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Chaos und Gewalt

Irak: Rückzug der US-Truppen aus den Städten bis 30. Juni. Sicherheit bringt auch das nicht

Von Karin Leukefeld *

Mit dem Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus irakischen Städten und Ortschaften bis zum 30. Juni sei ein »wesentlicher Meilenstein des Sicherheitsabkommens erreicht«, sagte Chris Hill, US-Botschafter im Irak, vor wenigen Tagen in Washington. Bei dem ­SOFA genannten Sicherheitsabkommen (Status of Forces Agreement) handelt es sich um ein Truppenstatut für die US-Besatzungstruppen im Irak, denen mit Ablauf des UN-Mandats Ende 2008 die legale Begründung für ihre Präsenz im Irak abhanden gekommen war. Nach heftigen innerirakischen Auseinandersetzungen, war das Abkommen schließlich im vergangenen November zwischen der irakischen Regierung und der US-Administration unterzeichnet worden. Neuer Standort der Truppen werden fortan US-Militärbasen im Irak sein, die genaue Zahl dieser Basen ist unbekannt. Man geht von vier Hauptstützpunkten (Bagdad, Balad, Tikrit und Naseriya) aus, doch es gibt noch Dutzende weitere Militärcamps. Die 140000 US-Soldaten im Irak halten praktisch alle Stützpunkte der früheren irakischen Armee besetzt. Der endgültige Abzug für das Gros der Truppen ist für Ende 2011 vorgesehen. Rund 60000 Soldaten sollen allerdings auch danach weiter im Irak stationiert bleiben.

Nicht alle Einheiten werden aus den Städten abgezogen. Spezielle US-Sicherheitskräfte werden weiterhin gemeinsam mit der irakischen Armee »im Kampf gegen den Terror« bei Razzien und präventiven Festnahmen vermeintlicher »Al-Qaida- oder anderer Kämpfer« operieren. Außerdem können die Truppen aus den Stützpunkten jederzeit eingreifen, wenn die irakische Regierung sie darum bittet.

Wichtiger als das SOFA ist für die US-Administration allerdings ein zweites Abkommen, das in der irakischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Das »Strategische Rahmenabkommen« regelt langfristig den bilateralen »Austausch im Bereich von Bildung, Wirtschaft und Politik«. Ebenfalls vorgesehen sind umfangreiche Waffenlieferungen an den Irak, Ausbilder inklusive.

Angesichts einer Reihe von schweren Bombenanschlägen in Kirkuk, Mossul, Falluja und Bagdad, bei denen in der vergangenen Woche mindestens 250 Menschen starben und Hunderte verletzt wurden, haben wütende Iraker in Sadr City von der Regierung mehr Schutz gefordert. Dort waren allein am vergangenen Mittwoch 78 Menschen getötet worden. Wer hinter den Anschlägen steckt, ist unbekannt. In jedem Fall sind die Anschläge eine deutliche Herausforderung an die Regierung von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki, der nach dem US-Truppenrückzug für die Sicherheitslage voll verantwortlich sein wird. Der als pragmatisch geltende Maliki hatte sich mit teilweise offenem Widerspruch zur Bush-Administration, mit Distanz zum Iran und unerbittlichem Vorgehen gegen (schiitische) Milizen in Basra und (kurdische) Milizen in Mosul bei den Irakern einigermaßen Respekt verschafft.

Skeptisch über den Truppenabzug der US-Amerikaner haben sich derweil Vertreter der Regierung im autonomen Kurdistan im Nordirak geäußert, wo die US-Truppen schon lange nicht mehr im öffentlichen Straßenbild sichtbar sind. »Wir stehen vor einem riesigen Problem«, sagte Fuad Hussein, Berater und Mitarbeiter von Präsident Masud Barsani kürzlich gegenüber der Washington Times. Die letzten Anschläge hätten gezeigt, daß das Land nicht stabilisiert sei, Schlüsselvereinbarungen zwischen der Regierung und den Provinzen ließen auf sich warten. Hussein kritisierte Maliki, der gegenüber den Kurden weder bei der Ölförderung noch bei der Abstimmung über die Zukunft von Kirkuk Kooperationsbereitschaft gezeigt habe. »Wenn die Probleme nicht in ein oder zwei Jahren gelöst sind, könnte der Rückzug der amerikanischen Armee zu mehr Unruhe in Bagdad führen, und neue Kämpfe zwischen den Volks- und Religionsgruppen könnten ausbrechen«, warnte Hussein. Während die Kurden Kirkuk und damit die zweitgrößten Ölfelder des Irak für sich beanspruchen, will Bagdad den Kurden entsprechend ihrer Bevölkerungsstärke lediglich 16 Prozent der nationalen Öleinnahmen überlassen. Im vergangenen Jahr hatte der kurdische Präsident Masud Barsani die US-Truppen eingeladen, in den kurdischen Gebieten zu bleiben, sollten sie im Irak nicht mehr willkommen sein.

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2009


Cabinet Wants Iraq Pact Referendum Delayed Until 2010

Delay Would Render Vote Virtually Meaningless

by Jason Ditz **


The only way the Iraqi government was able to ratify the Status of Forces Agreement (SOFA) with the United States in November was with the promise that the deal would be put before the Iraqi populace as a referendum to be held on July 30 of this year.

With less than two months before the promised vote and with no preparations made, it was hardly surprising today when the cabinet announced that it wanted to push back the referendum and hold it concurrently with the already-delayed parliamentary elections on January 30, 2010. The delay was ostensibly to "save time and money."

Yet in reality the delay would take what was already a largely symbolic referendum and made it virtually meaningless. The SOFA agreement only covers the period from January 1, 2009 through the end of 2011, and requires a 12 month advance notice before either party can cancel the pact. This means that if the delayed referendum fails the deal would still be into effect into the beginning of 2011, though a defeat at the polls would likely do serious harm to the Maliki government for pushing the pact through in the first place.

The SOFA was intended to limit the largely unchecked exercise of force the US forces had enjoyed under the UN mandate covering the occupation through the end of 2008. In reality the US has largely ignored the procedural changes of the pact, and apart from occasional complaints by the Iraqi government has seen little if any consequence.

** http://news.antiwar.com, June 10, 2009


Getrübte Freude

Von Olaf Standke ***

Den vollständigen Abzug aus Irak bis Ende 2011 hat Präsident Barack Obama versprochen. Gestern wurde ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan: Die US-amerikanischen Streitkräfte haben sich vollständig aus den Dörfer und Städten des Zweistromlandes zurückgezogen. Die Freudenfeste der Iraker sprechen ihre eigene Sprache, der Mythos der Befreier wird nur in politischen Sonntagsreden der Regierung beschworen. Und selbst dort hat man längst die nächsten Parlamentswahlen im Blick, weshalb diese Zäsur schnell wie ein Sieg über die Besatzer klingt.

Die haben sich in wenige Stützpunkte zurückgezogen und werden nun zu großen Teilen zum nächsten Kriegsschauplatz nach Afghanistan weiterziehen. Sie hinterlassen ein Land, das noch weit von der Normalität entfernt ist. Ihr Kommandeur geht davon aus, dass es in den nächsten Jahren eine Art permanenten »Aufstand auf niedrigem Niveau« geben werde. Aber es ist nicht nur die Sicherheitslage, die vielen im Land bei aller Freude über den Rückzug Sorgen macht. Es sind auch die politischen Machtkämpfe, die Korruption und die schlechte wirtschaftliche wie soziale Situation. Ob das gestern eingeleitete Ende der vor fast vier Jahrzehnten verfügten Verstaatlichung der irakischen Ölproduktion zu Verbesserungen für alle führt, bezweifeln nicht wenige. Weil neue Abhängigkeiten drohen und der Streit um die Ölfelder im kurdischen Norden des Landes schnell zu einem weiteren Konflikt eskalieren könnte.

*** Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2009 (Kommentar)


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