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Luftangriff auf Irak: Wo bleibt die europäische Solidarität, Herr Fischer?

Keine Kritik - nichts. Washington hat freie Hand im Nahen Osten - Das Völkerrecht bleibt wieder einmal auf der Strecke

Am 16. Februar 2001 bombardierten britische und US-amerikanische Flugzeuge irakische Stellungen in der Nähe von Bagdad. Zwei Menschen wurden dabei getötet, mehrere verletzt. Einen ersichtlichen Grund für diesen Angriff gab es nicht, es sei denn, man begnügt sich mit der Erklärung des US-Präsidenten Bush, dass es sich hierbei um eine "Routinemission" gehandelt habe (womit er - leider - ja nicht ganz Unrecht hat, weil US-Kampfflugzeuge seit Jahren solche Angriffe fliegen, nur bisher meist in den so genannten "Flugverbotszonen" und nicht direkt vor den Toren der irakischen Hauptstadt.) Während die internationale Kritik an diesem Piratenakt eindeutig und lautstark ausfiel, hüllte sich Berlin in beredtes Schweigen. Die Öffentlichkeit wurde damit hingehalten, dass der deutsche Außenminister sich kurz vor der Abreise nach Washington befände, wo er Näheres über den Angriff erfahren würde und dann eine Stellungnahme abgeben könne. Ironisch kommentiert die Süddeutsche Zeitung am 21. Februar 2001): "Joschka Fischer hat das in eine unangenehme Situation gebracht. Um seinen Besuch in Washington nicht zu belasten, überbrückte er die Tage bis zu seiner Reise mit Schweigen.

Am Dienstag, den 20. Februar fanden nun die Gespräche statt. Wir hatten es geahnt: Die Bundesregierung hält weiter den Mund, wenn die Amerikaner andere Länder bombardieren. Nach der gewundenen Nicht-Stellungnahme des Bundeskanzlers am Montag, den 19. Februar, komplettierte Außenminister Fischer in Washington die blamable Vorstellung der deutschen Regierung. "Wir haben die USA nicht zu kritisieren", sagte Joschka Fischer nach seinem ersten Zusammentreffen mit dem neuen amerikanischen Außenminister Colin Powell in Washington. Zuvor hatten sie sich lange unterhalten und dabei auch die Situation in der Golfregion beraten. Doch es war wohl eher eine Lehrstunde für Fischer, musste er sich von Powell doch sagen lassen, worum es im Nahen Osten geht: Die Region sei eben ein "großes Sicherheitsrisiko" und die USA würden selbst alles tun, um nach einer "politischen Lösung" zu suchen. Außerdem seien die Piloten gefährlichen Situationen ausgesetzt gewesen. Am Ende bekannte Fischer, dass er die Gründe für den Einsatz von US-Kampfflugzeugen gegen Ziele in Iran billige.

Bundespräsident Rau, der zur selben Zeit in Indonesien weilt, war da schon etwas mutiger gewesen und stellt den Sinn des US-Angriffs auf Irak leise in Frage. Das ist in dieser Weltregion allerdings auch geboten, zumal Rau vor dem Parlament in Djakarta sprach. Die Regierungen in Südostasien halten traditionell die Souveränität und territoriale Integrität der Staaten sehr hoch. Sie wissen, wie wichtig dieses Rechtsgut in den internationalen Beziehungen ist.

Angriff von langer Hand vorbereitet

Dass es sich bei den Angriffen vom Freitag übrigens nicht um einen Akt der "Selbstverteidigung" handeln konnte, geht aus einer Meldung hervor, die sich am 21. Februar in der Neuen Zürcher Zeitung fand (in deutschen Zeitungen wurde nicht darüber berichtet). Nach Angaben eines "hochrangigen amerikanischen Armeeangehörigen" sei der Angriff schon von längerer Hand geplant gewesen. Die gehe daraus hervor, dass die US-Administration mit Bedacht den Freitag als Datum genommen hat. Damit wurde Rücksicht auf China genommen. Warum? Im Irak sind chinesische zivile und militärische Experten dabei, Glasfaserkabel zu verlegen. Am Freitag wird nicht gearbeitet, sodass keine Gefahr bestand, "aus Versehen" chinesische Staatsbürger zu treffen - so wie seinerzeit während des NATO-Kriegs im Mai 1999 die "versehentliche" Bombardierung der chinesischebn Botschaft in Belgrad zu größeren diplomatischen und politischen Problemen geführt hatte.

Auch beim anderen großen Thema, das in Washington zwischen Fischer und Powell besprochen wurde, gab sich der große Europäer eher kleinlaut. Das US-Raketenabewehrsystem wird von der Bundesregierung nicht kritisiert. Damit fällt Berlin hinter eigene Positionen, die sie noch vor Wochen und Monaten eingenommen hatte, zurück - und den übrigen Europäern in den Rücken. Selbst die britische Regierung, sonst in fast allen Fragen ein Herz und eine Seele mit Washington, beginnt die Raketenpläne in Frage zu stellen. Fischer setzt aber auf "Kooperation" in der Raketenfrage. Die deutsche Haltung - dies zeigte sich auch beim zeitgleichen Besuch des Verteidigungsministers Schal-Ping, Pardon: Scharping in China - besteht offenbar darin, das US-Raketenabwehrsystem anderen Regierungen gegenüber zu "kommunizieren", um Verständnis zu werben für die Nöte und Sorgen der USA, die in aller Welt von Schurken und bösen Mächten umgeben seien. Genau das vertrat Fischer auch schon vor einer Woche beim Besuch in Moskau.

Überhaupt ist festzustellen, dass die Rolle Fischers sich in den vergangenen zwei Jahren weiter gewandelt hat. Noch im November 1998 war er angetreten und hatte die atomare Ersteinsatzoption der NATO diskutieren wollen. Er war damals von seiner späteren Busenfreundin Madeleine Albright abgebügelt und von seinem Kabinettskollegen Scharping desavouiert worden. Inzwischen gibt es in Kontinentaleuropa kaum noch eine Regierung, die mit den Amerikanern nicht so ihre liebe Müh und Not hat und dies hin und wieder auch äußert. Fischer ist dagegen immer atlantischer und lammfrommer geworden (und Lämmer schweigen bekanntlich). Zitieren wir wieder aus der Süddeutsche Zeitung: Der deutsche Außenminister sympathisiert "seit einiger Zeit mit der globalen Führungsrolle der Vereinigten Staaten mehr .. als jemals zuvor". (SZ, 21.02.2001)

Der Spiegel gerät darob schon etwas mehr in Rage. Christoph Schult kommentiert in Spiegel-online (22.02.2001): "Alle reden von Bagdad, nur Gerhard Schröder und Joschka Fischer nicht. Briten und Amerikaner bombardieren die irakische Hauptstadt, aber Kanzler und Außenminister schweigen. Muss das so sein?" Es muss nicht: ""Wenn ein neuer US-Präsident einen Luftangriff als außenpolitische Ouvertüre inszeniert, dann sollte selbst ein deutscher Außenminister seine Zurückhaltung aufgeben. Und ein Grüner allemal." Doch hier muss ein Missverständnis vorliegen. Fischer hat bei Amtsantritt zwar sein grünes Parteibuch nicht zurückgegeben, aber hoch und heilig versprochen, dass er keine "grüne" sondern "deutsche" Außenpolitik betreiben wolle. Dass er inzwischen die deutsche Außenpolitik mit der US-Außenpolitik verwechselt, war allerdings nicht vorgesehen. Dafür heimst er hier zu Lande weniger Lob ein als jenseits des Atlantiks, wo ihn sein Amtskollege Colin Powell als "wahren Freund Amerikas" willkommen hieß.
Pst

Was sagt das Völkerrecht?

Die Süddeutsche Zeitung druckte am 20. Februar 2001 ein kurzes Interview mit dem Völkerrechtler Andreas Paulus ab. Die SZ wollte wissen, ob die anglo-amerikanischen Angriffe vom Völkerrecht gedeckt seien? Ein paar Auszüge:

Paulus: "Amerikaner und Briten führen verschiedene Rechtfertigungsgründe an. Doch alle sind sehr problematisch und weit hergeholt."
Rechtlich möglich sind solche Angriffe nur, "... wenn der UN-Sicherheitsrat dies ausdrücklich autorisiert hat. Zum anderen, wenn sie sich gegen Angriffe Bagdads auf sich selbst verteidigen oder anderen Staaten zur Hilfe kommen."

Zum Argument, die Piloten handelten aus "Selbstverteidigung":
"Sie handelten nur dann in legitimer Selbstverteidigung, wenn sie die Flugverbotszonen überhaupt kontrollieren durften. Doch es ist fraglich, ob diese Zonen selbst dem Völkerrecht entsprechen. Die Amerikaner haben sie zum Schutz der Kurden im Norden und der Schiiten im Süden des Iraks eingerichtet. Sie stützten sich dabei auf die UN-Waffenstillstandsresolutionen 686 und 687 von 1991. Sieht man die genauer an, findet man zwar Auflagen, die der Irak erfüllen muss. Die Einhaltung von Flugverbotszonen gehört aber nicht dazu."

Die Flugverbotszonen seien "überhaupt nicht vorgesehen " gewesen. Zwar sei die UN-Resolution 688 zum Zweck des Schutzes der Kurden (im Norden des Irak) und der Schiiten (im Süden) erlassen worden. "Doch sie ermächtigt nicht zum militärischen Eingreifen. Chinesen und Russen haben das damals ausdrücklich abgelehnt. Die Resolution gibt also keine Eingriffsbefugnis. Und auch in ihr ist von Flugverbotszonen keine Rede."

Paulus lässt auch das angebliche Recht auf eine "humanitäre Intervention" nicht gelten. Er sagt: "Die humanitäre Intervention war schon im Kosovo-Krieg als Rechtfertigungsgrund sehr umstritten. Im Fall des Iraks ist sie noch fragwürdiger. Denn es ist zweifelhaft, ob die Flugverbotszonen und damit einhergehend die Luftschläge gegen den Irak überhaupt noch in erster Linie dem Schutz der Kurden und Schiiten dienen. Es scheint doch so zu sein, dass sie hauptsächlich darauf abzielen, den Irak niederzuhalten."

Auf die konsternierte Frage der SZ, ob denn das Völkerrecht "demnach auch 'Schurkenstaaten' wie den Irak" schützen würde, entwortete Paulus: "Es gibt in Amerika eine Tendenz, ein Völkerrecht unter den liberalen Staaten vom allgemeinen Völkerrecht abzugrenzen. Gewaltverbot und Nichteinmischungsgebot gelten aber für alle Mitglieder der Vereinten Nationen, also auch für Afghanistan oder den Irak."

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