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Gewinner und Verlierer

Joseph Stiglitz errechnete die wahren Kosten des Krieges

Von Dago Langhans *

Was würden Sie mit drei Billionen US-Dollar machen? Dies fragen die Macher der alternativen Web-Site 3trillion.org in einem munter produzierten Video und fordern zu einem fantasievollen Ideenwettbewerb auf. In dem von ihnen kreierten virtuellen Kaufhaus beteiligen sich mittlerweile Tausende an einem gigantischen Einkaufsbummel. Ausgangspunkt dieses Politvergnügens ist der Bestseller der beiden US-Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz und Linda Bilmes: »Die wahren Kosten des Krieges«. Ihre Bilanz ist erschreckend. Sie summiert die direkten und indirekten Kosten der Kriege in Afghanistan und Irak auf schwindelerregende drei Milliarden US-Dollar.

Bereits im Januar 2006 prognostizierten Bilmes und Stiglitz anhand einer ersten Entschlüsselung des verwirrenden Zahlendschungels diverser Datenquellen des US-Rechnungshofes, des Pentagons, des wissenschaftlichen Dienstes und der Haushaltsprüfer des US-Kongresses bis zum Jahr 2017 eine Gesamtsumme der finanziellen Belastungen von annähernd zwei Billionen US-Dollar. Oberbefehlshaber Bush reagierte auf diese ersten Schätzwerte auf typische Art: »Wir ziehen nicht auf der Grundlage von Kalkulationen einiger Pfennigfuchser, Buchhalter oder Ökonomen in den Krieg.« Kombiniert mit dem Vorwurf von neokonservativer Seite, die zwei Wissenschaftler würden schlichtweg die positiven Aspekte des Krieges unterschlagen, stachelte diese Argumentation den arithmetischen Ehrgeiz beider erst richtig an. Sowohl der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz als auch die Wirtschaftssoziologin Linda Bilmes sind durchaus mit praktischer Wirtschaftspolitik vertraut, denn beide haben unter der Clinton-Regierung als Wirtschaftsberater gearbeitet.

Die Autoren widerlegen Rumsfeld, der 2003 die Kriegskosten auf 50 bis 60 Milliarden Dollar veranschlagte, auch Andrew Natsios, den Leiter des US-Entwicklungshilfebehörde USAID, der im gleichen Jahr im US-Fernsehen von einer Gesamtsumme der Wiederaufbaukosten im Irak von gerade mal 1,7 Milliarden Dollar fabulierte. Zu den festen Kosten für Materialabnutzung und -Neubeschaffung, Veteranenversorgung, Versicherungsbeiträgen, langfristigen Behandlungs-, und Wiedereingliederungskosten für die ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte sowie privaten Militärdienstleister addieren sie die »weichen Kosten« wie Schuldendienst, die Auswirkungen der immensen Ölpreissteigerung und die kaum zu berechnenden sozialen und ökonomischen Auswirkungen durch den Ausfall von mehreren Hunderttausenden Erwerbstätigen, die durch Kriegsdienst wie auch anschließende physische und psychische Folgeschäden vom US-Wirtschaftsleben abgekoppelt sind.

Die Botschaft von Bilmes und Stiglitz ist so neu nicht. Der US-Ökonom Seymour Melman von der Columbia University hatte bereits mit seinen in den 70er Jahren entstandenen Standardwerken »The Permanent War Economy: American Capitalism in Decline und Pentagon Capitalism« die verheerenden wirtschaftlich-finanziellen Folgen einer aufgeblähten Rüstungswirtschaft in sogenannten Friedenszeiten kritisiert. Die aktuelle Veröffentlichung nimmt den modernen US-amerikanischen, militärisch-industriellen Komplex unter die Lupe und kommt zu der plausiblen Schlussfolgerung: »Übermäßigen Kosten für die öffentliche Hand entsprechen überzogene Gewinne für die privaten militärischen Dienstleister, die (zusammen mit den Ölkonzernen) die einzigen echten Gewinner in diesem Krieg sind. Der Kurs der Halliburton-Aktie ist gestiegen -- seit Kriegsbeginn um 229 Prozent. Diese Kurssteigerung übertrifft die anderer Rüstungsfirmen wie General Dynamics (134 Prozent), Raytheon (117), Lockheed Martin (105), Northrop Grumman (78).

Welche Argumente zur Unterstützung des Krieges auch immer ins Feld geführt werden, eine günstige »Tankstelle Irak« ist nicht in Sicht. Bilmes und Stiglitz sind sich der Extraprofite der Ölmonopole durchaus bewusst, und berechnen die notwendigen Importkosten in die USA aufgrund des Preisanstiegs auf derzeit 25 jährlich fällige Milliarden US-Dollar. Langfristig bis 2017 hochgerechnet immerhin 1,7 Billionen US-Dollar. Dagegen erscheint der von Bush in der aktuellen Finanz- und Immobilienkrise der USA aufgelegte »Belebungsplan« von 125 Milliarden US-Dollar tatsächlich wie ein Witz, insbesondere, weil er in weiteren Steuererleichterungen für die »Besserverdienenden« besteht.

Die am Ende des Buches von den Ökonomen vorgeschlagenen Alternativen sind leider eher schwach. Nach Meinung der Autoren würden allgemeine Steuererhöhungen helfen, das verheerende Haushaltsdefizit und die Auslandsverschuldung zu bremsen. Nach ihrer Lesart hätte diese Art von »Kriegssteuer« zudem die US-amerikanische Bevölkerung schon längst dermaßen gegen den Krieg aufgebracht, dass die Herrschenden zurückrudern müssten.

Joseph Stiglitz/Linda Bilmes: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts. Pantheon, 2008. 304 S., geb., 16,95 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2008

Hier geht es zu einer weiteren Rezension des Stiglitz-Buches und zu Textauszügen: 3000000000000 Dollar


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