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Über 60 Tote in Irak

Anschlagserie am Wochenende / Schweres Attentat auf schiitische Pilger *

Irak ist am Wochenende von einer Serie schwerer Anschläge erschüttert worden. Am Rande von Basra kamen 53 Menschen ums Leben, als sich ein Selbstmordattentäter inmitten von schiitischen Pilgern in die Luft sprengte. Am Sonntag (15. Jan.) wurden bei Autobomben- und Selbstmordanschlägen in Ramadi vier Polizisten getötet.

Bei dem Selbstmordanschlag auf schiitische Pilger, die sich anlässlich des Festes von Arbain auf dem Weg zur Pilgerstätte Chutwa Imam Ali am Rande von Basra befanden, wurden am Samstag über 60 Menschen getötet und 137 weitere verletzt, wie der Leiter der Gesundheitsbehörde der Provinz mitteilte. Wie ein Augenzeuge berichtete, hatte der Attentäter am Vormittag Kuchen an die Pilger verteilt, die auf dem Weg zur Pilgerstätte im Süden des Landes waren. Ein Soldat habe jedoch Verdacht geschöpft und versucht, den Attentäter zu seinem Vorgesetzten zu bringen, sagte Kadhim Nasser, der an dem Anschlagsort einen Stand zur Versorgung der Pilger betrieb. Der Attentäter habe den Soldaten jedoch weggestoßen und sich in die Luft gesprengt. Dutzende Frauen und Kinder seien unter den Opfern.

Viele Schiiten pilgern zu dem Heiligtum bei Basra, wenn sie nicht den längeren Weg nach Kerbala im Zentrum Iraks machen können. Am Samstag (14. Jan.) feierten dort Hunderttausende Schiiten unter strengen Sicherheitsvorkehrungen das Ende des Festes zu Ehren von Imam Hussein. Die Feiern, zu denen nach Behördenangaben insgesamt 15 Millionen Pilger ans Grab von Hussein in Kerbala kommen, wurden bereits in den vergangenen Tagen von Anschlägen überschattet.

In Ramadi verübten Extremisten am Sonntag (15. Jan.) eine Reihe von Selbstmord- und Autobombenanschlägen, bevor sie ein Polizeigebäude stürmten. In der Hauptstadt der zentralen Provinz al-Anbar seien gegen Mittag zunächst zwei Autobomben nahe einer Moschee explodiert, sagten zwei Polizeivertreter. Kurz darauf sei eine dritte Autobombe im Stadtzentrum und eine vierte nahe einem Polizeigebäude in die Luft gegangen. In dem Gebäude hätten sich anschließend zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt.

Den Angaben zufolge versuchten daraufhin bewaffnete Männer das Polizeigelände zu stürmen und lieferten sich ein stundenlanges Feuergefecht mit den Sicherheitskräften. Bei den Gewalttaten seien mindestens vier Polizisten getötet und 19 weitere Menschen verletzt worden, hieß es. Die vorwiegend sunnitische Provinz al-Anbar war eine der Hochburgen des Aufstands gegen die US-Armee. Erst nach der Rekrutierung sunnitischer Milizen aus früheren Aufständischen gelang es im Jahr 2007, die Provinz zu befrieden.

* Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012


Bombenterror

Von Olaf Standke **

Erst verteilte er süßes Gebäck, dann zündete der junge Mann seinen Sprengstoffgürtel - mehr als 60 Menschen starben am Sonnabend am Rande von Basra, als sich ein Selbstmordattentäter inmitten schiitischer Pilger in die Luft jagte. Am vergangenen Freitag noch sprach der Leiter der UNO-Mission in Bagdad von durchaus guten Chancen für ein Ende der massiven Regierungskrise im Zweistromland. Nach der jüngsten Anschlagserie am Wochenende sehen allerdings Beobachter auch dieses zarte Pflänzchen der Hoffnung schon wieder zerstört. Dutzende Iraker wurden in verschiedenen Teilen des Landes durch Bomben getötet, Schiiten wie Sunniten.

Das Jahr 2012 ist gerade einmal zwei Wochen alt, und in der Opferstatistik mussten schon über 160 Tote nach terroristischer Gewalt erfasst werden. Kenner des Landes sehen dabei einen Zusammenhang zwischen den Sprengstoffanschlägen und der Eskalation des politischen Machtkampfs. Vor allem der schiitische Premierminister Nuri al-Maliki steht hier in der Kritik. Gleichzeitig Innen- und Verteidigungsminister, Oberkommandierender der Armee, Chef des Nationalen Sicherheitsrates und Chef der Geheimdienste, regiert er das Land mit eiserner Faust. Anschläge wie jener in Basra drohen so auch die letzten Chancen auf eine Aussöhnung in Irak zu begraben. Im Land geht längst das Gespenst eines neuen Bürgerkrieges um.

** Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012 (Kommentar)


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