Irak versinkt in anonymer Gewalt
US-Militär sieht die Hauptkonfliktlinie im Territorialstreit zwischen Arabern und Kurden
Von Karin Leukefeld *
Bei einem Selbstmordanschlag im Norden Iraks sind am Donnerstag (13. Aug.) mindestens 21 Menschen
getötet worden. Nach offiziellen Angaben hatten sich sich am Nachmittag zwei Attentäter in einem
Café in Kalaa in der Provinz Mossul in die Luft gesprengt.
»Weit verbreitete Gewalt und mangelnder Respekt vor menschlichem Leben« bestimmt weiterhin
den Alltag in Irak, heißt es in einem Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK)
zum 60. Jahrestag der Genfer Konventionen. »Explosionen und willkürliche Angriffe fordern Monat
für Monat Hunderte Menschenleben und Tausende Verletzte.« Besonders betroffen seien Bagdad
und die nördlichen Provinzen von Diyala und Ninive, so das IKRK. »Viele Iraker haben Todesangst,
wenn sie ihre Wohnungen verlassen, jeder kann jederzeit ,zur falschen Zeit am falschen Ort' sein«,
meinte Juan-Pedro Schaerer von der IKRK-Vertretung in Bagdad. Dieser Zustand dürfe nicht als
»normal oder unvermeidlich akzeptiert« werden.
Als sollten die Worte des IKRK-Vertreters unterstrichen werden, wurde nur wenige Stunden nach der
Erklärung ein Café in Sindschar im Nordwesten Iraks durch eine massive Explosion völlig zerstört.
Mindestens 21 vorwiegend junge Leute wurden getötet. Das bei jungen Leuten sehr beliebte Ayoub
Café liegt in der Nähe einer Quelle in grüner, parkähnlicher Umgebung und war zum Zeitpunkt des
Anschlags gut besucht. In Sindschar leben vor allem Yeziden, eine religiöse Minderheit die
vorwiegend in den Grenzgebieten zu Iran, Syrien und der Türkei lebt. Vor fast genau zwei Jahren
waren bei der Explosion von vier großen Bomben, die in Lastwagen versteckt waren, in Sindschar
fast 500 Menschen getötet worden, die meisten waren Yeziden.
Allein in der vergangenen Woche starben in Irak bei Anschlägen mehr als 120 Menschen. Während
die Angriffe sich in Bagdad meist gegen Schiiten richten und in den westlichen Provinzen
(Falludscha) gegen Sunniten, die mit den US-Amerikanern kooperieren, sind in Nordirak meist
religiöse und ethnische Minderheiten das Ziel der Angriffe.
Die britische Organisation für die Rechte von Minderheiten (MRG) listet u. a. Yeziden, Christen,
Assyrer und Turkmenen auf, die in der Gegend um Kirkuk und Mossul ermordet wurden. Die
Anschläge seien mehr als »religiöser Hass«, sagt MRG-Direktor Mark Lattimer. »Sie sind der
bewusste Versuch, Kontrolle über umstrittene Gebiete in Nordirak zu gewinnen, indem die dort
lebenden Minderheiten vertrieben werden.«
Die Provinzen Diyala und Ninive liegen ebenso wie die Provinz Ta'mim mit ihrer Hauptstadt Kirkuk
im Spannungsfeld der Auseinandersetzung zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der
kurdischen Autonomieregierung in Erbil. Der Konflikt ist alt und geht auf Teilungsstreitigkeiten nach
dem Ende des Osmanischen Reiches Anfang des letzten Jahrhunderts zurück.
Die Kurden beanspruchen seitdem Land und die Ölquellen von Kirkuk, um es der kurdischen Region
einzuverleiben, Bagdad hält dagegen. Nach Einschätzung des US-Militärs in Irak ist dieser Konflikt
Hauptursache für Gewalt und Instabilität in Irak.
Dass die Iraker auch anders miteinander auskommen, zeigt derweil der Wiederaufbau der Al-Askari-
Moschee in der den Schiiten heiligen Stadt Samarra, deren goldene Kuppel im Februar 2006 in die
Luft gesprengt worden war. Der Anschlag löste massive Gewalt aus, Hunderttausende flohen
innerhalb Iraks oder ins Ausland. Seit April 2008 arbeiten nun Iraker aus allen Landesteilen am
Wiederaufbau und verstehen sich gut miteinander, berichtet einer der Arbeiter beim gemeinsamen
Mittagessen dem Nachrichtensender Al Dschasira. Das ,irakische Mosaik' sei bei ihnen intakt. Am
Ende des Fastenmonats Ramadan im September, soll die Kuppel wieder mit Gold überzogen sein.
* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2009
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