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Medizin unter Kriegsbedingungen

Zur Gesundheitsversorgung im Irak

Den folgenden Beitrag schickte uns die Autorin, die sich seit langem in verschiedenen humanitären Projekten für die Verbesserung des Gesundheitswesens im Irak engagiert. Mit der Veröffentlichung im "Deutschen Ärzteblatt" erreichen das Thema und das politische Anliegen von Angelika Claußen ein breites Fachpublikum.


Von Angelika Claußen, IPPNW

Auch nach dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen befindet sich das irakische Gesundheitssystem in schlechtem Zustand. Zum Mangel kommen Korruption und Gewalt.

Bagdad, Central Teaching Hospital for Children: Abwässer fließen über die Böden. Das Trinkwasser ist kontaminiert. Die Ärzte des Krankenhauses schätzen, dass 80 Prozent der Patienten das Krankenhaus mit Infektionen verlassen, die sie bei Aufnahme nicht gehabt haben. Da die Blutkonserven nicht ausreichen, spenden viele Ärzte eigenes Blut. Die Gewalt von der Straße ist in die Krankenhäuser gedrungen. Das Personal wird immer häufiger von aufgebrachten Angehörigen bedroht. „Jetzt ist es noch schlimmer als vor dem Krieg“, sagt Eman Asim, ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, der die Situation in den 185 Krankenhäusern des Landes überblickt. „Selbst zur härtesten Zeit des Embargos, als die Versorgung jämmerlich war, war es nicht so schlimm wie jetzt. Es gab einfach mehr Kontrolle.“ Völlig anders sieht das Bob Goodwin, ein US-amerikanischer Gesundheitsberater, der seit Sommer 2003 für die Koalitionskräfte arbeitet. „Ich bin durch das ganze Land gereist, wir haben jetzt durchschnittlich einen besseren Standard in den Krankenhäusern“, sagt er im Februar gegenüber der New York Times.

Doch unabhängige Berichte wie der von Dr. Geert van Moorten, einem belgischen Notfall- und Tropenmediziner, der für die Organisation „Medizinische Hilfe für die Dritte Welt“ arbeitet und zuletzt im März im Irak war, zeichnen ein düsteres Bild. Das System der Abwasserkanäle von Bagdad wurde während des Krieges teilweise zerstört und ist bisher nicht repariert worden. In vielen Stadtteilen gibt es keine geregelte Müllabfuhr. „Ich habe 25 Krankenhäuser und Apotheken besucht“, berichtet Moorten beim Irak-Tribunal, das ein Bündnis verschiedener Friedensgruppen am 19. Juni in Berlin veranstaltet hat. „Überall sind zu wenig Basismedikamente, zu wenig medizinisches Material wie Spritzen, Infusionssets, Handschuhe, Nahtmaterial. In der Verbrennungsstation des Al-Nour-Hospitals in Bagdad gibt es keine Möglichkeit für sterile Behandlungen, sodass viele Patienten einfach sterben.“ (1)

Die Ursachen dafür, dass das irakische Gesundheitssystem immer noch in einem so schlechten Zustand ist, sind vielfältig – angefangen damit, dass die Koalitionskräfte eine forcierte Privatisierungspolitik betreiben, die den Wiederaufbau des Landes in die Hände von großen transnationalen Konzernen gelegt hat und die irakischen Fachkräfte und neu gegründeten irakischen Firmen von der Wiederaufbauarbeit ausschließt. Zum Beispiel erhielt die US-Firma Bechtel einen Zwölfmonatsvertrag über 1,03 Milliarden US-Dollar, um die Wasser- und Abwassersysteme im Irak zu erneuern. Bis heute hat Bechtel den Auftrag nicht erfüllt, die Kläranlage von Rustamiya in Bagdad zu reparieren, die nach dem Krieg wie viele andere öffentlichen Einrichtungen geplündert wurde. Das bedeutet, dass noch immer täglich eineinhalb Tonnen grobe Abwässer in den Tigris gepumpt werden. Ein Drittel der Bevölkerung von Bagdad hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Omar Mekki, ein Beamter der Weltgesundheitsorganisation im Irak, betont: „Wir sind verantwortlich, dafür zu sorgen, dass diese Anlage endlich repariert wird. Das Schmutzwasser tötet unsere Kinder.“ (2)

Eine weitere Ursache für das schlechte Funktionieren des Gesundheitssystems und insbesondere die unzureichende Versorgung der Bevölkerung ist aber auch die weit verbreitete Korruption: Medikamente und medizinische Materialien, die eigentlich vom Gesundheitsministerium zentral an die Krankenhäuser und Ambulanzen verteilt werden sollen, gelangen häufig nicht an ihren Bestimmungsort. Sie werden gestohlen und tauchen auf dem Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen wieder auf. (3)

Das größte Problem ist jedoch, dass der Krieg im Irak weitergeht. Die Regierungen der USA und Großbritanniens haben 2003 einen Krieg begonnen, der nicht durch das Völkerrecht gedeckt war. Gegen die in ihren Augen unrechtmäßige Besetzung des Landes setzen sich jetzt bewaffnete Widerstandskämpfer zur Wehr. Beide Seiten, sowohl die Koalitionskräfte als auch der bewaffnete Widerstand, halten sich dabei nicht an die Genfer Konvention, die regelt, dass die Zivilbevölkerung auf jeden Fall geschützt werden muss. Mit den nachgewiesenen Folterungen irakischer Gefangener haben sich die Besatzungsmächte gründlich diskreditiert. Der Krieg wird, je länger er dauert, an Härte zunehmen. Statt Wiederaufbau des Landes wird ein verwüstetes Minenfeld hinterlassen. Schon heute ist die junge Generation nach anhaltendem Embargo und Krieg schwer traumatisiert.

Verschiedene Hilfsorganisationen versuchen, diesem Meer von Hoffnungslosigkeit entgegenzutreten, darunter sind solche, in denen sich besonders Ärzte engagieren. Auch die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in Sozialer Verantwortung (IPPNW) versuchen in bescheidenem Rahmen zu helfen. Zusammen mit Ärzten der Al-Mustansariya-Universität Bagdad, dem Verein „Kinder von Bagdad“ und der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Hamburg will die IPPNW an der Universität Bagdad Schritt für Schritt das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie installieren. Eine kinderpsychotherapeutische Ambulanz, die mit der Al-Mustansariya-Universität und dem psychiatrischen Stadtkrankenhaus zusammenarbeiten wird, soll direkte Hilfe für die traumatisierten Kinder und ihre Familien leisten.

Literatur
  1. Dr. Geert van Moorten: “One year after the Fall of Baghdad: How healthy is Iraq?“, March 2004, in www.health-now.org.
  2. “Failure to protect the Rights to Health and Life“ aus dem Bericht des Center for Economic and Social Rights, Juni 2004, www.cesr.org/beyondtorture.htm.
  3. “Health Ministry fights corruption“ IRIN (Integrated Regional Information Networks), UN Coordination Office for Humanitarian Affairs, 16. 6. 2004.
Aus: Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 30 vom 23.07.2004, Seite A-2100


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