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"Warum will die USA-Administration den Krieg führen, koste es, was es wolle?"

Prof. Dr. K. A. Habib: Offener Brief an die Friedensbewegung in Deutschland

Den folgenden "Offenen Brief" von Prof. Dr. Habib, Berlin, haben wir am 13. März 2003 per e-mail erhalten. Auch wenn wir seine Vorwürfe an die Adresse der Friedensbewegung nicht in allen Punkten teilen (ganz abgesehen davon, dass die ganze Friedensbewegung niemals gemeint sein kann), verdient der Brief schon wegen der Fülle an interessanten Informationen und Einschätzungen der irakischen Repressionspolitik dokumentiert zu werden.
Im Anschluss daran dokumentieren wir einen Text von Joachim Guilliard, auf den im Brief von Habib kritisch eingegangen wurde.



"... zwischen dem Frieden, der Demokratie und den Menschenrechten (besteht) eine enge und unlösbare Verbindung".

"... wenn man gegen den Krieg in einem Land protestiert, in dem eine Diktatur herrscht, muss man das despotische Regime verurteilen und solidarisch zu den Menschen in diesem Land stehen, die für ihre Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen".


Sehr geehrte Damen und Herren,

vorerst möchte ich mich persönlich und im Namen vieler IrakerInnen bei Ihnen für Ihr hervorragendes Arrangement und Ihren Kampf gegen einen eventuellen präventiven Krieg der USA und Englands gegen den Irak herzlich bedanken. Die Demonstrationen vor und nach dem 14.02.2003 in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt waren bzw. sind ein wichtiges Zeichen der Ablehnung des Krieges als Mittel zur Lösung von Problemen und Konflikten.

In letzter Zeit habe ich mich an vielen Veranstaltungen und Demonstrationen in Deutschland beteiligt, in denen ich meine Meinung zur Frage des Friedens, des Krieges, aber auch zur Frage der Diktatur, der Demokratie und Menschenrechte im Irak zum Ausdruck gebracht habe.

Ich habe viele Diskussionen mit führenden Persönlichkeiten der Friedensbewegung in Kassel, Berlin, Köln, Mannheim, Stuttgart und Dresden geführt. Viele Mitstreiter der Friedensbewegung geben mir und anderen Irakern Recht, dass zwischen dem Frieden, der Demokratie und den Menschenrechten eine enge und unlösbare Verbindung besteht. D.h., wenn man gegen den Krieg in einem Land protestiert, in dem eine Diktatur herrscht, muss man das despotische Regime verurteilen und solidarisch zu den Menschen in diesem Land stehen, die für ihre Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Jedoch bemerkte ich, besonders während der Demonstrationen, dass ein großer Teil der Friedenskämpfer sowie viele linksgerichtete Kräfte nur für den Frieden aufrufen und jegliches Transparent, mit der Verurteilung des despotischen Regimes im Irak, ablehnen. Sie verlieren nicht einmal ein Wort über den Despoten Saddam Hussain, der für mehr als zwei Millionen Menschen, die in den letzten 20 Jahren getötet wurden, und für über die 3,5 Millionen Menschen, die aus dem Irak vertrieben wurden, verantwortlich ist . Manche betrachten sogar das Regime im Irak als ein antiimperialistisches Regime und vergessen dabei seine geführten Kriege und die Vernichtung Hunderttausender Mitglieder und Sympathisanten der oppositionellen Kräfte, sowohl Araber, als auch Kurden, unter denen Kurdi-Faili, Assyrer, Kaldärer und Turkmenen waren. Außerdem vergessen sie, dass das Regime auch daran schuld ist, dass die amerikanischen und englischen Truppen das Golfgebiet besetzt und unter ihre Kontrolle genommen haben. Deswegen wende ich mich mit diesem offenen Brief an alle friedliebenden Menschen in Deutschland, um meine Meinung, die auch von vielen IrakerInnen geteilt wird, über zwei Fragen zur Diskussion zu stellen.

I.

Kurz nach dem schrecklichen Verbrechen vom 11. September 2001 beschloss die Bush-Administration, einen Krieg gegen den Irak zu führen. Seitdem laufen die Vorbereitungen und die Mobilisierung der Streitkräfte in den USA und in England auf Hochtouren. Dieser Krieg ist ein Bestandteil der neuen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Strategie der USA im 21. Jahrhundert. Es scheint mir bis heute noch, dass die US-Administration und ihre Verbündeten nur das eine wollen, nämlich den Krieg. Warum will die USA-Administration den Krieg führen, koste es, was es wolle?

Nach meiner Analyse und Betrachtung wollen die USA folgende Ziele erreichen:
  1. Sie versuchen Embargos und Kriege als Mittel für ihre Bestrebungen nach Hegemonie in ihrer Weltpolitik und Neuordnung der Welt einzusetzen. Die USA bezwecken die Stilisierung dieses Krieges als einen Präzedenzfall für das Vorgehen gegen weitere Länder, begründet z.B. mit der sogenannten "Achse des Bösen".
  2. Ihre neue veränderte Strategie heißt: die Durchführung eines präventiven Krieges. Sie wollen ihren Alleingang in der Weltpolitik, und dabei soll die Rolle der UNO und des Sicherheitsrates ausgeschaltet bzw. eingeschränkt werden.
  3. Das ganze Golf- und Nahostgebiet beherrschen und ihre Politik diktieren.
  4. Die Besetzung des Irak wird jahrelang andauern, weil sich der Irak in einer wichtigen geo-strategischen Lage im Nahen Osten befindet. Der Irak eignet sich politisch und militärisch und mit dem laizistischen und offenen Charakter der Bevölkerung. besser für die Nahost-Strategie der USA als der Gottesstaat Saudi-Arabien.
  5. Die völlige Kontrolle über das Erdöl, Förderung, Verteilung und Preise, haben sowie die OPEC ausschalten bzw. liquidieren.
  6. Die Monopolisierung des Waffenexports und Ausschaltung aller anderen Konkurrenten im Nahen Osten erreichen.
  7. Der Krieg bietet eine gute Gelegenheit, die neuesten und modernsten USA-Waffen zu testen.
  8. Seit geraumer Zeit überlegen die Erdöl-Monopol-Gesellschaften und die amerikanische Regierung, wie sie sich von dem Erdöl Saudi-Arabiens unabhängig machen können, aber auf keinen Fall darauf verzichten müssen. Saudi-Arabien ist im Besitz von über 21 % der gesamten Erdölvorräte der Welt. Dabei sollte das Erdöl im Irak eine wichtige Rolle spielen. Wie bekannt ist, besitzt Irak 11% der gesamten Erdölvorräte der Welt. Hinzu kommt, dass die Medien in den USA berichten, dass Saudi-Arabien die islamischen Terroristen finanziell in der ganzen Welt unterstützt. Seit den 80er Jahren wurden, in Zusammenarbeit mit den USA und Pakistan, die Terroristen vielseitig unterstützt.
Millionen von Menschen sind gegen einen Krieg im Irak, weil sie genau wissen, dass ein Krieg kein Problem löst, eher kompliziert und neue schafft. Der Krieg darf grundsätzlich kein Mittel zur Lösung politischer, wirtschaftlicher und ethnischer sowie religiöser Probleme sein. Außerdem ist der Sturz des irakischen Regimes einzig und allein die Aufgabe des irakischen Volkes und seiner oppositionellen Kräfte.
  1. Ein Krieg würde eine gewaltige Zerstörung der irakischen Wirtschaft, der Industrie und der gesamten Infrastruktur mit sich bringen. Noch katastrophaler würden die Folgen für die Bevölkerung ausfallen. Einige Beispiele dafür sind die Bombardierung von Hiroshima, Nagasaki, Dresden, Vietnam, Irak während des zweiten Golfkrieges sowie Jugoslawien und Afghanistan.
  2. Der Krieg gefährdet die Errungenschaften des kurdischen Volkes im irakischen Kurdistan, was einen Rückfall auf das Niveau der Verhältnisse der Kurden in der Türkei und im Iran bedeuten kann.
  3. Die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von chemischen und biologischen Waffen, seitens des irakischen Regimes gegen das eigene Volk, lässt sich bei einer Konfliktsituation genauso wenig ausschließen, wie die Verwendung geächteter Waffen seitens der USA.
  4. Der Krieg würde den gemeisamen internationalen Kampf gegen den Fundamentalismus und Terrorismus nicht schwächen, sondern schüren und ausweiten. Man muss jedoch betonen, dass der Krieg selbst der schlimmste Terrorakt gegen die Bevölkerung ist.
  5. Der Krieg kann auch eine Voraussetzung für einen türkischen Militäreinmarsch im Nordirak schaffen, um ihre alte Expansionspolitik zu verwirklichen. Dies bedeutet, neue Probleme für das irakische Volk, aber auch für das kurdische Volk im Irak.
  6. Außerdem kann ein solcher Krieg einen Nährboden und eine neue Quelle für Fundamentalisten und Terroristen schaffen.
Ich stehe an der Seite der irakischen Kinder, Frauen und Männer sowie Millionen Menschen unserer Welt, die für folgende Ziele kämpfen:
  1. Die UNO-Inspektoren sollen mehr und genügend Zeit erhalten, die Suche nach den Massenvernichtungswaffen fortzusetzen.
  2. Ein Alleingang der USA bei der Lösung dieser Frage muss vermieden werden. Nur der Weltsicherheitsrat der UNO kann und muss das Problem friedlich lösen durch,
    • die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen,
    • die Aufhebung des Embargos,
    • und die Herstellung der Demokratie und Menschenrechte.
  3. Die Umsetzung der UNO-Resolution Nr.688 von 1991, bezüglich der Einstellung des Terrors und der Wahrung der Menschenrechte im Irak, zu fordern.
  4. Die irakischen Antikriegs-Oppositionellen in ihrem gerechten Kampf für einen föderativen, demokratischen Irak, auf der Basis der Prinzipien einer modernen, zivilen und demokratischen Gesellschaft, umfassend zu unterstützen.
  5. Eine internationale Konferenz über den Irak, unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und mit Teilnahme der irakischen demokratischen Opposition, einzuberufen, um das despotische Regime friedlich zu entmachten, wahrhafte demokratische Verhältnisse zu schaffen und somit die Gefahren des Krieges und des Bürgerkrieges abzuwenden.
II. Millionen IrakerInnen erwarten von der Friedensbewegung ihre Solidarität im Kampf gegen das despotische Regime im Irak.

Wie Ihnen bekannt ist, gelang es der Arabischen-Sozialistischen- Baathpartei im Jahre 1968, zum zweiten Mal die Macht zu übernehmen, die sie bis zum heutigen Tag noch ausübt. In der Zeit von 1968 bis 1990 führte das Regime eine zwiespältige Politik durch. Einerseits ist es despotisch und grausam in seiner menschenverachtenden Innenpolitik, andererseits öffnete sich das Regime in seiner wirtschaftlichen Außenpolitik nach Osten wie auch nach Westen. Dabei bezweckte das Regime dreierlei:
  1. Durch seine terroristische Politik versuchte das Regime im Inland, die oppositionellen Parteien und andersdenkenden Menschen von der politischen Bühne des Landes auszuschalten.
  2. Seine im Inland geführte despotische und grausame Politik zu verschleiern und sich das Schweigen des Ostens und Westens zu erkaufen.
  3. Die Schaffung eines Waffenarsenals.
Das heutige Regime in Bagdad ist ein menschenverachtendes Regime, es ist mit dem Blut von Millionen von Menschen behaftet. Man kann uneingeschränkt sagen, dass alle grundlegenden Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten sind, im Irak negiert werden, sowohl die politischen als auch die bürgerlichen Rechte. Das irakische Volk ist nicht nur seiner grundlegenden Freiheiten beraubt, sondern auch seiner Rechte auf Leben, Freiheit, Würde und Sicherheit. Der Mensch ist in jedem Moment seines Lebens den Henkern des Regimes ausgeliefert. Durch seine terroristische Innenpolitik, kamen in der Zeit von 1972-1990 mehr als 200000 Menschen in die Gefängnisse. Es waren Mitglieder und Sympathisanten der kommunistischen, demokratischen, patriotischen, nationalistischen und religiösen Parteien sowie Angehörige von Minderheiten. Viele von ihnen wurden getötet. Gleichzeitig hatte es eine Aktion gegen vornehmlich schiitische Araber in Mittel- und Südirak sowie gegen die Faili-Kurden gegeben. Dadurch wurden über 500.000 Menschen nach dem Iran deportiert.

Im Jahre 1975 hat das Regime einen Vertrag mit dem Schah in Iran, mit Unterstützung der USA, abgeschlossen. Als Gegenleistung hat die irakische Seite Zugeständnisse im Grenzstreit, im Süden Iraks, gemacht. Die iranische Seite hat daraufhin ihre Unterstützung der Kurden im Norden des Landes eingestellt. Dadurch konnte die bewaffnete kurdische Befreiungsbewegung zerschlagen werden. Zehntausende Kurden (Männer, Frauen und Kinder) flohen nach dem Iran. Die zurückgebliebenen Kurden mussten sich ergeben und ihre Waffen an die irakische Regierung abliefern. Viele von ihnen landeten im Kerker oder wurden getötet.

Im Jahre 1988 führte das Regime 8 Monate lang Militäroperationen gegen das kurdische Volk und nationale Minderheiten im irakischen Kurdistan durch. Hier wurden auch chemische Waffen eingesetzt. Dabei fanden 5.000 Menschen den Tod und viele wurden verletzt. Während dieser Operationen wurden außerdem über 182.000 Menschen verschleppt. Bis jetzt sind einige Massengräber an verschiedenen Stellen im irakischen Kurdistan gefunden worden. Weiterhin wurden 8.000 Menschen von dem Barasani-Stamm verschleppt und getötet. Außerdem wurden 4.250 Dörfer in Kurdistan zerstört und dem Boden gleich gemacht.

Es kommt noch dazu, dass die Wirtschaftspolitik der Machtelite in keiner Weise rational und gerecht handelt. Ihre Politik ist auf die Produktion und den Import von traditionellen Waffen ausgerichtet, anstatt Nahrungsmittel und Medikamente für das Volk einzuführen.

Die Regierung verkauft über den Schwarzmarkt große Mengen an Erdöl, und der erzielte Gewinn wird für die Rüstung, den Aufbau neuer Paläste und Moscheen sowie für die Elite und Sicherheitsapparate ausgegeben. Aufgrund dieser Politik und des Embargos befinden sich zur Zeit im Irak ca. 70% der gesamten arbeitsfähigen Kräfte in der Arbeitslosigkeit. Die Gehälter und Einkommen vieler Familien sind so niedrig, dass der Verdienst nur für einen Zeitraum von 10-15 Tagen ausreicht. Manche Familien sind sogar gezwungen, ihre Kinder auf die Strasse zu schicken, um etwas Geld zu verdienen. Für die Schule haben diese Kinder kaum noch Zeit.

Viele Familien verkaufen über illegale Wege ihre Organe an die Krankenhäuser, damit sie von dem Geld Medikamente und Nahrungsmittel kaufen können. Mehrere Familien haben sogar ihre Kinder verkauft, um einmal etwas Geld zum Leben zu bekommen, und zum anderen, damit die Kinder vielleicht eine bessere Chance zum Leben erhalten.

Die Menschenrechte werden auch durch das Beharren der USA auf Fortführung des Embargos grob und ständig verletzt. Wenn man die Berichte der UNO verfolgt, wird man erkennen, dass über 600.000 Kinder im Irak nur an den Folgen des Embargos seit 1991 bis heute gestorben sind. Viele alte bzw. kranke Frauen und Männer sind wegen Mangel an Nahungsmitteln, Medikamenten, medizinischen Geräten und gesundheitlicher Fürsorge gestorben. Außerdem gibt es heute ca. eine Million Kinder und viele kranke und alte Menschen, die als Todeskandidaten betrachtet werden. Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright sagte, wenn jeden Monat 5.000 Kinder nur wegen des Embargos im Irak sterben, ist das ein erträglicher Preis, um das Embargo weiterzuführen.

Das Programm "Erdöl für Nahrungsmittel" sorgt nur für das Notwendigste der Menschen und auch nur für eine begrenzte Zeit von 15 Tage im Monat. Für die restlichen Tage eines Monats muss jeder selbst die Waren auf dem Markt und nur zu hohen Preisen kaufen. Kurz gesagt, die Lage der Menschen im Irak ist unerträglich und verschlechtert sich dramatisch.

Im Jahre 1979 übernahm Saddam Hussain die Alleinherrschaft im Lande. Gleich zu Beginn richtete er ein blutiges Massaker an vielen seiner Parteigenossen und Mitglieder der Führung an, aber auch an Kommunisten und Islamisten. Im Jahre 1980 entfachte Saddam Hussain einen Krieg gegen das neue Mullah-Regime in Iran. Das Regime erhielt in diesem 8-jährigen Krieg moderne Waffen sowie logistische, materielle und politische Unterstützung vieler Länder, hauptsächlich durch die USA. Dieser Krieg forderte ca. eine Million Tote, noch mehr Verletzte und viele Behinderte. Die Rüstungskonzerne und die waffenexportierenden Länder erzielten dabei Gewinne von beiden Seiten, d.h. vom Irak und Iran, in Milliardenhöhe. Die USA, SU, Frankreich, beide deutsche Staaten, Großbritannien, Spanien und andere Länder haben nicht nur Waffen geliefert, sondern auch neue Technologien für den Aufbau und die Produktion von traditionellen - und Massenvernichtungswaffen. Das Regime wurde bei seinen Bemühungen, moderne konventionelle Waffen und Massenvernichtungswaffen zu erlangen, von Ländern wie USA, Frankreich, beide deutsche Staaten und andere sozialistische Länder ständig unterstützt. In dieser Zeit hat das Regime mehr als 253 Milliarden US $ für Militärzwecke ausgegeben. Und damit begann es, seine aggressive Außenpolitik durchzuführen.

Am 02.08.1990 überfiel Saddam Hussain Kuwait. Er wurde dazu indirekt von der USA- Botschafterin, Frau April, in Bagdad ermuntert. Kurz danach, am 06.08.1990 wurde der Beschluss des Embargo Nr. 661 gegen den Irak durch den Sicherheitsrat gefasst. Das Szenario eines zweiten Golfkrieges war somit vorprogrammiert.

Der zweite Golfkrieg begann am 16.01.1991 und dauerte nur 42 Tage. Er kostete dem irakischen Volk über 110.000 tote Soldaten, über 15.000 tote Zivilisten, 35.000 Tote durch die Zerschlagung des Aufstandes von 1991 durch das Regime, die Zerstörung Tausender Häuser, Schulen, über 100.000 Obdachlose und einige Hunderte von Milliarden US $. In diesem Krieg haben die USA die modernsten traditionellen Waffen, auch mit Uran angereicherte Geschosse (D.U., depleted Uranium, Abfälle der Uran-Industrie), eingesetzt. Die US-Armee hat über 227.165 verschiedene Arten von Bomben und Raketen über die Städte und Dörfer des Irak abgeworfen. Durch den Krieg wurden auch 700 Erdölquellen in Brand gesteckt. Die Folgen des Einsatzes dieser Waffen waren ein Anstieg von Mißgeburten und neue unbekannte Krankheiten, besonders im Süden Iraks. Außerdem löste der Krieg im Irak eine Umweltkatastrophe aus, die unvorstellbar ist.

Das despotische Regime wird von der Mehrheit der Bevölkerung gehasst und ist vom Volk isoliert. Saddam Hussain konnte sich nur so lange an der Macht halten, durch
  1. den ständigen militärischen Ausnahmezustand, der im Lande herrscht,
  2. die Existenz der fünf verschiedenen Geheimdienstapparate, die das Volk ständig überwachen und durch die Unterstützung der Baath-Partei, der regimehörigen Gewerkschaften und anderer Massenorganisationen,
  3. den Schutz der Palastgarde und der Saddam-Kämpfer,
  4. den Schutz von Armeeeinheiten, die in Bagdad stationiert sind,
  5. die Anwendung verschiedener Unterdrückungs- und Foltermethoden. Ich denke hierbei an Erniedrigung der Menschen, Folterung bis zum Tode sowie die Vertreibung ins Ausland und schließlich
  6. durch seine Befehlsgewalt, denn Gesetze gibt es im Irak nicht
  7. durch die Unterstützung der despotischen Regimes in den arabischen Ländern.
  8. durch die geschwächten Oppositionskräfte aufgrund der Jahrzehnte langen brutalen Politik des Regimes.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch auf ein Problem eingehen, worüber in der letzten Zeit viel diskutiert wurde.

Es wurde versucht, das irakische Regime von seinen verbrecherischen Taten, insbesondere von dem Einsatz von Chemie-Waffen in Halabtsche frei zu sprechen, oder in Frage zu stellen, ob das Regime es überhaupt begangen hat. Ein Beispiel dafür liefert Herr Joachim Gulliard in seinem Artikel Zur umstrittenen "Wahrheit über den Giftgasangriff auf die Kurden". Er schrieb in diesem Artikel Folgendes:
"Selbstverständlich sind nicht alle Vorwürfe über irakische Schandtaten gegen Kurden erfunden. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der Aufstandsbekämpfung auch massiv gegen die mit den Aufständischen sympathisierende Bevölkerung vorgegangen wurde, mit Vertreibungen, Hauszerstörungen, Verhaftungen und auch Exekutionen, so wie wir es leider von vielen anderen Ländern kennen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass einzelne Berichte über den Einsatz chemischer Waffen zutreffen. Auszuschließen ist aber - nicht nur nach Meinung Pelletiers - schon aufgrund des dafür ungünstigen Terrains im Nordirak die hohe Zahl der angeblichen Opfern.
Der Vorwurf des Völkermords lässt sich jedenfalls mit dem bisher bekannten Beweismaterial nicht begründen. Je schwerwiegender aber die Vorwürfe, desto sicherer müssen unabhängige Beweise sein, und Einwände von Leuten wie Pelletier sollten, gerade wenn es sich wie bei ihm um einen ehemaligen US-Offizier und CIA-Mitarbeiter handelt, der sich damit gegen die offizielle Linie seines Landes stellt, ernst genommen werden."*

Ich war in den Jahren 1987-1988 in Kurdistan und habe mit vielen anderen Partisanen selbst erlebt, wie das Regime Giftgas (Senfgas) in Bahdinan gegen die kommunistischen und demokratischen Peschmergeh (Partisanen) eingesetzt hatte. Die Menge an Giftgas war nicht sehr groß, deswegen gab es weniger Tote, aber viele Verletzte. Darunter waren auch mehrere Mitglieder der Leitung der KPI und DKP. Später hatte das Regime diese Waffen in Halabtsche eingesetzt. Das Halabtsche-Drama war nur ein Teil der verbrecherischen Anfal-Operationen, die in der Zeit von Februar bis Oktober 1988 durchgeführt wurden. Es ist nicht richtig, nach fünfzehn Jahren zu behaupten, dass das Regime nicht der Täter dieses Völkermordes war, sondern das Regime in Iran. Dies kommt mir wie bei dem Holocaust vor, wo man behauptet, dass er nicht stattgefunden hat.

Wer versucht, die Greueltaten Saddam Hussains in Frage zu stellen bzw. zu verleugnen, beweist nicht nur seine Naivität, sondern auch seine Unwissenheit über den Charakter des Regimes in Bagdad. Die kurdische Nationaldemokratische Partei im irakischen Kurdistan sowie die KPI und viele Bürger können viele Beweise und Dokumente liefern, aus denen hervor geht, dass das Regime in Bagdad, insbesondere Saddam Hussain, sein Revolutionsrat und Ali Hassan Al-Majid für den Einsatz von Chemie-Waffen in Kurdistan, darunter Halabtsche, verantwortlich ist.

Zum Schluss möchte ich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die Friedensbewegung in Deutschland und in der ganzen Welt die Verbindung zwischen dem Frieden, der Demokratie und der Menschenrechte wieder herstellt, weil es ohne Frieden keine Demokratie, Menschenrechte sowie Gerechtigkeit geben wird. Aber ohne Demokratie und Menschenrechte kann es auch keinen dauerhaften Frieden geben.

Mit freundlichen Grüssen.
Kadhim A. Habib
Berlin, den 07.03.2003


* Im Folgenden dokumentieren wir den vollständigen Text von Joachim Guilliard.


Joachim Guilliard:

Zur umstrittenen "Wahrheit über den Giftgasangriff auf die Kurden"

Am 31.1. veröffentlichte die New York Times einen Artikel Stephen C. Pelletiere Prof. am Army War College der USA, über die Frage ob es sich bei den Angriffen um einen gezielten Genozid oder eine Kriegshandlung war ("A War Crime or an Act of War"). Die junge Welt berichtete am 03.02. darüber unter der unglücklichen, missverständlichen Überschrift "Bushs erfundener Genozid - CIA-Veteran enthüllt Wahrheit über angeblichen irakischen Giftgasangriff auf das kurdische Halabja".

Von Ulla Jelpke erschien drei Tage später in der selben Zeitung ein Gegenartikel (Der CIA-Mann und Halabja Zur angeblichen "Wahrheit" über den Giftgasangriff auf die Kurden), der versucht unter Hinweis auf die frühere Mitarbeit in der CIA die Glaubwürdigkeit Pelletieres zu untergraben und ansonsten die gängige Version der Vorgänge wiederholt.

Wie zu erwarten, ereifern sich nun viele darüber, dass auch eine deutsche Zeitung einmal etwas über die Zweifel berichtet, die es an bestimmten Vorwürfen bzgl. irakischer Giftgaseinsätze gibt, besonders natürlich die kurdischen Organisationen nahestehende Kreise. In US-amerikanischen Zeitungen konnte man immer wieder darüber etwas lesen, namhafte Publizisten wie Jude Wanniski wenden sich gegen die offizielle Darstellungen. Auch Ron Paul, ein republikanischer Kongressabgeordneter aus Texas ging in einer Rede vor dem US-Kongress darauf ein und stellte fest, dass es absolut nicht sicher sei, dass der Irak chemische Waffen gegen die Kurden eingesetzt habe. Die Beweislage sei weit davon entfernt, schlüssig zu sein.

Auch wenn die Emotionen bei diesem Thema sehr schnell hochgehen: es geht, wie auch CIA-Veteran Stephen Pelletier in der New York Times ausführt, nicht darum die Baath-Regierung generell zu entlasten. Es wird weder in Abrede gestellt oder in irgendwelcher Form entschuldigt, dass der Irak im ersten Golfkrieg chemische Waffen einsetzte, noch dass der Irak mit brutalen Mitteln gegen die aufständische Kurden vorging.

Die Frage, um die es geht ist aber, ob man tatsächlich mit ausreichender Sicherheit, wie u.a. Ulla Jelpke in jW vom 06.02.2003, von gezieltem "Völkermord" reden kann oder wie Bushs davon, "Saddam vergase seine eigene Bürger". Diese Vorwürfe dienen schließlich wesentlich mit zur Begründung, warum nichtkonventionelle Waffen in irakischen Händen so viel bedrohlicher seien, als in anderen - so bedrohlich, dass es einen Krieg notwendig mache, noch bevor der Irak solche Waffen wieder einsatzbereit habe.

Und hierfür gibt es berechtige Zweifel. Denn unabhängig davon, welche Seite letztlich für den Tod der Bewohner von Halabja verantwortlich ist, spricht alles dafür, dass sie unbeabsichtigt Opfer von Kampfhandlungen zwischen irakischen und kurdischen/iranischen Truppen wurden.

Davon geht auch die Toxikologin Christine Gosden aus, die als Kronzeugin der Kurden und der USA für den irakischen Giftgaseinsatz gilt. Für sie ist zwar unstrittig, dass das tödliche Gas vom Irak stammte, gemäß ihrer Stellungnahme vor einem US-Senatsausschuß 1998 dienten die irakischen Attacken aber der Zurückeroberung der zuvor von Einheiten der Patriotischen Union Kurdistan (PUK) und iranischen revolutionären Garden besetzten Stadt. Sie warf zudem der PUK vor, sie hätte die Zivilbevölkerung daran gehindert, die Stadt zu verlassen, in der Hoffnung die Iraker würden die Stadt dann nicht angreifen. Unklar bleibt bei ihrer Darstellung, ob die Angreifer dies wissen konnten.

Für die Symptome, die nach Pelletiers Ansicht gegen irakisches Giftgas sprechen, hat sie keine schlüssige Erklärung. Sie macht einen Mix verschiedener Giftstoffe dafür verantwortlich. Die Behauptung im jW-Artikel, dass UNSCOM im Irak auf Zyanid basierende chemische Waffen fand ist im übrigen ebenso wenig richtig, wie die vom "Rausschmiss der Inspektoren 1998", die zeigt, wie wenig die Autorin über das Thema weiß.

Auch für die Vorwürfe, wonach irakische Streitkräfte in vielen weiteren Fällen systematisch Giftgas gegen kurdische Zivilisten eingesetzt hätten, fehlen schlüssige unabhängige Beweise. Alle Vorwürfe beruhen im wesentlichen auf Informationen der kurdischen Parteien und US-Quellen.

Bei aller berechtigten Anteilnahme am Schicksal der kurdischen Bevölkerung darf aber nicht vergessen werden, dass die für die kurdische Unabhängigkeit kämpfenden kurdischen Organisationen, ebenso wie die USA, ein großes Interesse daran hatten und haben den Irak durch Gräuelberichte zu dämonisieren. Skepsis ist also stets angebracht. Schließlich wissen wir z.B. mittlerweile recht gut, wie es den NATO-Staaten mit Hilfe albanischer Organisationen und professioneller PR-Agenturen gelang, durch Übertreibungen und glatten Lügen, ein Bild der Vorgänge im Kosovo zu zeichnen, das ein militärischen Einschreiten für viele zur moralischen Notwendigkeit machte.

Menschenrechtsorganisationen wie Humans Right Watch haben dabei, wie im ganzen Jugoslawienkonflikt keine sehr rühmliche Rolle gespielt, da sie die einseitige Sichtweise der westlichen Regierungen und Medien im wesentlichen unkritisch übernahmen.

Als Beweis für den systematischen Giftgaseinsatz gegen aufständische Kurden 1988 werden vor allem Regierungsdokumente angeführt, die die PUK 1991 nach eigenen Angaben bei ihrem Aufstand 1991 erbeutet hat. Diese Dokumente wurden von der PUK Vertretern des US-Verteidigungsministeriums übergeben und in die USA gebracht, wo sie von Experten des Pentagons und von Human Rights Watch archiviert und ausgewertet wurden. Ein großer Teil der Dokumente ist auch über eine Datenbank des "Iraq Research and Documentation Project" IRDP via Internet unter http://www.fas.harvard.edu/~irdp/ zugänglich. Zunächst stellt sich natürlich bei dem Weg, den sie genommen haben, die Frage nach der Authentizität der Dokumente. Unabhängig davon kann das, was in dieser Datenbank als "unwiderlegbarer Beweise" für den Giftgaseinsatz und die "genozidale Kampagne des Regime gegen die Kurden" präsentiert werden, nur die überzeugen, die schon überzeugt sind.

"Der iranische Feind" so heißt es beispielsweise in einem dieser Dokumente, habe die "Familien der Saboteure in den Dörfern und ländlichen Gebieten entlang der Grenze mit Medikamenten versorgt", insbesondere mit "Medikamenten die vor Chemiewaffen schützen" und Iraner würden sie im Gebrauch von Gasmasken unterweisen. Auch die anderen Schriftstücke zum Thema enthalten nur Meldungen über kurdische und iranische Schutzmaßnahmen gegen Giftgasangriffe.

Das ist aber keinesfalls, wie dann ausgeführt wird, ein Beweise dafür, dass der Einsatz chemischer Waffen durch den Irak "so häufig war, dass die Iraner die Kurden mit Schutz vor Chemiewaffen ausstatten mussten". Solche Vorsichtungsmaßnahmen liegen schließlich in der Nähe der Front zwischen zwei Konfliktparteien, die bereits chemische Waffen gegeneinander eingesetzt haben, auch so nahe.

Selbstverständlich sind nicht alle Vorwürfe über irakische Schandtaten gegen Kurden erfunden. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der Aufstandsbekämpfung auch massiv gegen die mit den Aufständischen sympathisierende Bevölkerung vorgegangen wurde, mit Vertreibungen, Hauszerstörungen, Verhaftungen und auch Exekutionen, so wie wir es leider von vielen anderen Ländern kennen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass einzelne Berichte über den Einsatz chemischer Waffen zutreffen. Auszuschließen ist aber - nicht nur nach Meinung Pelletiers - schon aufgrund des dafür ungünstigen Terrains im Nordirak die hohe Zahl der angeblichen Opfern. Der Vorwurf des Völkermords lässt sich jedenfalls mit dem bisher bekannten Beweismaterial nicht begründen. Je schwerwiegender aber die Vorwürfe, desto sicher müssen unabhängige Beweise sein und Einwände von Leuten wie Pelletier sollten, gerade, wenn es sich wie bei ihm um einen ehemaligen US-Offizier und CIA-Mitarbeiter handelt, der sich damit gegen die offizielle Linie seines Landes stellt, ernst genommen werden.


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