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Prozesstermin in Bagdad

Ali Hassan al Madschid muss sich erneut vor Gericht verantworten

Von Karin Leukefeld *

Vor dem Sondertribunal in der »Grünen Zone« Bagdads wird Ali Hassan al Madschid, alias »Chemie- Ali«, erneut der Prozess gemacht. Verhandelt wird die gewaltsame Niederschlagung des schiitischen Aufstandes im März 1991.

Der Film hat schlechte Qualität. Die Schwarz-Weiß-Bilder sind verwackelt, offenbar von einer versteckten Position aufgenommen. Sie dokumentieren eine Szene, die sich im März 1991 in der Umgebung der irakischen Pilgerstadt Nadschaf abgespielt haben soll. Irakische Militärs sind zu sehen, unter ihnen ein älterer Mann, gekleidet in einen warmen Mantel, um den Kopf hat er eine Kefije, ein kariertes Nomadentuch, geschlungen. Die Militärs schlagen mit Waffen und Stöcken auf Männer ein, die angsterfüllt am Boden liegen. Auch der ältere Mann hält einen Stock und schlägt, andere treten mit Füßen nach ihren Opfern, die schützend ihre Arme vor das Gesicht halten, manche bewegen die Lippen, scheinen um Gnade zu bitten.

Ali Hassan al Madschid el Tikriti, Cousin des früheren irakischen Machthabers Saddam Hussein, ist der Mann mit der Kefije. Die Aufnahmen könnten als Beweis in einem neuen Prozess eingeführt werden, der am gestrigen Dienstag gegen Madschid und 15 weitere Angeklagte begann. Die Anklage lautet auf Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Hassan al Madschid wurde besser bekannt als »Chemie-Ali«, wie ihn die irakischen Kurden nannten. Hintergrund sind die Giftgasangriffe, die am Ende des Iran-Irak-Krieges 1987/88 in Nordirak Zehntausende Menschen das Leben kosteten. Wegen Völkermord an den Kurden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen waren Al Madschid und seine Mitangeklagten bereits am 24. Juni 2007 zum Tode verurteilt worden. Saddam Hussein, ebenfalls mit angeklagt, war bereits am 30. Dezember 2006 aufgrund einer Todesstrafe aus einem anderen Prozess gehängt worden. Al Madschid, der seine Verantwortung für die Giftgaseinsätze in Nordirak stets zurückwies, legte am 27. Juli 2007 Berufung gegen das Todesurteil ein. Wird die Berufung abgewiesen, werden er und die Mitverurteilten innerhalb von 30 Tagen hingerichtet. Der neue Prozess dürfte dann zu den Akten gelegt werden.

Hassan al Madschid wurde 1941 als ältester Sohn eines Bruders von Saddam Husseins Vater in Tikrit geboren. Vor der Baath-Revolution 1968 soll er Motorradkurier der Armee gewesen sein, berichtete die schweizerische Organisation »Trial Watch«, die alle Verfahren gegen die ehemalige irakische Regierung beobachtet. Saddam Hussein machte seinen Cousin nach der Machtübernahme zum Sicherheitschef, später zum Sekretär im Büro für nordirakische Angelegenheiten. In dieser Funktion leitete er von März 1987 bis April 1989 alle staatlichen Behörden in den kurdischen Provinzen und befehligte zudem zwei dort stationierte Armeekorps, die oberste Sicherheitsdirektion und den militärischen Geheimdienst. Ausgestattet mit so viel Macht, muss Al Madschid offensichtlich an der als »Anfal-Kampagne« bekannt gewordenen Bestrafungsaktion gegen die Kurden beteiligt gewesen sein. Die kurdischen Peschmergakräfte hatten während des Iran-Irak-Krieges an der Seite Irans gekämpft und galten dem Regime Saddam Husseins daher als »Verräter«.

1990/91 war Al Madschid Militärgouverneur des besetzten Kuwait, wurde später Chef des revolutionären Kommandorates, Verteidigungsminister, Geheimdienstchef und Innenminister. Nach dem Rückzug aus Kuwait soll er für die Repression gegen die schiitisch-muslimische Bevölkerung im südlichen Irak verantwortlich gewesen sein und den »Schaaban Aufstand« grausam niedergeschlagen haben, wie auch die anfangs erwähnten Filmaufnahmen zeigen. Massengräber, die nach dem Krieg 2003 in der südlichen Wüste gefunden wurden, weisen auf die hohe Zahl der Opfer hin, die nie dokumentiert wurde.

1995 geriet die Position Al Madschids jedoch ins Schwanken, nachdem zwei seiner Neffen, die zugleich Schwiegersöhne von Saddam Hussein waren, nach Jordanien flohen und dort erfolglos versuchten, zum US-Geheimdienst überzulaufen. Nach ihrer Rückkehr soll Al Madschid die tödliche Bestrafungsaktion gegen die beiden sowie deren Vater (seinen Bruder) und andere Personen geleitet haben. 1998 wurde Al Madschid erneut zum Kommandeur der Südfront ernannt, nachdem britische und US-Kampfflieger von Kuwait aus den Irak angegriffen hatten. 2003, kurz vor Beginn der US-geführten Invasion, nahm er den gleichen Posten ein.

Im April 2003 hieß es zunächst, Ali Hassan al Madschid sei in seinem Haus in Basra durch einen Luftangriff getötet worden. Im August des gleichen Jahres teilte die US-Armee mit, man habe Al Madschid lebend gefangen genommen. Über die Umstände seiner Gefangennahme wurde offiziell nichts bekannt.

* Aus: Neues Deutschland, 22. August 2007


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