Suchtfaktor Krieg
Tödliches Kommando - The Hurt Locker von Kathryn Bigelow
Von Alexandra Exter *
Diese Männer riskieren ihr Leben, und auch der Zuschauer ist von Anfang
an mittendrin: »Tödliches Kommando« ist der härteste und unmittelbarste
aller Spielfilme, den Hollywoods Auseinandersetzung mit dem US-Einsatz
in Irak bisher hervorbrachte. Gut zwei Stunden dauert er, fast zwei
Stunden davon spielen in der Hitze in und um Bagdad, unter den Männern
einer Eliteeinheit, deren Sterblichkeitsrate die jeder anderen Einheit
noch einmal um Längen schlägt. Das Entschärfen handgebastelter Bomben in
Autowracks und Lagerhallen, in Mülltüten, im Staub der Straße, eingenäht
in die Kleidung mehr oder weniger wild entschlossener
Selbstmordattentäter oder, perfider noch, in die Leichen von Märtyrern
wider Willen ist ihr Geschäft, und sie sind Experten darin.
Drehbuchautor Mark Boal hat erlebt, worüber er schrieb, er war als
»embedded journalist« im Gefolge der US-Truppen dabei beim Einmarsch in
Irak. Welche Schlüsse er aus seinen Kriegserfahrungen zog, konnte man
schon einmal auf der Leinwand begutachten: Einer seiner Essays lieferte
die Grundlage für das Drehbuch zu Paul Haggis' todtraurig-bitterbösem
Kriegsheimkehrerdrama »Im Tal von Elah«. Dort ging es um die Gefährdung,
die traumatisierte, alltagsentwöhnte, auf die kleinste Provokation hin
gewaltbereite Irakkriegs-Veteranen nach ihrer Rückkehr für sich und
andere darstellen können. In »Tödliches Kommando« geht es um die Droge
Krieg selbst. »Tödliches Kommando« ist einer dieser Antikriegsfilme, die
nichts als Krieg zeigen - und deshalb um so stärker wirken.
Regisseurin Kathryn Bigelow, schon immer eine starke Frau in
traditionellen Männerfilmdomänen (»Gefährliche Brandung«), inszeniert
die technische Präzision des Kriegshandwerks dieser Männer, aber auch
ihre permanente Anspannung und Todesangst. Eine Anspannung, die sich in
den Ruhepausen zwischen zwei Einsätzen in Ballspielen, Trinkgelagen oder
Raufereien entlädt, in ungeschickter physischer Kameraderie oder
einsamen Weinkrämpfen unter der Dusche. Die während der Minuten (oder
Stunden) mit der Bombe aber zu nichts anderem als zu massiv erhöhter
Konzentration führen darf.
Die Handkamera von Barry Ackroyd folgt den nervös streifenden Blicken
der Soldaten hinein in Seitenstraßen, über die Dächer und Hauseingänge,
in Türöffnungen und Fensterlaibungen, macht ihr beständiges Misstrauen
vor den Einheimischen greifbar, die mal schutzbefohlene Zivilisten sind
und mal heimtückische Gegner in Zivil. Denn jeder der schweigend
Umstehenden könnte der Attentäter sein, den Auslöser der Bombe in der
Hand halten oder mit dem Gewehr auf die Männer anlegen, ihre
Exponiertheit nutzend.
Sie erleben den urbanen Guerilla-Krieg als Adrenalinstoß, als Abfolge
höchstverdichteter Augenblicke, als existenzielle Gratwanderung, als
Droge und High. Er ist Drahtseilakt und ultimativer Nervenkitzel, und
sie mögen die Tage bis zur Heimkehr zählen - der Film zählt immer
fleißig mit -, während sie noch mittendrin stecken, mögen hoffen und
beten, bloß heil da wieder rauszukommen, und sehnsüchtig die Bildchen
ihrer Frauen und Kinder herzen - hinterher fehlt er ihnen doch. Der
notwendige Spannungsabbau nach jedem einzelnen Moment von Todesgefahr
und Überleben ist ein Problem, solange die Männer im Kriegsgebiet unter
Feinden leben. Als noch viel größeres Problem aber wird sich für manche
der jähe Spannungsabfall erweisen, sobald sie wieder im Kreise der
Lieben angekommen sind: der heimgekehrte Irakkriegs-Veteran, ein
Adrenalin-Junkie auf Entzug, der Eingliederung in den »normalen« Alltag
nicht mehr fähig, eine menschliche Zeitbombe auf zwei Beinen - und wenn
er nur sich selber dabei umbringt.
So kommt der wahre Schock eines an jähen Schockmomenten nicht eben armen
Films erst ganz am Ende, in der klimatisierten Kühle eines
US-amerikanischen Supermarktes. Da wird für einen der Männer der Frieden
daheim so unerträglich werden, dass er sich lieber zum erneuten
Kriegseinsatz meldet. Der aller statistischen Wahrscheinlichkeit nach
tödlich verläuft, aber einer Lebenswirklichkeit vorzuziehen ist, in der
nur noch über die Wahl des Frühstücksmüsli zu entscheiden ist, aber
nicht mehr über Leben und Tod.
* Aus: Neues Deutschland, 13. August 2009
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