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Bestellte Brandstifter

Die Kolonisierung des Iraks im Geiste der Conquista. Von Joachim Guilliard*

Nach zehnwöchiger Belagerung nahmen am 13. August 1521 die spanischen Eroberer unter Hernán Cortés Tenochtitlán ein. Der Fall der Hauptstadt bedeutete auch das Ende des Aztekenreiches. Mit der anschließenden Plünderung und Zerstörung der aztekischen Gebäude und Kulturgüter Tenochtitláns wurden auch die Spuren der bisherigen Staatlichkeit gründlich ausgelöscht.

An diese finsteren Epochen des europäischen Kolonialismus wird man beim Anblick der Bilder aus dem Irak unwillkürlich erinnert. Auch der Einnahme Bagdads nach mehr als zwölf Jahren Krieg und Belagerung des Landes folgten Plünderungen und Brandschatzungen öffentlicher und repräsentativer Gebäude der Stadt, Raub und Zerstörung unschätzbarer Kulturgüter.

Für die US-Medien mußte dies, nachdem die Bilder jubelnder Iraker ausgeblieben waren, den Volkszorn symbolisieren. Ein Unterfangen, das nicht sehr glaubwürdig gelang, da die Plünderer - tatsächlich »befreit«, nämlich von allen gesellschaftlichen Zwängen - auch vor Krankenhäusern und anderen lebenswichtigen Einrichtungen nicht haltmachten. Angeblich waren die Eroberer nicht auf Polizeiaufgaben vorbereitet gewesen. Doch wie Augenzeugen berichteten, hatten US-Einheiten die Plünderungen selbst eingeleitet, indem sie mit Panzern Türen einbrachen und Slumbewohner per Lautsprecher zur Selbstbedienung aufforderten.

Plünderungen und unkontrollierte Gewalt waren durchaus im Interesse der Invasoren. Wurden sie doch zum mächtigen Druckmittel, um die widerspenstigen Bürger der irakischen Städte zu zwingen, die Invasoren zumindest vorerst als einzige Macht zu akzeptieren, die für genügende Sicherheit und Ordnung sorgen kann, um das Leben wieder in Gang zu bringen.

Während die Plünderungen schnell zum Selbstläufer wurden, mußte man bei den Brandstiftungen in den Ministerien und den anderen staatlichen Einrichtungen nachhelfen. Wie Robert Fisk, der renommierte Reporter des britischen Independent, berichtete, waren es nicht die Plünderer, die Feuer legten. Die Brände brachen erst aus, als diese mit ihrer Beute schon längst abgezogen waren. Sie waren allem Anschein nach das Ergebnis eines systematischen Vorgehens. Fisk selbst hatte bei mehreren Gebäuden Trupps in blauweißen Bussen vorfahren sehen, die die Gebäude anschließend in Brand setzten. Die US-amerikanischen Besatzungstruppen griffen auch auf Aufforderung nicht ein. Selbst das Ministerium für Landwirtschaftliche Bewässerung unmittelbar neben dem von US-Truppen schwer bewachten Ölministerium stand in Flammen. Als Fisk am 21. April Bagdad verließ, waren nach seiner Zählung 158 Regierungsgebäude und mit ihm »die Basis einer neuen Regierung und der kulturellen Identität des Iraks« ausgebrannt.

Plünderer können ihre Beute zu Geld machen, doch wer bezahlt die Armee von Brandstiftern, fragt sich - so Fisk - auch die Bevölkerung von Bagdad: »Wer steckt hinter der Zerstörung ihres kulturellen Erbes, der Plünderung der archäologischen Schätze des Nationalmuseums, dem Niederbrennen des gesamten Ottomanischen, Königlichen und Staatsarchivs, der Koranbibliothek und der gesamten Infrastruktur einer Nation, die wir angeblich aufbauen wollen?« Würde es nur um die Ersetzung eines Regimes gehen, hätte man wohl in der Tat versucht, z.B. die für den irakischen Staat unverzichtbaren Unterlagen über das zum Teil jahrhundertealte Bewässerungssystem zu erhalten, ebenso wie die Akten im Handelsministeriums oder die im abgebrannten Bildungsministerium aufbewahrten Informationen über die Bildungssysteme. Doch die neuen Herren haben offensichtlich kein Interesse am Erhalt eines unabhängigen Staatswesens. Im Gegenteil: Der Weg zurück wurde gründlich verbaut.

Viel Staat ist beim sogenannten Wiederaufbau von US-Seite ohnehin nicht mehr vorgesehen. Der Großteil dessen, was zuvor staatlich organisiert war - von der Wasserversorgung bis zum Bildungs- und Gesundheitswesen - soll nun in die Hände von Großkonzernen gelegt werden. Genau in die Hände jener Firmen, die personell eng mit der US-Administration verbunden sind. So wird die landwirtschaftliche Bewässerung in Zukunft von der Bechtel Group »betreut« werden, die den Zuschlag für den Wiederaufbau der irakischen Infrastruktur erhielt. »Das Geschäft mit einer Laufzeit von 18 Monaten könnte am Ende Bechtel eine beherrschende Rolle auf so gut wie jedem Gebiet der irakischen Gesellschaft geben«, schrieb der britische Guardian. Mit der Umorganisation der Ölindustrie wurde bereits begonnen, berichtete kürzlich das Wall Street Journal, sie wird nun ähnlich einem US-amerikanischer Konzern organisiert, mit Philip J. Carroll, dem früheren Chef der US-Tochter des Ölgiganten Royal Dutch/Shell, an der Spitze.

Afghanische Verhältnisse

Trotz Ablehnung des Krieges begrüßten viele Iraker den Sturz Saddam Husseins. Der Hoffnung aber, daß aus den Ruinen des Landes am Ende irgendwann doch ein demokratischer Irak entstehen könnte, stehen mehr als nur die Pläne der Neokonservativen entgegen. Fraglich ist, ob es in absehbarer Zeit überhaupt wieder ein funktionierendes Staatswesen geben wird.

Noch herrscht in den Straßen Bagdads, Basras, Mosuls und der anderen irakischen Städten Chaos und Gewalt. Wie in Beirut in den 70er Jahren bewachen nun bewaffnete Stammeseinheiten oder Angehörige religiöser Gruppierungen die Zugänge zu verschiedenen Zonen der Stadtteile. Die US-Truppen zeigen wenig Neigung, sich für ein Mindestmaß an Sicherheit der Bevölkerung vor kriminellen Übergriffen zu engagieren.

Da die Besatzer wissen, daß es ihnen mit den verfügbaren Kräften kaum gelingen wird, das Land vollständig unter Kontrolle zu bringen, müssen sie sich darauf konzentrieren, einen einheitlichen Widerstand zu verhindern. Ein allgemeines Klima der Gewalt, in dem sich Auseinandersetzungen zwischen irakischen Gruppierungen immer mehr zuspitzen, kommt ihnen da sehr entgegen.

In vielen Orten haben religiöse Gruppierungen das entstandene Machtvakuum ausgefüllt. Gut informiert über die heftigen Rivalitäten vor Ort, ließ ihnen die Besatzungsmacht vorerst freie Hand. Um den maßgeblichen Einfluß konkurrieren u. a. der vom aus Iran operierende »Oberste Rat der islamischen Revolution« (SCIRI) und Daawa, die älteste bewaffnete schiitische Organisation, die seit 1958 aus dem Inneren des Landes die säkulare und antifeudale Ordnung bekämpft. Beim Konflikt vieler Gruppierungen mit dem Baath-Regime Saddam Husseins war es in der Regel um handfeste Interessen gegangen, die nun gegeneinander stehen. So ging es einem Teil um die feudalen Vorrechte, die von der Landreform beseitigt wurden, andere kämpften für einen islamischen Staat und die traditionelle Rolle der Geschlechter, d.h. gegen Errungenschaften, die viele im Irak kaum kampflos aufgeben werden.

Stabile Verhältnisse sind in absehbarer Zeit nur im Norden des Iraks zu erwarten. Voraussetzung ist hier, daß es den USA gelingt, ihre Interessen mit denen der beiden großen kurdischen Parteien auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite in Einklang zu bringen. Leidtragende dürfte die arabische und turkmenische Bevölkerung sein, die sich bereits über zahlreiche Übergriffe von Peschmergas (kurdische Kämpfer) beklagen. Dutzende turkmenische und arabische Familien seien schon aus ihren Häusern vertrieben worden, berichteten ihre Sprecher der britischen Tageszeitung Independent. Vor allem in den von den nationalistischen kurdischen Parteien KDP und PUK für sich reklamierten Städten Mosul und Kirkuk und in deren Umkreis befürchten sie Übergriffe der Peschmergas gegen die nichtkurdische Bevölkerung. Die Turkmenen behaupten z. B., sie stellten 65 Prozent der 600000 Einwohner Kirkuks, 25 Prozent wären arabischer Herkunft. Die Kurdenparteien wollen das kurdische Autonomiegebiet auf diese beiden Städte und ihren Ölreichtum ausdehnen und beharren darauf, daß sie die Mehrheit stellen. »Wir glauben, das Ziel von PUK und KDP ist, genügend Turkmenen zu vertreiben, damit sie nicht länger die Mehrheit stellen«, so ein turkmenischer Vertreter. Noch prekärer ist die Lage vieler arabischer Familien, da von kurdischer Seite schon lange der Vorwurf erhoben wird, sie wären mit dem Ziel einer »Arabisierung« der Region angesiedelt worden.

Während im Norden des Irak also Entwicklungen wie im Kosovo drohen, sich die Besatzungstruppen auf die Sicherung der Ölquellen und Transportwege konzentrieren, könnte sich der Rest des Landes bei anhaltender mangelnder Kooperationsbereitschaft seiner Bevölkerung afghanischen Verhältnissen annähern. Trotz der Verarmung durch das Embargo waren im Irak vor der Besatzungsherrschaft nie solche Bilder der Armut zu sehen gewesen, wie sie für Afrika typisch sind, stellte die Journalistin und Schriftstellerin Sabine Kebir im Freitag fest. »Gegen den Saddam-Staat ließ sich gewiß vieles vorbringen, doch hat er das Land bis zum Ausbruch des Krieges relativ kontinuierlich mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Ob eine Militäradministration das schafft, wird sich noch zeigen müssen.«

* Der Autor ist Ko-Sprecher der »Initiative gegen das Irak-Embargo Deutschland« und Mitherausgeber des Buches »Irak. Ein belagertes Land« (PapyRossa-Verlag)

Aus: junge Welt, 5. und 6. Mai 2003


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