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Bagdad mauert sich ein

Um Iraks Hauptstadt wird ein gigantischer Schutzwall errichtet. Mehr Sicherheit versprechen sich die Bewohner davon nicht. Sie wollen Jobs, Strom und Wasser

Von Karin Leukefeld, Bagdad *

Willkommen in Bagdad«, lacht Ali und drosselt am »Bagdad Gate« die Geschwindigkeit nach der mehrstündigen Fahrt von Kirkuk aus. Die zwei großen Torbögen markieren die nordöstliche Stadtgrenze zur Provinz Diyala. »Die Tore sind neu«, erklärt Ali, das eigentliche »Bagdad Gate« stehe im Norden, an der Stadtgrenze zur Provinz Salahadin, wo es nach Tikrit, Samara und Mossul geht. Während die Gebäude des neuen »Bagdad Gate« für Polizei und Soldaten bereits fertig gestellt sind, ziehen sich die Bauarbeiten der Tore und der hindurchführenden Straßen hin. »Hier soll die Mauer um Bagdad beginnen und enden«, berichtet Ali aus den Nachrichten vom Vortag. Der »Sicherheitszaun« ist eine Idee aus dem Verteidigungsministerium und soll bis Mitte 2011 errichtet sein. Tatsächlich handelt es sich um eine Mauer aus Betonelementen, auf deren oberem Ende ein Zaun mit Kameras und Bewegungsmeldern installiert werden soll. In den ländlichen Gegenden, die Bagdad umgeben, sollen tiefe Gräben die Mauer ersetzen. Nur durch acht Tore soll man die irakische Hauptstadt erreichen können. Ali findet die Idee gut, zumal es heißt, die Kontrollpunkte und Straßenbarrieren in der sieben Millionen Einwohner zählenden Metropole würden anschließend beseitigt werden.

Am frühen Morgen bietet Bagdad ein bizarres Bild. Die breiten Einfallsstraßen ins Zentrum sind völlig verstopft. Die Stadtviertel rechts und links der Straßen sind hinter hohen Betonmauern verborgen, an denen die Werbeplakate der Parlamentswahl vom 7. März verblassen. Jedes Fahrzeug muß unzählige Posten passieren, während Soldaten und Polizisten die Gesichter studieren, mit Spiegeln unter die Fahrzeuge blicken oder mit Sprengstoffdetektoren, die sie wie eine Pistole halten, am Fahrzeug entlanggehen. Wenn Fahrer oder Mitfahrer am Morgen zuviel Rasierwasser oder Parfüm benutzt haben, schlägt das Gerät schon mal aus, lacht Ali. »Das Ganze ist eine Farce. Wir wissen, daß jemand ein gutes Geschäft gemacht hat, aber die Geräte sind nutzlos.« Fahrzeuge mit Sprengstoff und Attentäter sind trotzdem in die Stadt gelangt, viele vermuten hochrangige Sicherheitskräfte dahinter, die gegen Geld aus dem Ausland oder aus Überzeugung die Anschläge decken. Niemand macht die Soldaten und Polizisten verantwortlich, die in brütender Hitze und Staub ausharren und selber Ziel von Anschlägen werden. Um die Leute aufzumuntern, haben sie die Kontrollposten mit Plastikblumen und irakischen Fahnen geschmückt und finden immer wieder ein freundliches Wort für die Wartenden.

Eine Mauer um Bagdad hält der Sportlehrer Kerim für »völlig sinnlos«. Solange sich die Regierung nicht um die Bevölkerung, sondern nur um ihren eigenen Vorteil kümmere, werde es weiter Gewalt und Anschläge geben, keinen Strom, kein Wasser, keine Arbeit. »Vor allem Arbeit ist wichtig für uns«, sagt Kerim, der nach seinem Studienabschluß 1994 ein Gehalt von umgerechnet weniger als zwei US-Dollar erhielt. »Das Geld reichte nicht einmal aus, um eine Stange Zigaretten zu kaufen.« Nach dem Einmarsch in Kuwait im Sommer 1990 stand der Irak unter UN-Sanktionen, viele gingen ins arabische Ausland, um Geld zu verdienen. Kerim verkaufte Eis im Jemen und trainierte Sportstudenten in Libyen, heute verdient er sich gelegentlich Geld als Fahrer und kümmert sich um das Geschäft eines Freundes, der 2008 nach Amman floh. Weil er nicht Mitglied einer Partei ist, hat er keine Aussicht, einen der inzwischen gut bezahlten Jobs als Sportlehrer oder im Bildungsministerium zu bekommen. Während einer Fahrt über die Jumhuriya-Brücke, vorbei an der »Grünen Zone« und dem alten Muthanna-Flughafen, auf dem kürzlich ein Geheimgefängnis entdeckt wurde, erzählt Kerim von der Festnahme seines Vaters und dessen Freilassung nach 23 Monaten Haft. Er war von einem »geheimen Informanten« der US-Armee beschuldigt worden, die Mehdi-Armee von Muqtada Al-Sadr finanziell zu unterstützen. »Mein Vater war damals 72 Jahre und erhielt eine monatliche Pension von 80 US-Dollar«, regt Kerim sich auf. »Wie soll er von dem wenigen Geld seine Familie und dann noch politische Parteien unterstützen?!« Selbst wenn er gespendet hätte, sei das eine private Entscheidung und nicht illegal. 23 Monate verbrachte der alte Mann in Camp Bucca, dem Wüstengefängnis der US-Armee bei Basra im Südirak. Als es Ende 2009 geschlossen wurde brachte man ihn ins Cropper-Camp am Flughafen von Bagdad, erst Ende März 2010 kam er frei. »Der Mann, der ihn ins Gefängnis brachte, ist seit zehn Monaten selbst in Haft«, sagt Kerim, und die Genugtuung darüber ist ihm anzumerken.

»Es ist das System der Amerikaner, das Irak und unsere Gesellschaft zerstört hat und Tausende Menschen unrechtmäßig ins Gefängnis bringt oder tötet«, bestätigt Salim Al-Jiboori [1], der im Irakischen Menschenrechtsrat aktiv ist. Geheime Informanten erhielten Geld von den Amerikanern, ohne daß der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen geprüft werde. »Am schlimmsten war es 2006 und 2007«, erinnert er sich an andere Greueltaten, über die offiziell bis heute geschwiegen werde. So die Mordwellen gegen Lehrer und Professoren, Wissenschaftler und Ärzte, deren Hintermänner bis heute nicht gefaßt wurden. In einer ganzen Serie wurden Dutzende früherer Piloten der irakischen Luftwaffe ermordet, was viele für eine Vergeltung für deren Teilnahme im Krieg gegen den Iran (1980–1988) hielten. Aufgeklärt wurden alle diese Morde nie. »Damals herrschte Ausgangssperre und dennoch fand man fast jeden Morgen Dutzende junger Männer ermordet auf den Straßen, zog Leichen aus dem Tigris, geknebelt und gefesselt.« Es sei noch nicht vorbei, meint Al-Jiboori und berichtet von dem Fall eines Professors, der erst vor einer Woche morgens früh auf dem Weg zur Arbeit von Uniformierten gestoppt und mit seinen zwei Begleitern erschossen worden war. »Sie benutzen Schalldämpfer, so daß man es in dem Chaos, das hier herrscht, gar nicht merkt.«

[1] Name auf Wunsch und aus Sicherheitsgründen geändert

* Aus: junge Welt, 12. Mai 2010


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