Warnung vor Anschlägen
Iraks Regierungschef kündigt nach Attentatsserie "Entscheidungsschlachten" gegen "sunnitische Aufständische" an. Widerstandsgruppen zur Einheit aufgerufen
Von Karin Leukefeld *
Der Feind lauert, um unsere Erfolge niederzumachen«, analysierte der
irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki vor wenigen Tagen die
zunehmende Gewalt im Zweistromland. Al-Maliki sprach vor
Armeeangehörigen, nachdem schwere Anschläge den Ort Khaznah östlich von
Mossul erschüttert hatten. Mindestens 30 Häuser wurden dabei zerstört,
Dutzende Menschen getötet, Hunderte zum Teil schwer verletzt. Seit Mitte
Juli explodieren fast täglich neue Bomben im Irak und töten einfache
Leute wie Tagelöhner, Jugendliche in Cafés oder Gläubige nahe einer
Moschee. Die Explosionen in den ersten zehn Augusttagen forderten allein
157 Menschenleben und Hunderte Verletzte.
Nuri Al-Maliki läßt sich nicht beeindrucken. Vermutlich würden die
Anschläge noch zunehmen, warnte er am Wochenende und kündigte
»Entscheidungsschlachten« an. Im Vorfeld der Parlamentswahlen im Januar
2010 wollten die Angreifer die »Errungenschaften der Regierung, die
nationale Einheit und politische Stabilität« zerstören - von der
anhaltenden US-Besatzung kein Wort. Religiöser Haß solle geschürt und
die Sicherheitsmaßnahmen der Regierung unterlaufen werden. Urheber der
Anschläge seien »sunnitische Aufständische«, meint der
Ministerpräsident, was General Abdulkerim Khalaf, Sprecher des
Innenministeriums, später präzisierte: »Diese Angriffe tragen ganz klar
die Fingerabdrücke von Al-Qaida.« Sie seien gut koordiniert gewesen, der
Sprengstoff sei »high-tech« und stamme aus dem Ausland. »Daher glauben
wir, daß ausländische Mächte involviert sind«, schlußfolgerte der
General. Fragt sich nur, welche »ausländische Macht«, die
Aufklärungsrate ist gering. Selten werden die Anschlagsorte abgesperrt
und fachmännisch untersucht, meist wimmelt es nach einem Massaker in den
Trümmern von Menschen, die versuchen zu helfen oder im allgemeinen Chaos
Wertvolles zu ergattern.
Korrupte Ministerien
Verteidigungs- und Innenministerium in Bagdad gelten als die
korruptesten Einrichtungen im ganzen Land, wie das staatliche Komitee
gegen Korruption bestätigt. »Korruption ist für uns eine größere Gefahr
als die Aufständischen«, meint die Abgeordnete Alia Nusaif Jasim, die
Mitglied in dem Komitee ist. 80 Prozent der Beamten in den Ministerien
gelten als bestechlich. Millionen US-Dollar seien für Ausbildung und
Ausrüstung der Sicherheitskräfte bestimmt gewesen, doch das Geld sei nie
in den Staatskassen angekommen. Hinzu kommt, daß Innen- und
Verteidigungsministerium oft gegeneinander agieren, da sie zwar beide
der Regierung unterstehen, jedoch von konkurrierenden schiitischen
Parteien kontrolliert werden. Im Innenministerium hat der Hohe
Islamische Rat im Irak (SCII) das Sagen, der von Abdulaziz Al-Hakim und
seinen Söhnen geleitet wird. Der Al-Hakim-Clan und seine politische
Gefolgschaft gelten bei den Irakern als so enge Verbündete des Iran, daß
man sie oft als »Iraner« bezeichnet. Das Verteidigungsministerium
hingegen untersteht der Dawa-Partei von Nuri Al-Maliki, der eher einen
pragmatischen nationalen Kurs im Irak einschlagen will, gleichwohl von
US-Militär und -Administration an der Leine geführt wird.
Die der früheren Baath Partei nahestehenden irakischen
Widerstandsgruppen, die als »Aufständische« bezeichnet werden, wurden
derweil Anfang August von Izzat Al-Douri, Vizepräsident unter Saddam
Hussein, zur Einheit aufgerufen. Al-Douri kündigte auf einer ihm
zugeordneten Audiobotschaft auch die Bildung eines »nationalen,
politischen Führungsrates« an. Die Authentizität der Botschaft, die über
verschiedene Webseiten verbreitet wurde, ist unklar. Al-Douri gilt seit
der Hinrichtung von Saddam Hussein Anfang 2007 als neuer Führer der im
Irak von den Besatzern verbotenen Baath-Partei. Die Audiobotschaft
forderte den irakischen Widerstand auf, sich politisch einzumischen. Die
USA müßten den Irak entschädigen und alle Gefangenen freilassen, so die
Forderung.
Streitpunkt Kirkuk
Als entscheidend für die Zukunft des Landes bezeichnete kürzlich der
Oberkommandierende der US-Streitkräfte im Irak, General Ray Odierno, den
Konflikt zwischen Kurden und der Zentralregierung, in dem es um die
erdölreiche Stadt Kirkuk geht. Der Konflikt reicht zurück in die Zeit
nach dem Ersten Weltkrieg und hat seine Wurzeln in einem Teilungsstreit
nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches. Die Regionalregierung in Erbil
beansprucht Kirkuk als »historisch kurdische Stadt« und will ihre
Kontrolle auf sie und angrenzende Gebiete ausdehnen, womit Bagdad nicht
einverstanden ist. Die Anschläge der letzten Tage in den Grenzgebieten
zur kurdischen Autonomieregion richten sich vor allem gegen religiöse
und ethnische Minderheiten. Es gehe dabei nicht um »religiösen Haß«,
heißt es in einer Stellungnahme der britischen Organisation für die
Rechte von Minderheiten MRG. »Es geht um die Kontrolle über umstrittenes
Gebiet im Nordirak, und die die dort lebenden Minderheiten sollen
vertrieben werden.« Augenzeugen berichteten u.a. dem in Beirut
ansässigen Institut für Studien der Arabischen Einheit, daß kurdische
Peschmerga in der Vergangenheit Angehörigen von Minderheiten Schutz
angeboten hatten, sofern sie sich für einen Anschluß an die kurdischen
Gebiete aussprechen.
Im Regionalparlament von Mossul beschuldigten sich am Wochenende
arabische und kurdische Abgeordnete gegenseitig, für die jüngsten
Anschläge verantwortlich zu sein. Um die ethnischen und religiösen
Mehrheitsverhältnisse in den von den Kurden beanspruchten Gebieten zu
klären, war für Oktober 2009 im ganzen Irak eine Volkszählung
vorgesehen. Die letzte fand 1997 ohne die kurdischen Provinzen statt.
Nun wurde das Unternehmen kurzfristig abgesagt aus Sorge, daß die
Spannungen in Kirkuk und Mossul weiter angefacht werden könnten.
* Aus: junge Welt, 18. August 2009
Aussagen erpresst
Kampagne gegen Hinrichtung von Frauen im Irak
Von Karin Leukefeld **
Trotz internationaler Aufrufe, die Todesstrafe abzuschaffen, werden im
US-besetzten Irak weiter Menschen hingerichtet. Jedes Todesurteil muß
vom irakischen Präsidenten und einem ihm zugeordneten Rat unterzeichnet
werden. Zwar weigert sich der amtierende Staatschef Dschalal Talabani,
ein selbsterklärter Gegner der Todesstrafe, die Unterschrift zu leisten.
Er läßt die Todesurteile jedoch von einem seiner zwei Stellvertreter
bewilligen. Nach Informationen von Amnesty International wurden allein
im März 2009 im Präsidentenpalast 128 Todesurteile abgezeichnet, zwölf
Personen wurden am 3. Mai hingerichtet, drei Frauen starben vermutlich
im Juni.
Der UN-Kommissar für Menschenrechte sowie der UN-Vertreter im Irak
(UNAMI) haben mehrfach die irakische Rechtsprechung gerügt. Sie
entspräche nicht den internationalen Standards und böte keine
»ausreichende Garantie für faire Verfahren« gemäß der »Internationalen
Konvention über die zivilen und politischen Rechte«, heißt es in einer
gemeinsamen Stellungnahme. Aussagen seien häufig unter Druck oder Folter
erpreßt, den Angeklagten werde das Recht auf Aussageverweigerung nicht
gewährt.
Amnesty International, das Brussels Tribunal und das »Internationale
Netzwerk gegen die Besatzung« warnen aktuell vor der drohenden
Hinrichtung von neun Frauen, deren Todesurteile kürzlich bestätigt
wurden. Zwei der Frauen sollten bereits 2007 hingerichtet werden, was
seinerzeit durch eine internationale Kampagne verhindert werden konnte.
Die Frauen hatten den Angaben zufolge keine Anwälte, sie waren in Haft
gefoltert, sexuell belästigt und vergewaltigt worden. Alle hatten die
gegen sie erhobenen Vorwürfe bestritten. Samar Saad etwa wurde
beschuldigt, Angehörige getötet zu haben. Doch vor Gericht sagte sie
damals aus, sie sei mit Elektroschocks zu dem »Geständnis« gezwungen
worden. Dennoch soll sie nun mit acht weiteren Frauen hingerichtet werden.
Die »Frauensolidarität für einen unabhängigen und geeinigten Irak« weist
in einer Stellungnahme darauf hin, daß die Todesstrafe für Frauen im
Irak seit 1960 verboten war. Nach der US-Invasion 2003 seien Frauen
besonders Opfer willkürlicher Gewalt geworden, sie seien zur Flucht
gezwungen worden, hätten Arbeit und Heimat verloren. Hunderttausende
müßten als Witwen ihre Familien ernähren und erhielten kaum
Unterstützung, kritisiert die Organisation. Die drohenden Hinrichtungen
würden den Frauen ihre Menschlichkeit absprechen, als Mütter, Ehefrauen,
als Töchter und Schwestern. »Irakische Frauen verdienen Hilfe und
Unterstützung, keinen legalen Tod.« Die unakzeptable Lage für Frauen und
der mangelnde Spielraum ihres Ministeriums waren im Februar 2009 der
Grund für den Rücktritt der früheren Frauenministerin Nawal Al-Sammaraie.
** Aus: junge Welt, 18. August 2009
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