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Oberlandesgericht Stuttgart stellt sich hinter Bundesanwalt: Kein Strafverfahren gegen Rumsfeld & Co.

Prozessbevollmächtigter Kaleck: "Im Ergebnis bleiben Opfer schwerster Verbrechen in Deutschland ohne effektiven Rechtsschutz"

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck vertritt im Verfahren gegen Donald Rumsfeld u. a. zivile und militärische Vorgesetzte wegen Folterstraftaten und Kriegsverbrechen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib das New Yorker Center for Constitutional Rights (CCR) sowie eine Reihe von irakischen Geschädigten. Das Verfahren wurde mit Strafanzeige vom 30.11.2004 eingeleitet. Im Verlaufe der Strafanzeige wurden zwei Gutachten von Professor Yules Lobel und Professor Scott Horton eingereicht. Die Bundesanwaltschaft stellte das Verfahren mit Einstellungsbescheid vom 10.02.2005, rechtzeitig vor dem Rumsfeld-Besuch bei der Münchener Sicherheitskonferenz, ein (siehe: "Bundesanwaltschaft wird nicht gegen US-Verteidigungsminister Rumsfeld ermitteln"). Dagegen legte Rechtsanwalt Kaleck Gegenvorstellung ein und erhob einen Antrag im Klageerzwingungsverfahren beim Oberlandesgericht Karlsruhe. Die Gegenvorstellung wurde von der Bundesanwaltschaft ohne inhaltliche Stellungnahme mit wenigen Sätzen abgelehnt. Im September 2005 hat das Oberlandesgericht Stuttgart Klageerzwingungsantrag im Strafverfahren gegen Rumsfeld u. a. verworfen.

Hierzu dokumentieren wir eine Presseerklärung des Prozessbevollmächtigten RA Wolfgang Kaleck.
Der Wortlaut des Beschlusses des OLG Stuttgart kann hier heruntergeladen werden: OLG Stuttgart: Beschluss vom 13. September 2005.



Oberlandesgericht Stuttgart verwirft Klageerzwingungsantrag im Strafverfahren gegen Rumsfeld u. a.

Presseerklärung
Berlin, den 14.09.2005


Mit Beschluss vom 13. September 2005 verwarf der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren gegen den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika Donald H. Rumsfeld und neun weitere Beschuldigte als unzulässig. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) hatte bekanntlich am 10. Februar 2005 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Rumsfeld u. a. für in den Jahren 2003 und 2004 erfolgten Gefangenenmisshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib/Irak wegen Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch abgelehnt (vgl. zur Strafanzeige vom 30.11.2004 und der Entscheidung des GBA : http://www.diefirma.net/index.php?rumsfeld ). Nach § 153 f StPO sei – so der GBA- für ein Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden in Ansehung der Grundsätze der Subsidiarität der deutschen Strafjustiz und der Nichteinmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten kein Raum, da die Vorwürfe in den Vereinigten Staaten von Amerika verfolgt würden. Als Prozessbevollmächtigter der Anzeigenerstatter dem Center for Constitutional Rights in New York/USA und von insgesamt 17 geschädigten Personen aus dem Irak hatte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck aus Berlin gegen diese Entscheidung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Anklageerhebung gegen Rumsfeld u. a., zumindest aber die Einleitung von Ermittlungen gegen die beschuldigten Personen, beantragt. Weiterhin war beantragt im Hinblick auf ein völkerrechtliches Gutachten von Professor Bothe und Dr. Fischer-Lescano worden, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gem. Art. 100 Abs. 2 Grundgesetz über das Verhältnis des Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB) zu § 153 f StPO einzuholen.

Das OLG Stuttgart hält das Klageerzwingungsverfahren für nicht statthaft (§ 172 Abs. 2 S. 3, l. HS StPO i.V.m. § 153 f StPO). In Fällen einer Einstellung nach dem so genannten Opportunitätsprinzip - auch eine solche nach § 153 f StPO - sei vom Gesetzgeber das Klageerzwingungsverfahren nicht vorgesehen. Bei der Einführung des Völkerstrafgesetzbuches habe der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen des Generalbundesanwaltes im Gesetz zu verankern. Das OLG Stuttgart erteilte damit der Rechtsauffassung der Antragsteller eine Absage, wonach die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153 f StPO nicht vorlägen und daher ausnahmsweise das Klageerzwingungsverfahren zulässig sei. Die Antragsteller hatten argumentiert, dass durch den Aufenthalt von mindestens vier der Beschuldigten und den immer wieder zu erwartenden zeitweiligen Aufenthalt weiterer Beschuldigter ein Inlandsbezug gegeben sei und daher eine Einstellung ohnehin nicht in der vorgenommenen Weise hätte erfolgen dürfen. Weiterhin wurde durch umfangreiche Gutachten und Tatsachenvortrag belegt, dass die Strafverfolgung in den USA sich auf ein knappes Dutzend niedrigrangiger Soldaten beschränkt und der zur Anzeige gebrachte Sachverhalt von Vorgesetztenverantwortlichkeit von zivilen und militärischen Verantwortlichen für die systematische Folter in Abu Ghraib in den USA gerade nicht ermittelt wird. Dieses Argument wurde vom OLG Stuttgart, wie schon von der Bundesanwaltschaft in der Entscheidung vom 10. Februar 2005, in keiner Weise gewürdigt. Im übrigen – so das OLG Stuttgart- sei die „durch den Generalbundesanwalt getroffene (eigentliche) Ermessensentscheidung … rechtlich nicht zu beanstanden“, da die Grenze zur Willkürentscheidung nicht überschritten sei. Der weite Ermessensspielraum für die Bundesanwaltschaft sei in der Sache gerechtfertigt, da „ansonsten eine uferlose völkerrechtlich bedenkliche Ausdehnung der inländischen Strafverfolgung“ zu befürchten ist.

Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist sowohl strafprozrechtlich als auch rechtspolitisch kritikwürdig. Im Ergebnis gesteht das OLG Stuttgart der Generalbundesanwaltschaft zu, Ermittlungsverfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch nach fragwürdigen Kriterien einzuleiten oder Verfahren von vornherein einzustellen, solange die Entscheidungen nicht offensichtlich willkürlich sind – aus Sicht der Gerichte wohlgemerkt. Die Versagung einer inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle der Entscheidungen des Generalbundesanwalts offenbart eine mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücke. Im Ergebnis bleiben Opfer schwerster Verbrechen in Deutschland ohne effektiven Rechtsschutz. Die Bemühungen des Center for Constitutional Rights und seines Prozessbevollmächtigten in Deutschland, die faktische Straflosigkeit von Donald Rumsfeld u. a. für die zweifelfrei belegten Kriegsverbrechen und Folterstraftaten in Abu Ghraib zu beenden, werden trotz der Entscheidung des OLG Stuttgart weitergehen.

Quelle: Homepage von HUMMEL.KALECK.RECHTSANWÄLTE: www.diefirma.net


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