Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mehr Flüchtlinge, mehr Armut

Trotz positiv gefärbter Bilanzen geht es Irakern immer schlechter

Von Karin Leukefeld *

Seit fast fünf Jahren sind US-amerikanische Truppen in Irak. Das einstige Invasionsbündnis bröckelt, nach Großbritannien werden auch Polen und Australien ihre Soldaten im kommenden Jahr aus dem Zweistromland abziehen. Mauern trennen heute das irakische Mosaik aus Religionen und Nationen, Frieden gibt es nicht.

2007 war das Jahr der irakischen Flüchtlinge. Offiziell spricht das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR von 2,5 Millionen irakischen Flüchtlingen und 2 Millionen Inlandsvertriebenen. Etwa 1 Million Iraker zog es nach Syrien, wo bis Anfang Dezember die Einreise ohne Visum möglich war. Jordanien, wo nach UNHCR-Angaben etwa 750 000 irakische Flüchtlinge leben, schloss seine Grenzen schon im vergangenen Frühjahr. Zu den großen Verlierern unter den Inlandsvertriebenen in Irak gehören die irakischen Palästinenser, die heute in provisorischen Wüstenlagern an der irakischsyrischen Grenze ausharren.

Die Situation der irakischen Zivilbevölkerung hat sich 2007 weiter verschärft. Die Leidtragenden sind vor allem Kinder und Frauen. Eine offizielle Regierungsstatistik geht davon aus, dass es in Irak etwa fünf Millionen Waisenkinder gibt. Auch die Zahl der Witwen ist rapide gestiegen. Schlecht bleibt die Versorgung mit Strom und sauberem Wasser, mit Medizin und Bildung in allen größeren Städten. Steigende Preise für Gas, Benzin und Grundnahrungsmittel stürzen die Menschen in Armut. Kurz vor dem islamischen Opferfest verkündete die Regierung, die Essensrationen würden zu Beginn des neuen Jahres halbiert. Von den bisher zehn Produkten soll es dann nur noch Mehl, Zucker, Reis, Öl und Milchpulver für Kinder geben. Grund für die Kürzung sei, dass sich die Preise für Nahrungsmittel 2007 verdoppelt hätten, so das Handelsministerium. Von acht Millionen Irakern, die auf die Essensrationen angewiesen sind, lebt die Hälfte unter der Armutsgrenze von 100 US-Dollar pro Monat.

Weiterhin ist Irak für Journalisten das gefährlichste Land, wie der Jahresbericht des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) zeigt. Von den 32 im vergangenen Jahr getöteten Journalisten waren 31 Iraker.

Ministerpräsident Nuri al-Maliki verlor 2007 fast die Hälfte der Minister seiner Einheitsregierung. Umstritten ist weiterhin das neue Ölgesetz, das eine Privatisierung von Förderung und Exporten vorsieht. Eine breite irakische Ablehnungsfront sorgte dafür, dass der Entwurf, der sowohl in Washington als auch in Bagdad Anfang des Jahres abgesegnet worden war, inzwischen auf Eis liegt. Die kurdische Regionalregierung verabschiedete daraufhin nicht nur ein eigenes Ölgesetz, sondern schloss auch ein gutes Dutzend Verträge mit internationalen Ölfirmen ab.

Während der Kontakt zum einflussreichen Nachbarn Iran sehr eng ist, befinden sich die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Türkei auf dem Tiefpunkt. Seit Weihnachten bombardiert die türkische Luftwaffe Lager der PKK in den nordirakischen Kandilbergen, türkische Truppen marschierten kurzfristig sogar in Nordirak ein. Wie wenig souverän Irak tatsächlich ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es die US-Armee war, die den Türken den irakischen Luftraum freigab, während die irakische Regierung protestierte.

Die Optimismus verbreitenden Berichte der US-Armee und westlicher Medien, wonach die Sicherheit in Bagdad Ende 2007 besser sei als zu Beginn des Jahres, kommentierte die »Los Angeles Times« bissig: »Wenn aber die Stabilität in Irak von kilometerlangen Betonmauern und einer endlosen US-Besatzung abhängt, dann ist das kein ›Sieg‹, sondern eine Niederlage.«

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage