Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Beendet das Schweigen

Gewerkschaften und der Irak-Krieg

Von Stefan Körzell

Die Gefahr wächst, dass die USA den Irak angreifen. Auch wenn der UN-Sicherheitsrat einen Militärschlag bislang mehrheitlich ablehnt. Der hessische DGB-Vorsitzende Stefan Körzell fordert die Gewerkschaften auf, ihr Schweigen zu beenden und gegen den drohenden Krieg Stellung zu beziehen.

Seit Kriegsende fordern die deutschen Gewerkschaften "Nie wieder Krieg!" Dies im klaren Bewusstsein, dass Krieg noch nie zur Lösung politischer Probleme beigetragen hat und es für militärische Gewalt keine Solidarität geben darf. Die Gewerkschaften muss es deshalb im höchsten Maße beunruhigen, wenn die Vereinigten Staaten im Geleitzug mit Großbritannien einen Freibrief für militärische Gewalt gegen den Irak einfordern. Es hat nichts mit Anti-Amerikanismus zu tun, wenn wir als Gewerkschaften das offensichtliche Ziel der Vereinigten Staaten, den Rest der Welt nach ihrem Bild zu gestalten, kritisieren, Zweifel an der Strategie des Weißen Hauses äußern und die aufgebaute Drohkulisse argwöhnisch beleuchten. Ich werte es als einen unfreundlichen Akt, die uneingeschränkte Solidarität, von der Bundeskanzler Gerhard Schröder im vergangenen Jahr nach dem 11. September gesprochen hat, so zu interpretieren, dass die europäischen Verbündeten den amerikanischen Kriegskurs mitzutragen haben.

1991, während des Golfkrieges, sind in Frankfurt tausende von jungen Menschen vor das Gewerkschaftshaus gezogen und haben ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und dem Irak gefordert. Die jungen Menschen haben darauf gewartet, dass sich die Gewerkschaften, die sich ja auch immer als ein Teil der Friedensbewegung definiert haben, mit ihnen solidarisieren und gegen den Krieg demonstrieren. Es ist also auch eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber der jungen Generation, ob und in welcher Form Gewerkschaften sich gegen einen weiteren Krieg, ob im Irak, Iran oder in Nordkorea, stellen. Die von den USA heraufbeschworene "Achse des Bösen" kann kein Maßstab dafür sein, den USA ohne die Zustimmung der Vereinten Nationen die Ermächtigung dazu zu geben, einen anderen Staat anzugreifen. Die selbst ernannte "Supermacht des Guten" würde damit selbst in die Rolle des bösen, des angreifenden Staates geraten.

Der US-Haushaltsexperte Kent Conrad hat vorgerechnet, dass ein drei Monate andauernder Krieg und fünf Jahre Besatzung im Irak rund 272 Milliarden Dollar kosten würden. Der Preis für den Wiederaufbau ist darin noch gar nicht enthalten. Profitieren würden von diesem Krieg die amerikanischen Erdölkonzerne. Zweifelhaft ist, ob sie auch nur einen Dollar für die geschundene irakische Zivilbevölkerung ausgeben würden. Es ist unnötig, im Irak ein weiteres Kapitel der Geschichte vermeidbarer menschlicher Tragödien zu schreiben, zu denen gerade Washington und London in den vergangenen zehn Jahren mehr als andere Staaten beigetragen haben. Jeden Monat sterben im Irak durchschnittlich 5000 bis 6000 Kinder an Unterernährung, an verseuchtem Wasser und weil Medikamente fehlen. Das haben jene Staaten zu verantworten, die mit ihrer Politik dafür sorgen, dass Ausrüstung und Materialien nicht freigegeben werden. Durch einen Krieg wird weder das Problem des Terrorismus gelöst noch das Problem der Umverteilung von den Reichen zu Gunsten der armen Länder. US-Präsident Bush, der unbeirrt weiter auf den Krieg zumarschiert, muss Einhalt geboten werden. Nicht Krieg, sondern soziale Gerechtigkeit ist weltweit das beste Mittel, den Frieden zu sichern. Gerade die Gewerkschaften wissen aus bitterer Erfahrung, dass Terror nicht durch Gegenterror gebrochen werden kann, sondern nur durch vernünftiges, solidarisches Handeln. Die Gewerkschaften haben aus ihrer Geschichte heraus den Auftrag, für den Frieden zu kämpfen. Daran sollten wir uns gerade jetzt in dieser angespannten, atmosphärisch aufgeheizten Zeit erinnern. Im Oktober 1981 haben über 300 000 Menschen für Abrüstung und Entspannung in Europa demonstriert. Das könnte uns wieder gelingen. Wer verstärkt Sinn und Unsinn eines solchen Krieges hinterfragt, muss dessen fatale Folgen für die Gesellschaft hier und anderswo deutlich machen. Oder um es mit dem ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King zu sagen: "Es gibt eine Zeit, da Schweigen Verrat ist." Ich glaube, diese Zeit ist jetzt da.

Aus: einblick 19/02, 28. Oktober 2002


Zurück zur Seite "Stimmen gegen den Krieg"

Zur Seite "Gewerkschaften und Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage