, z.B. auch die Fraktionschefin Krista Sager.

Der entscheidende Positionswechsel bestand darin, dass sich J. Fischer die absurde US-Interpretation der UN-Sicherheitsrats-Resolutionen zu eigen machte. Nach dieser kreativen "Rechtsauffassung" wäre die UN-Resolution 1441 vom 8.11.02 ausreichend, um einen Krieg gegen den Irak zu legitimieren. Am 28.12.02 erklärte J. Fischer, es gäbe "keinen mandatsfreien Zustand" mehr. Dies ist einerseits völkerrechtlich gesehen Unsinn, aber andererseits eben eine fatale politische Neupositionierung der Bundesregierung.

Zu den Fakten: Die UN-Resolution 1441, die z.Z. den Ausgangspunkt für das weitere Handeln bildet, enthält an keiner Stelle eine Ermächtigung zur Durchführung von Kampfeinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta. Vielmehr beschließt der Sicherheitsrat, "mit der Angelegenheit befasst zu bleiben". Das bedeutet üblicherweise, dass er sich erneut mit dem Thema befassen wird und dabei selbstverständlich einen neuen Beschluss fassen kann. Fasst er keinen, gilt weiter der Status Quo, d.h. es gäbe weiterhin keine UN-Ermächtigung zum Krieg und man hätte sich an das in der UN-Charta verankerte Verbot eines Angriffskrieges zu halten. Der Sicherheitsrat nimmt sich in der Resolution 1441 vor, bei einem mutmaßlichen Bruch der Resolution durch den Irak, das Thema zu behandeln. Dieser würde politisch bewertet, und es würden Maßnahmen beschlossen. Es handelte sich um einen neuen BESCHLUSS - was auch sonst?

Wer nun im Sicherheitsrat ein Mandat für einen Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta verhindern will, muss nur dafür sorgen, dass es entweder zu keinem neuen Beschluss kommt oder einen neuen Beschluss durchsetzen, der wiederum ausdrücklich keine Kampfeinsätze nach Kapitel VII vorsieht. Blockiert die US-Regierung einen solchen Beschluss und findet gleichzeitig ihre Kriegsposition keine Mehrheit, träte Fall 1 ein, d.h. es gäbe keinen Beschluss. Bliebe noch die im Raum stehende US-Fehlinterpretation von Resolution 1441: Sobald der Sicherheitsrat einen "ernsthaften Verstoß" des Iraks beschlösse, sei automatisch eine Ermächtigung zum Krieg erteilt. Das einfache Gegenrezept, um alle Zweifel auszuräumen, ist auch hier, jeglichen neuen Beschluss zu verhindern. Die entsprechende rechtliche Möglichkeit haben natürlich in erster Linie die Veto-Mächte Frankreich, Russland und China. Aber diese orientieren sich durchaus an der deutschen Position. Stimmt die Bundesregierung mit Bush, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die genannten Veto-Mächte auch klein beigeben.

Viele sind der Meinung, dass die Bush-Regierung dann eben ohne UN-Mandat einen Angriffskrieg gegen den Irak beginnen würde. Dabei ist zu bedenken: Die Bush-Regierung würde nicht nur Völkerrecht brechen, sondern auch materielle Probleme haben, da die Gewährung von Unterstützung und Stützpunkten durch verschiedene Staaten bei fehlendem UN-Mandat gefährdet wäre. Deswegen sollten wir nicht so tun, als wenn es keinen Spielraum gäbe.

Eine international verantwortliche und glaubwürdige Anti-Kriegs-Position der deutschen Regierung erfordert vor diesem Hintergrund zweierlei: Erstens das Beziehen der Position, dass es zur Zeit einen mandatsfreien Zustand gibt, der Sicherheitsrat also in allen zukünftigen Entscheidungen frei ist. Zweitens die klare Festlegung, selbst im Sicherheitsrat gegen einen Krieg zu agieren, idealerweise nicht durch Abwarten, sondern eigene Aktivität. Das hieße, nicht auf die Resolutionstexte anderer (z.B. der USA) zu warten, sondern selbst Beschlusstexte vorbereiten und die beiden Veto-Mächte Frankreich und Russland auf der Anti-Kriegs-Position zu halten.

Die undeutlichen, aber eindeutigen Äußerungen von J. Fischer zum Thema "deutsches Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat" bewirken dagegen genau das Gegenteil. Sie sind ein Signal an die USA, dass deren Kriegskurs von Deutschland mitgetragen wird, und eines an die anderen bisherigen Kriegsgegner (Regierungen wie Bewegungen), dass Deutschland sie im Regen stehen lässt, wenn es ernst wird. Joschka Fischers Äußerungen der letzten Wochen sind als Meilensteine für den Wechsel Deutschlands, das keine Bananenrepublik, sondern eine einflussreiche internationale Macht ist, ins Kriegslager zu werten. Sie bringen den internationalen Widerstand gegen den Irak-Krieg zum Einsturz. So begibt sich Deutschland "auf den Kriegspfad".

Es wäre fatal, wenn die rot-grüne Regierung in den entscheidenden Wochen sich selbst das Rückgrat bricht und sie das friedenspolitische Wasserglas wieder ausgießt. Dieser friedenspolitische Verrat wird angesichts der klaren und stabilen Mehrheit in der Bevölkerung gegen den Krieg schwer wiegen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen wird schnell verspielt, es dauert jedoch lange, es wieder aufzubauen. So verspieltes Vertrauen wäre sicher kein Beitrag, um bei den nächsten Landtagswahlen große Wahlerfolge zu erzielen.

Außerdem wäre ein Positionswechsel eine Entmutigung für die Friedenskräfte in aller Welt und ein Beitrag zur Förderung der allgemeinen Politikverdrossenheit ("Nicht ein Wahlversprechen wird eingehalten!" "Alles Lügner" "Die wechseln ihre Positionen so häufig wie ihre Unterwäsche" usw.).

Liebe Bundestagsfraktion, lieber Bundesvorstand,

noch ist es nicht zu spät. Jetzt gilt es, gerade angesichts des wachsenden Drucks der Bush-Regierung Rückgrat zu zeigen. Eure Aufgabe in den nächsten Wochen ist es, den Außenminister, der schließlich Mitglied unserer Partei ist, sowie die gesamte Bundesregierung von der Position " Wir machen den Weg in den Krieg frei" wieder abzubringen. Die deutsche Anti-Kriegs-Haltung muss nicht über Bord geworfen, sondern konsequenter ausgestaltet werden. Deswegen macht Euch stark für folgende Forderungen:
  • Deutschland muss im UN-Sicherheitsrat aktiv gegen eine Ermächtigung einer US-geführten Kriegskoalition zum Angriff auf den Irak agieren und die Bush-Regierung isolieren. Die deutsche Regierung muss ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich und Russland nutzen, um diese beiden Veto-Mächte auf Anti-Kriegs-Kurs zu halten, damit kein UN-Kriegsbeschluss zustande kommt. Dazu bedarf es einer klaren Festlegung Deutschlands auf ein NEIN zu einem Irak-Krieg bei eventuellen Abstimmungen im UN-Sicherheitsrat.
  • Im Sinne des im Grundgesetz verankerten Verbots der Unterstützung eines Angriffskrieges dürfen dem US-Militär nicht länger Überflugrechte und die Nutzung von Infrastruktur in Deutschland gewährt werden.
  • Die ABC-Einheiten der Bundeswehr sind samt Gerät sofort aus Kuwait abzuziehen, die Flotteneinheiten am Horn von Afrika umgehend zurückzurufen (s. BDK-Beschluss vom 8.12.2002). Bei Verlegung der Awacs-Spionageflugzeuge in den Nahen Osten müssen die deutschen Soldaten aussteigen.
Also: Beim Widerstand gegen den Irak-Krieg jetzt nicht schlapp machen! Bringt Joschka Fischer (wieder) auf Anti-Kriegs-Kurs!

In diesem Sinne ein friedliches neues Jahr wünscht

Uli Cremer.
Hamburg, den 04.01.2003


30.12.2002
Grüne gegen den Irakkrieg


Wir (allesamt Mitglieder der Partei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN oder des Jugendverbandes Grüne Jugend) lehnen einen Irakkrieg weiterhin strikt ab.

Wir glauben nicht, dass die vorhandenen Probleme im Irak durch einen Krieg gelöst werden können. Die US-Regierung, und allen voran George W. Bush, führt diesen Krieg aus anderen Motiven. Ein zentrales Kriegsziel ist es, durch einen politischen Machtwechsel im Irak - einem der wichtigsten Ölförderländer - den Zugriff auf fossile Energieressourcen langfristig zu sichern. Eine Bundesregierung, die den Klimaschutz zu einem der wichtigsten politischen Ziele erklärt hat, kann und darf diese imperiale Strategie gegenüber dem Mittleren Osten und in Zentralasien nicht unterstützen. Wir lehnen eine aktive Beteiligung deutscher Soldaten ebenso ab, wie eine indirekte Beteiligung durch die Genehmigung von Überflugrechten. Auch ein "deutsches Ja" im UN-Sicherheitsrat halten wir für falsch. Wer mit guten Gründen und seit Monaten die Eröffnung eines Krieges gegen die Saddam Hussein-Diktatur für falsch, kontraproduktiv und gefährlich hält, kann seiner Legitimation im höchsten UNO-Gremium keine Zustimmung geben. Die Bundesregierung setzte sich damit dem Vorwurf der politischen Schizophrenie aus und würde nach innen wie nach außen unglaubwürdig.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesaußenminister Joschka Fischer haben im Wahlkampf ihre Ablehnung gegenüber einem Irakkrieg deutlich gemacht.
Aufgrund dieser Ablehnung gegen einen Irak-Krieg haben wir uns für Rot-Grün im Wahlkampf eingesetzt und viele WählerInnen haben uns u.a. deswegen ihr Vertrauen geschenkt.

Wir verstehen nicht, warum die Regierung ihre Position ändert. Die Beteiligung an einem möglichen Irakkrieg, ist eine zu wichtige Sachentscheidung, um Bündnisinteressen in den Vordergrund zu stellen.

Wir fordern die Bundesregierung und allen voran Gerhard Schröder und Joschka Fischer auf, die im Wahlkampf gegebenen Versprechen auch einzuhalten und sich weder direkt noch indirekt an einem Irak-Krieg zu beteiligen. Von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN erwarten wir, dass diese Position auf allen Ebenen vertreten und eingehalten wird.

Dieser Aufruf hat bis zum 7. Januar, also binnen einer guten Woche, bereits 265 Unterschriften von grünen Mandatsträgern aus dem ganzen Bundesgebiet erhalten. Der Aufruf befindet sich auf der Homepage der "Grünen Linken" (www.gruene-linke.de) und kann dort von Parteimitgliedern und -funktionären unterzeichnet werden.


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