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"Wer Basra kontrolliert, kontrolliert das Öl von Basra"

Schwere Kämpfe der irakischen Armee gegen schiitische Milizen. Artikel von Karin Leukefeld und Sami Ramadani ("No, no, to the new dictatorship")



Schlag Bagdads gegen die Sadr-Bewegung

Regierung Iraks stellt Miliz des schiitischen Predigers in Basra zweifelhaftes Ultimatum

Von Karin Leukefeld *

In der südirakischen Stadt Basra wird heftig gekämpft. Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat den Kämpfern der Mahdi-Armee des Predigers Moktada al-Sadr ein Ultimatum gestellt. Wer innerhalb von 72 Stunden die Waffen abgebe, werde nicht verfolgt.

Es ist ziemlich genau einen Monat her, dass Sadr, der in westlichen Medien gern »Hassprediger« genannt wird, einen sechsmonatigen Waffenstillstand seiner Mahdi-Milizen um weitere sechs Monate verlängerte. Beifall kam damals von allen Seiten. Ein US-Armeesprecher begrüßte die »wichtige Selbstverpflichtung, die die Sicherheitslage für alle Iraker verbessern könne«. Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott Stanzel, erklärte sogar, man sei bereit für einen Dialog mit der Sadr-Bewegung; und laut Staffan de Mistura, Sondergesandter des UN-Generalsekretärs in Irak, helfe die Verlängerung des Waffenstillstandes, die nationale Versöhnung zu fördern. Umso mehr erstaunt die aktuelle Militäroperation, die von der irakischen Armee unter Führung von Ministerpräsident Maliki seit Dienstag in Basra und anderen Städten Südiraks sowie in Sadr City, dem mit zwei Millionen Einwohnern größten Armenviertel von Bagdad, durchgeführt wird. Maliki machte in einer Erklärung die Bewegung Sadrs für eine »brutale Kampagne« in Basra verantwortlich, der »unschuldige Männer und Frauen« zum Opfer fielen. Und weiter: »Die föderale irakische Regierung wird Sicherheit, Stabilität und Gesetz in der Stadt wiederherstellen.«

Tatsächlich war Basra in den letzten zwei Jahren zu einem Schlachtfeld krimineller Banden und politischer Gruppen geworden, die blutig und rücksichtslos gegenüber Andersgläubigen, gegenüber Frauen, gegenüber Akademikern ihre Machtkämpfe ausfochten. Bagdad hatte darüber ebenso geschwiegen wie die britischen und US-Besatzungstruppen, solange die Ölförderung und der Ölexport nicht in Gefahr waren. Nicht geschwiegen hatten die Iraker, die immer vehementer die Einstellung der Kämpfe gefordert hatten. Die Sadr-Bewegung hatte daraufhin im August 2007 ihren Waffenstillstand erklärt. Im Nachrichtensender Al Jazeera International sagte Scheich Obeidi von der Sadr-Bewegung, bewaffnete Gruppen seien in Basra aufgetreten, die sich teilweise als Mahdi- Milizen ausgegeben und Morde verübt hätten, obwohl sie nicht zur Mahdi- Armee gehört hätten. Die Bewegung müsse ihre Reihen neu ordnen, der Waffenstillstand werde dafür sorgen, dass die Iraker wieder sicherer leben könnten. Und nun schickt Bagdad urplötzlich drei irakische Brigaden nach Basra und lässt als erstes genau diejenigen angreifen, die sich an den Waffenstillstand gehalten haben.

Die Kämpfe in Basra waren seit 2006 zwischen der Mahdi-Armee Sadr und den Badr-Brigaden von Abulaziz al-Hakim eskaliert, dem mächtigen, sowohl von Iran als auch von den USA unterstützten Führer des Höchsten Islamischen Rates in Irak (SCII). Die Badr-Brigaden wurden in den 90er Jahren als Miliz gegen Irak von Iran aufgebaut, ausgerüstet und trainiert, heute sind sie weitgehend in die irakische Armee integriert.

Die Mahdi-Armee von Sadr hingegen entstand nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 spontan unter den Schiiten als arabisch-irakische Widerstandsbewegung und erhielt zeitweise eine Art Entwicklungshilfe von der libanesischen Hisbollah. Die aktuelle Militäroperation in Basra hat nicht das Ziel, die Sadr-Bewegung militärisch zu schwächen, sondern es soll ihr unbestritten großer politischer Einfluss gestoppt und ihre Anhängerschaft unter der jungen und armen Bevölkerung eingeschüchtert werden.

Im Oktober 2008 sind Wahlen in Irak, und jeder weiß, wer Basra kontrolliert, kontrolliert das Öl von Basra. Hakim und sein SCII haben ehrgeizige Pläne in Südirak, den Hakim nach dem Vorbild des kurdischen Nordirak in eine autonome Region umstrukturieren will. Doch die Mehrheit der Iraker vertraut Hakim weder politisch noch persönlich, von vielen wird er auch »der Iraner« genannt. Die Sadr-Bewegung hingegen gilt als glaubwürdig, denn sie tritt nicht nur gegen die Besatzung und für die Rechte der Armen ein, sie will auch, dass der Irak als eine Nation erhalten bleibt und nicht in einzelne Ölscheichtümer aufgeteilt wird.

* Aus: Neues Deutschland, 27. März 2008

Kämpfe um irakische Ölstadt Basra

Tote und Verletzte bei Armeegroßeinsatz. Schiitenführer Al-Sadr droht mit landesweitem Generalstreik **

Die von den Besatzungstruppen gestützte irakische Armee hat sich heftige Kämpfe mit der Mahdi-Miliz des schiitischen Geistlichen Muqtada Al-Sadr geliefert. Infolge der Auseinandersetzungen war am Dienstag der Erdölhafen im südirakischen Basra lahmgelegt. Nach Polizeiangaben gab es mindestens sieben Tote und 40 Verletzte, unter ihnen mehrere Zivilisten. Britischen Militärs zufolge überwachte der von den Besatzern abhängige Ministerpräsident Nuri Al-Maliki persönlich den Großeinsatz. In der Hauptstadt Bagdad demonstrierten Hunderte Anhänger Al-Sadrs gegen die Festnahme von Mitgliedern ihrer Bewegung.

Ein von Al-Sadr ergangener Aufruf zum Generalstreik in Bagdad wurde in den von seinen Anhängern kontrollierten Vierteln breit befolgt. Geschäfte, Schulen und Büros blieben geschlossen. Der Besatzungsgegner selbst drohte für den Fall weiterer Angriffe auf seine Bewegung mit einem landesweiten Generalstreik. In einem in der schiitischen Pilgerstadt Nadschaf verlesenen Text des schiitischen Predigers hieß es, »wenn die Regierung nicht auf uns hört, rufen wir zum zivilen Ungehorsam in Bagdad und den anderen Provinzen auf«.

Nach den heftigen Kämpfen im Süd­irak verhängten die Behörden Ausgangssperren über vier Städte südlich von Bagdad: Hilla, Kut, Samawa und Nasirija. Für die südirakische Provinz Basra war bereits vorher eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft. Dort liefern sich konkurrierende schiitische Gruppen einen erbitterten Machtkampf. Ein Sprecher der Al-Sadr-Bewegung in Basra bedauerte die dortige Gewalt und rief dazu auf, durch Verhandlungen zur Beruhigung der Lage beizutragen.

Der Oberkommandierende der USA im Irak, General David Petraeus, sprach sich laut einem Bericht der New York Times in einer Videokonferenz mit US-Präsident George W. Bush am Montag dafür aus, nach Abschluß des bis Juli geplanten Abzugs von fünf Kampfbrigaden die Zahl der Soldaten zunächst konstant zu halten. Die derzeitige Truppenplanung sieht vor, statt bislang 158000 US-Militärs ab Juli 140000 im Irak zu stationieren.

** Aus: junge Welt, 26. März 20008



In der linksliberalen britischen Zeitung The Guardian erschien am 25. März ein Artikel von Sami Ramadani, der vor einer neuen Diktatur im Irak warnt, die ihn an die Diktatur Saddam Husseins erinnere. Sami Ramadani ging während der Herrschaft Saddams ins Exil. Er ist Dozent an der London Metropolitan University und engagiert sich in der Antikriegs-Bewegung.

"No, no, to the new dictatorship"

by Sami Ramadani [extracts] ***

Thousands of people are joining the protest marches and "sit-ins" in Baghdad as I write these lines. They are mainly responding to a call by leading anti-occupation cleric Moqtada al-Sadr in the wake of fierce clashes between the Sadr movement supporters and many thousands of occupation-backed Iraqi forces who began a major military campaign in Basra last night. (...)

An urgent message this morning from an Iraqi trade union activist in Basra referred to resistance to the government forces in several Basra neighbourhoods and "savage" attacks against the resistors. The message stressed that "security plan began in the same barbaric manner that the criminal Saddam had used". This is a reference to the March 1991 uprising that began in Basra and which was brutally crushed by Saddam's forces.

The demonstrators, in several areas of Baghdad as well many southern cities, held placards and chanted slogans against the military campaign in Basra, Iraq's second biggest city. Their most prominent slogan is "Kella, kella lil ditatoriya al-jedida": No, no, to the new dictatorship. Other slogans include: "No to the US", "No to the occupation", "Yes to Iraq". (...)

There is no doubt that the Sadr movement has not lost its popular appeal amongst the poorest sections of the people, who also happen to be the staunchest opponents of the occupation, just as they were amongst the Saddam regime's most vehement opponents. Their rebellions against perceived injustice are the signposts of Iraq's major 20th century upheavals.

However, the attack does not come as a surprise to people in Basra, where tension has been rising for the past two weeks amidst rumours that Iraq's main port of Um Qasr was about to be taken over by the Iraqi forces who would wrest control over the port, Iraq's only outlet to the sea, from the port workers' union, which is part of a coordinating committee of the province's unions, led by the Iraqi federation of oil unions (Ifou).

The omens of bad things to come were strengthened after US vice president Dick Cheney's visit to Baghdad last week. Iraqis dread the outcome of visits by senior occupation figures to Baghdad, particularly visits by Cheney or former ambassador Negroponte, who is seen by many Iraqis as "the main architect of divide and rule policies and terrorist attacks on Shia, Sunni or Christian targets". They point to major sectarian attacks, including the blowing up of the Samarra Shia shrine, during or days after each such visit. Following the bombing of the shrine, Moqtada al-Sadr himself accused the occupation of being behind the attacks - a position echoed by some Sunni clergy and secular forces. He later accused the US of sabotaging his attempts to unite with Sunnis.

(...)

Reports are now pouring in that clashes have spread to the southern cities of Kut, Nassiriya and Diwaniya. All entrances to Sadr City in Baghdad were closed by occupation and Iraqi forces in the past few hours. Sadr's statement to his supporters this morning has a severe tone and accuses the government of serving the occupation and implementing its wishes. He called on people to stage sit-ins as a first step followed by "civil disobedience," and if the government did not respond by halting its military campaigns against the Sadr movement then he would announce a third step, adding a clear warning, "li kulli hadithin hadith" - meaning that for every event there will be an appropriate response.

It remains to be seen whether support for Sadr's call for protest action will spread to areas outside those where the Sadr movement is traditionally strong. (...)

Meanwhile, there is clearly widespread support for his call and opposition to the government's actions in Basra amongst all well known anti-occupation figures, who have also accused the US-led occupation of backing the Iraqi forces in Basra and Baghdad by "using their air force against the people", according to Sheikh Jawad al-Khalisy, leader of the broadly-based Iraqi Foundation Congress, in an interview this afternoon with al-Baghdadia satellite TV.

*** Source: The Guardian (online), March 25, 2008;
http://commentisfree.guardian.co.uk



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