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"Islamische Konferenz muß beteiligt sein"

Gemeinsame Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Westasien könnte zur Befriedung im Irak beitragen. Ein Gespräch mit Johan Galtung



Sie haben am Freitag, eine Woche vor Beginn der »Sicherheitskonferenz« in München, über gewaltfreie Konfliktlösungen referiert. Glauben Sie, daß die Teilnehmer dieser hochrangig besetzten NATO-Tagung an nichtmilitärischen Lösungen interessiert sind?

Eines ist klar: Wenn man über einen großen Militärapparat verfügt, dann möchte man ihn auch gerne zum Einsatz bringen. Wer einen Hammer als einziges Werkzeug hat, für den sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus. Das ist das größte Problem – ansonsten bin ich davon überzeugt, daß es hervorragende gewaltfreie Lösungen gibt.

Zum Beispiel?

Ich habe Erfahrung mit Mediation und vermittelte zum Beispiel zwischen Ecuador und Peru. 1995 hatte es drei kriegerische Auseinandersetzungen wegen eines Territoriums in den Anden gegeben. Das Problem war die Frage der Grenzziehung. Mein Vorschlag war, keine Grenze zu ziehen, sondern eine binationale Zone mit einem Naturpark einzurichten. Tausende Menschen waren zu diesem Zeitpunkt bereits getötet worden –und der Friedensplan hatte Erfolg. Viel mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Innerhalb von drei Jahren wurde die binationale Zone eingerichtet und der Streit beigelegt. Das Schlüsselwort heißt Kreativität – und die fehlt allgemein auf der Regierungsebene.

Die USA und ihre Verbündeten haben den Irak zum »Failing State« gemacht – ein praktisch unregierbares »schwarzes Loch« voll Gewalt und Chaos. Wie würde Ihr Konzept für dieses Land aussehen?

Da bin ich mir nur über die ungefähre Richtung im klaren – etwas zwischen Staatenbund und Bundesstaat. Die Kurden brauchen eine weitgehende Autonomie, mit offenen Grenzen zur Türkei, zu Syrien und dem Iran, wo die anderen Kurden leben. So könnte möglicherweise eine kurdische Gemeinschaft entstehen, ohne Grenzen zu bewegen. Für die arabischen Schiiten im Süden des Irak tut man dann genau dasselbe: Man öffnet die Grenze zum Iran, wo die arabische Schia ebenfalls stark vertreten ist. Diese Grenze dauerhaft dichtzumachen, ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit. In der Mitte haben wir die Sunniten, die derzeit die absoluten Verlierer sind. Die anderen beiden Gruppen sind von ihnen so schlecht behandelt worden, daß es ihnen gegenüber kaum noch Barmherzigkeit gibt. Aus diesen Gründen muß dort für Sicherheit gesorgt werden. Aber wohlgemerkt in Zusammenarbeit zwischen dem UN-Sicherheitsrat –wo es nur christliche Mächte gibt –und China sowie der Organisation der Islamischen Konferenz (OIK).

Wie dürfen wir uns die ersten Schritte dahin vorstellen?

Die ersten Schritte wären genau die, die es auch in Europa gegeben hat. Hier wurde 1973 eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit ins Leben gerufen, die später zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zur OSZE, wurde. Das war ein Erfolg. Genau dasselbe sollte es dort geben: eine Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Westasien. Das könnte mit Hilfe der UNO verwirklicht werden. Die USA würden selbstverständlich teilnehmen, aber nicht den Ton angeben. Das sollten die Staaten tun, die es betrifft. Das wäre der erste Schritt.

Wie stehen Sie zur Forderung nach einem sofortigen Abzug aller NATO-Truppen aus dem Irak?

Danke für das Stichwort: Das ist nämlich das Problem der Friedensbewegung, die nur »nein, nein, nein« und »alle Truppen raus« sagt. Das ist aber keine Politik. Ich wäre für eine Friedenstruppe, die der UN-Sicherheitsrat in Zusammenarbeit mit der Organisation der Islamischen Konferenz zusammenstellt. Wenn christliche Staaten dominieren, hat das in der islamischen Welt keine moralische Legitimität.

Interview: Claudia Wangerin

* Johan Galtung aus Norwegen ist Friedensforscher, Politologe und Träger des Alternativen Nobelpreises. Auf der Friedenskonferenz, die am 2. Februar im Rahmen der Proteste gegen die "Sicherheitskonferenz" in München begonnen hat, stellte er sein neues Buch "Konflikte und Konfliktlösungen" (Kai Homilius Verlag) vor, friedenskonferenz.info

Aus: junge Welt, 3. Februar 2007



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